Zwei Gitarristen sitzen vor einem Schirm, tun aber nur so, als ob sie spielen, während zwei weitere Gitarristen dahinter die Klänge erzeugen: Was Xavier Le Roy mit Helmut Lachenmanns „Salut for Caudwell“ macht, lässt sich wohl als Musik-Theater, keineswegs aber als Oper bezeichnen. Jörg Mainka schachtelt in „Le Voyeur“ Theater (ohne Gesang), Musik und Video nach musikalischen Gesichtspunkten zusammen: Musik/Theater? In Adriana Hölszkys „Tragödia“ wiederum gibt es keinerlei Schauspiel. Das Drama der Oper findet im „unsichtbaren Raum“ im Inneren des Hörers statt: Die drei Beispiele illustrieren die Offenheit des heutigen, aktuellen Musiktheaters, stellen aber auch die Frage nach einer Definition.
Nach dem Ungelösten im Musiktheater fragte ein von Jörn Peter Hiekel initiiertes Symposium an der Stuttgarter Solitude-Akademie, an dem alle Genannten beteiligt waren. Im Musiktheater arbeiten Komponisten mit Künstlern und Theaterleuten zusammen, und das Problem besteht nach Hans-Peter Jahn darin, dass sie vom neuesten Stand des jeweilig anderen Metiers nicht die geringste Ahnung hätten. Hier hatten allerdings auf der Tagung bereits zwei Vorträge ein wenig vorgebaut: Christa Brüstle erinnerte an die Genese der künstlerischen Performance und betonte: „In der Aufführung entsteht das Werk.“ Regine Elzenheimer erläuterte den von Hans-Thies Lehmann entwickelten Begriff des postdramatischen Theaters.
Ein Theater ohne Handlung: Dies ist, was einige der vorgestellten Werke der geladenen Komponisten kennzeichnet. Isabel Mundry nimmt sich die Zeitstruktur der Odyssee vor, die schon im ursprünglichen Text vom Rückblick lebt. Die Frage ist nur, wie sich diese Erzählstruktur dem Publikum mitteilt, wenn ein einziger „Atemzug“ einen Abend gestaltet und die Figuren zu „Chiffren“ verkommen. Auch Klaus Lang kommt in „Die Perser“, dem ältesten erhaltenen griechischen Drama, fast ohne Bewegung aus – ganz im Gegensatz zu Frederic Rzewski, der den Stoff 1985 vertont hat. Lang orientiert sich an der Form des Dramas, einer viermaligen Wiederholung der Beschreibung des persischen Heers, welche allmählich die Tragödie erkennen lässt.
Ungelöst bleibt Verschiedenes: Lassen sich in jenem Mausoleum, das die Oper nach Wolfgang Hofer darstellt, „Möglichkeiten von Utopie“ erkunden? Oder besteht die einzige Chance, überladenem Pomp und zur Routine erstarrten Produktionsabläufen zu entkommen, darin, in die U-Bahn auszuweichen, wie dies Manos Tsangaris, vom Konzept eines „molekularen Stationentheaters“ ausgehend, in seinen „Orpheus-Fragmenten“ vorexerziert? Lässt sich die Kollaboration verschiedener Kunstgattungen durch eine Freilegung ihrer jeweiligen „Syntax“ rationalisieren, wie dies Jörg Mainka verlangte? Oder bleibt die Zusammenarbeit zwischen Künstlern immer von Intuition und Sympathien geprägt, wie Markus Hechtle entgegnete?
Warum schließlich greifen so viele Komponisten und Dramaturgen zurück auf antike Mythen, die dann doch nur als „Steinbruch“ dienen, wie sich Juliane Votteler ausdrückte, die auf der Grundlage von „Ödipus auf Kolonos“ das Libretto für Younghi Pagh-Paans „Mondschatten“ erarbeitet hat. Zumal die Komponistin mit dem Stoff ihres am 21. Juli in Stuttgart, im Niemandsland zwischen Bankneubau und leergeräumter Spekulationsfläche uraufgeführten Werks zunächst offenbar wenig anfangen konnte?
Einen anderen Weg geht Hans Zender, der aktuelle Themen nicht scheut, sich aber mitunter Missverständnissen ausgesetzt sieht. In „Chief Joseph“, uraufgeführt im vergangenen Jahr an der Berliner Staatsoper, ging es ihm nicht um Indianerromantik, sondern stellvertretend um die Inkommensurabilität der Kulturen, komponiert als Gegensatz zwischen temperierten Zwölfteltönen und spektralen Naturtonreihen. Diesen „Zusammenprall von zwei Dingen, die nicht zusammengehen“ musikalisch zu inszenieren: das ist, was Zender interessiert und was der Heidelberger Operndirektor Bernd Feuchtner in einer Neuaufführung im September besser zum Vorschein bringen will.