Was ist Glück? Wann zeigt es sich? Kann man es fassen? Soll man es halten? Solche Fragen werden im Theater, auch im Musiktheater, kaum je gestellt. Gewiss mag es einfacher sein, das Unglück, die Entfremdung, die Gewalt, die Lähmung aller menschlichen Beziehungen zu zeigen. Aber wird der Hinweis auf das Unglück nicht zur bloßen negativen Routinegeste entkräftet, wenn die Kunst nicht mehr sagen kann oder will, was Glück sei?
Als die Komponistin Juliane Klein – geboren 1966 in Berlin, Studium an der Eisler-Musikhochschule, Aufbaustudium bei Helmut Lachenmann – gefragt wurde, ob sie zur Klangwerkstatt Berlin 2006 ein Musiktheater-Stück schreiben wolle, wählte sie als Thema: „Glück“. Zwei Texte nahm Klein als Ausgang: Zum einen Oscar Wildes Märchen von der Nachtigall, die sich den Dorn einer weißen Rose ins Herz sticht und dazu eine Nacht lang singt, auf dass sich die Rose rot färbe, damit sie ein Student dem von ihm geliebten Mädchen schenken kann. Und zum anderen Gottfried Benns Gedicht „Nur zwei Dinge“, das mit den Worten endet: „Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere / was alles erblühte, verblich / es gibt nur zwei Dinge: die Leere / und das gezeichnete Ich.“ Das Glück wird hier nicht gezeigt als ein Gegenstand, der zuhanden ist, es soll sich in den Zwischenräumen ergeben.
Der Auftraggeber von „Glück“, die Klangwerkstatt Berlin e.V., ist eine Initiative der Musikschulen in Kreuzberg und Neukölln. Die Idee dieser jährlich stattfindenden „Werkstatt Neues Musiktheater“ wird von Volkmar Bussewitz (Produktionsleitung) und Gerhard Scherer (Dirigent des Ensembles Experimente) getragen. Die finanziellen Mittel sind begrenzt, der Enthusiasmus und das Engagement der Schüler und Pädagogen groß. Das kam der Produktion von „Glück“ zugute.
Am 10. November war die Uraufführung im Saalbau Neukölln, zwei weitere Vorstellungen folgten. (Regie: Holger Müller-Brandes, Bühne: Isabelle Krötsch, Solisten: Britta Wieland, Clemens Gnad, Kai-Uwe Fahnert, Franziska Rummel).
Kleins Musik bezieht seit jeher den szenischen Aspekt des Musizierens mit ein. Bei „Glück“ erwies sich das schon unter akustischen Gesichtspunkten als sinnvoll. Als die Zuschauer und der Gropius-Chor (bestehend aus Sängern zwischen 55 und 70 Jahren, die, wie Klein mit einem Benn-Zitat sagte, „durch die Formen des Lebens geschritten sind“) den als Bühnenfläche gestalteten Saalbau betraten, waren die Musiker und die Solisten bereits anwesend und begannen, mit leisen Tönen eine Art von vor- oder quasimusikalischem Raum zu errichten. Indem sich die Instrumentalklänge zwischen den im Raum verteilten Zuschauern hin- und her bewegten, wurden die musikalischen Ereignisse plastischer und präsenter als bei einer traditionellen Orchesteraufstellung.
Klein hat ihr Musiktheater in 13 Szenen gegliedert, die zentralsymmetrisch um die siebte Szene geordnet sind; das Stück ist frei aus einer Reihe entwickelt, die große Terzen und kleine Sekunden wechselnd aneinanderreiht, also Quarten als Rahmenintervalle übereinanderschichtet. Diese Konstruktionen sind zumindest teilweise durchaus mit freiem Ohr wahrnehmbar, denn Kleins Musik arbeitet stets mit sparsam gesetzten Linien und Elementen, sie ist über weite Strecken gleichsam graphisch, ohne Berührungsscheu mit tonalen Momenten, aber auch ohne falsche Anbiederung. Die sterbende Nachtigall singt sogar ihren Todesgesang – auf Worte von Benn: „Ich bin so hingesunken an Dich. Und bin so trunken von Dir, Oh Glück!“ – in Form eines Chansons in h-moll, im Walzerrhythmus begleitet vom Klavier. Ihr Gesang und Leben klingen aus auf das Wort „Alleluja“ (auch dieses steht bei Benn!), als simpler absteigender Tetrachord e-d-cis-h.
Diese so einfache wie prägnante Wendung wird zu Beginn der folgenden Szene von einer Reihe von Instrumenten aufgegriffen, und vielleicht ist in diesen paar Tönen das Glück zu spüren. Ganz sicher ist es ein Glück auf Seiten der Hörer. Weitere Aufführungen wären dringend zu wünschen.