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Der Komponist, das Individuum: Vinko Globokar. Foto: Charlotte Oswald
Der Komponist, das Individuum: Vinko Globokar. Foto: Charlotte Oswald
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Den Ohren ein Bein gestellt

Untertitel
Das Saarbrücker Festival „Mouvement – Musik im 21. Jahrhundert“ zwischen Konzert und Theater
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Dass die zeitgenössische Musik keine Sache sein muss, die sich in verschlossenen Konzertsälen vor einem kleinen Spezialistenpublikum abspielt, wurde in diesem Jahr beim jährlichen Neue-Musik-Festival des Saarländischen Rundfunks, gezeigt: Da prozessierte eine Blaskapelle (Studenten der Hochschule für Musik Saar) mit Zuhörern in der Gefolgschaft zweimal mit Vinko Globokars „Crocs-en-jambe“ durch die Saarbrücker Innenstadt von Spielort zu Spielort, und das mitten im beginnenden Nachtleben des Wochenendes – eine schöne Geste dafür, dass die Veranstalter ihr Angebot an die Stadt und ihre Bürger richten – und möglicherweise hat ja der ein oder andere Neugierige seinen Weg zu den anschließenden Konzerten gefunden.

Aber: Dem Festival geht es nicht gut. Stets wenn es beim Saarländischen Rundfunk in die nächste Sparrunde geht, ist das Festival einer der ersten betroffenen Posten. Dem zuständigen Redakteur Wolfgang Korb, der dieses Jahr gemeinsam mit dem Posaunisten, Dirigenten und Komponisten Vinko Globokar für das Programm verantwortlich war, dürfte der erfreuliche Publikumszuspruch – quer durch die Altersgruppen – in fast allen Veranstaltungen Balsam auf die Seele gewesen sein. Und ein gutes Argument, wenn beim nächsten Mal der Sparstift wieder am Festival angesetzt werden sollte.

Man hat einiges getan, um das alte Festival zu modernisieren, hat den etwas akademischen Titel „Musik im 21. Jahrhundert“ nur noch als Untertitel beibehalten und nennt das Festival nun „Mouvement“, in Anlehnung an die regelmäßige Neue-Musik-Sendung der Kulturwelle des Saarländischen Rundfunks. Man hat Spielorte gewählt, die in der Stadt zentral liegen, das etwas abseits gelegene Funkhaus Halberg gegen den Konzertsaal der Hochschule für Musik Saar, die Johanniskirche Saarbrücken und die „Alte Feuerwache“, die Kammerbühne des Saarländischen Staatstheaters, getauscht. Und man hat mit den Prozessionen durch die Saarbrücker Innenstadt ein deutliches, nicht zu überhörendes Zeichen dafür gesetzt, dass die zeitgenössische Musik sehr wohl eine Rolle im öffentlichen Leben der Stadt spielt und weiter spielen soll.

Schließlich wurde ein Programm aufgesetzt, dass sich immer wieder auch an der Grenze zwischen Musik und Performance bewegte, den optischen Eindruck gleichberechtigt neben den akustischen stellte. Schon im ersten offiziellen Konzert des Festivals mit dem französischen Percussionisten Jean-Pierre Drouet war das deutlich. Drouet bewies beste Entertainerqualitäten und entführte in die Welt der Trommeln, klingenden Tische („Improvisation sur une table“ von Drouet selbst), Bücher („Il libro celibe“ von Giorgio Battistelli), Blumentöpfe (Frederik Rzewskis „To the earth“) und der sonderbaren Musikmaschinen von Claudine Brahem. Mit Stücken, die oft auch vom szenischen Element lebten, wie etwa George Aperghis „conversation solo“, bei dem der Schlagzeuger neben den Musikmaschinen vor allem mit verzerrter, gebrabbelter Sprache und mit einer grandios slapstickhaften Gestik arbeitet. Kommunikation im Selbst-Gespräch und im Gespräch für das Publikum, die sich trotz weitgehender Unverständlichkeit der Worte mitteilt, weil man ihre Spielregeln schnell erfasst.
Doch nicht erst bei Drouet, sondern schon bei den Studenten der Hochschule für Musik Saar, die am ersten Abend den „Prolog“ gestalteten, wurde die Latte hoch gehängt. Nicht nur mit fesselnden Darbietungen von Globokars „Discours IV“ (Marcel Lallamang, Sebastien Duguet, und Stephanie Pochet, Klarinetten) und Iannis Xenakis’ „Charisma“ (Monika Konrad, Klarinette und Wolfgang Kursave, Cello) sondern auch mit vier Werken von Komponistinnen der Klasse von Theo Brandmüller. Junge Komponisten hatten auch im Rahmen der Saarbrücker Komponistenwerkstatt, deren Abschlusskonzert bereits zum vierten Mal in das Festival integriert wurde, die Gelegenheit, ein eigenes Werk für Orchester zusammen mit dem Rundfunksinfonieorchester Saarbrücken und dem Dirigenten Manfred Schreier einzustudieren und dem Publikum vorzustellen. So hat auch der Nachwuchs seinen Platz im Festival.

Mit der Beziehung zwischen „Masse, Macht und Individuum“ wollte sich das Festival thematisch auseinandersetzen, und das gelang im Großen und Ganzen auch:
Obwohl Slavoj Zizek in der „Reflexion“ betitelten Begleitveranstaltung das Thema auf theoretischer Ebene mit virtuosen Gedankenkapriolen zu umreißen versuchte und dabei pointierte und provokante Thesen nicht scheute, war die musikalische Auseinandersetzung noch ein gut Stück interessanter und spannender. So etwa beim Improvisationsabend in der Johanniskirche Saarbrücken, für den sich drei Mitglieder des ehemaligen „New Phonic Art Quartet“ (nämlich Vinko Globokar, Michel Portal und Jean-Pierre Drouet) wiedertrafen und eine rund einstündige, intensive Reise durch die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Kommunikation zwischen Individuen antraten, optisch unterstützt durch die Live-Malerei des Berliner Künstlers Helge Leiberg.

Auftragswerke für das Festival gab es, wie jedes Jahr, auch, und da ragte vor allem Serge Newskis „Folia“ für Kontrabass und Akkordeon heraus, eine leise, sich ganz tastend entwickelnde, splittrige Komposition, die trotz oder gerade wegen des fragmentarischen Materials große poetische Binnenspannung hatte und von Teodoro Anzellotti und Stefano Scodanibbio mit ersichtlich begeisterter Konzentration gespielt wurde. Daneben fielen die Werke Urska Pompes („Momentum“ für Gitarre – Michael Schröder – und Akkordeon) und Samir Odeh-Tahimi („Rathaá“ für Akkordeon und Kontrabass) trotz hohen Niveaus etwas ab.

Spannender in der Idee als im klingenden Ergebnis Vinko Globokars Orchesterwerk „Les chemins de la liberté“, in dem auf den Dirigenten als ordnende Macht und zentrale Schaltstelle orchestralen Musizierens ganz verzichtet wird: Jede Orchestergruppe wählt aus ihrer Mitte einen Musiker, der sie während der Aufführung leitet: Basisdemokratie auf dem Orchesterpodium sozusagen. Kommunikationssituationen zwischen den Gruppen (und ihren Leitern) werden durchgespielt, aber eine zwingende, wirklich überzeugende musikalische Gestalt ergab sich daraus nicht recht, was sich besonders in unmittelbarer Nachbarschaft zu Xenakis’ Ballett für 60 Musiker „Anthikhton“ ein wenig schmerzlich bemerkbar machte.
Außergewöhnlich der Auftritt des ensemble recherche, das gemeinsam mit Hubert Mayer (Tenor) und Gerri Galyean (Sopran) die „Brief-Triologie“ Globokars aufführte, ein Stück, das ohne die szenischen Elemente nicht denkbar ist. Folgerichtig gab es dazu ein Stück für Body-Percussion („An-sprache“ von Robin Hoffmann), von Christian Dierstein ohne Rücksicht auf sich selbst dargeboten und – am weitesten in Richtung Theater gehend – die auf Shakespeare-Sonetten basierende Performance „Fever“ von Nigel Charnok (Stimme und Tanz) und Michael Riessler (Musik); eine wahrhafte tour de force.

Zum Abschluss des Festivals dann die Aufführung von Globokars titelgebendem Stück „Masse, Macht und Individuum“, für das man in eine alte Industriehalle – von denen es im Saarland etliche gibt – nach St. Ingbert zog. Ein Raum, abgesehen von der zugigen Kälte, wie gemacht für das Stück, das eine Masse aus 21 Musikern (Studenten der Hochschule für Musik Saar) und vier solistischen Individuen (die dem Festivalbesucher schon bekannten Herren Anzellotti, Drouet, Schröder und Scodanibbio) mit dem großen Orchester (RSO Saarbrücken), das mit dem Dirigenten (Globokar) die Macht verkörpert, konfrontiert.

Eine Aufführung, in der das Festival logisch kulminierte und die noch einmal alles zusammenführte, was man in den vorhergehenden Tagen in den Einzelkonzerten untersucht hatte.

Eine glückliche Programmgestaltung, ein glücklicher Festivaljahrgang. Und glücklich hoffentlich auch der Saarländische Rundfunk, der mit dem Festival ein zwar vom Umfang her kleines, aber sehr feines Aushängeschild hat.

http://www.sr-online.de/musik21

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