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Frankenstein am Stadttheater Fürth. Foto: Thomas Langer

Frankenstein am Stadttheater Fürth. Foto: Thomas Langer

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Der Illuminaten-Schüler – Das „Frankenstein“-Musical im Stadttheater Fürth

Vorspann / Teaser

An Mary Shelleys genialem Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ (1818) haben sich schon viele Adepten von Bühne, Ballett und Film die künstlerischen Zähne ausgebissen. Der Musical-Erfolg der Luisenburg Festspiele Wunsiedel vom Sommer 2023 kam jetzt auf die Bühne des Stadttheaters Fürth und ist erfreulich anspruchsvoll. Die ersten drei Vorstellungen erklangen aufgrund einer Erkrankung des Hauptdarstellers Jonas Hein mit Sander van Wissen und moderiert vom Autor Kevin Schroeder in konzertanter Form. So kam erst das Publikum am Dienstagabend zu Premierenehren.

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Für regionalhistorisch interessierte Ingolstädter ist der bis Camp, Trash, B-Movies und Softporno abgeglittene Stoff vom besessenen Wissenschaftler Viktor Frankenstein und seinem aus Leichenteilen zusammengeflickten Monster-Geschöpf ein Muss. Denn Shelley schickte ihren Protagonisten von Genf, wo in der Villa Diodati der Ideensprung zu diesem Meisterwerk der Schauerliteratur stattfand, an die Universität Ingolstadt und dort in den Bannkreis des Illuminaten-Geheimbunds. Kevin Schroeders Textbuch ist derart gescheit und geschickt, dass man ihm die flachen Hülsen aus der Gegenwartssprache verzeiht. Schroeder ersetzte Shelleys Professor Waldmann durch dessen historisches Vorbild Adam Weishaupt. Der Gründer der berüchtigten Ingolstädter Illuminaten motiviert Viktor zu moralisch fragwürdigen Experimenten. Weishaupt sichert sich – etwas klischeehafte Bösartigkeit muss sein – mit erpresserischer Energie die Verwertungsrechte von Viktors außer Kontrolle geratenem Schöpfungsprojekt. Das Monster tritt in dieser Musical-Adaption, welches ins Zentrum der meisten sensationsheischenden Bearbeitungen rückte, nicht auf und wird den Ensemblestimmen zugeteilt. Die Choreographie von Bart De Clercq macht Effekt, schert sich allerdings kaum um die dunkle Seite des Sujets.

Jonas Hein schultert in der Titelpartie also die spannungsvolle Bürde aller Konflikte zwischen Ehrgeiz und blankem Entsetzen. In der Entwicklung vom sympathisch verschrobenen Jungforscher zum durch Geschöpf und Gewissen geplagten Wissenschaftler zieht Hein alle Register. „Doch die Wahrheit ist, ich bin das Monster!“ schreit er schon in den Prolog hinein. Demzufolge besteht Adam Nees Ausstattung – grüßen lassen „The Rocky Horror Show“ und „Jekyll & Hyde“ – aus sich um Raumzellen rankende Muskelbahnen und Adern-Schläuche, in das sich die Trikots der Anderen prima hineinschlängeln. Nees Kostüme folgen musicalspezifisch retro-viktorianischen Gattungsvorlieben. Schroeder schärft die Figur von Viktors Geliebter Elisabeth, die er von einer blässlichen zur kämpfenden Frau macht. Mareike Heyen findet dafür die richtige Spur zwischen Liebreiz und Nachdruck. Timo Stacey fühlt sich wohl mit der erwartungsgemäß sympathischen Figur von Viktors Freund Henry Clerval. Faye Bollheimer setzt die aus einem weitaus drastischerem Horrorgenre herein geschneiten Mara eine eiskalte Kindlichkeit auf. Torsten Ankert gibt die professorale Spukgestalt und Illuminaten-Eminenz Weishaupt erst sympathisch, dann zutiefst gräulich.

Marian Lux’ Musik im Arrangement von Markus Syperek lässt erst Erinnerungen an die Band Spliff und die inzwischen auch bald 50 werdende Neue Deutsche Welle aufkommen. Es rockt und poppt sich so durch – nennenswerte Höhepunkte, gar Ohrwürmer gibt es keine. Vorzug von Lux’ versierter Musik ist ein sicheres wie passgenaues Timing. Er macht aus Melodien keine Kaugummifäden und dehnt Soli nicht länger, als er muss. Trotzdem: Hier am besten wirken jene dramatischen Höhepunkte, wo alles in Fluss gerät und Gewissheiten ihren Boden verlieren.

Im Zentrum bleibt Frankenstein, den Jonas Hein in einer beeindruckenden Leistung mit Faustischen Zügen durchsetzt. „Das Leben ist kompliziert.“ rechtfertigt sich Frankenstein. Und man muss ihm recht geben. Dieser Musical-Frankenstein ahnt in Viktors Prolog zu seiner wissenschaftlich begründeten Leichenfledderei vieles voraus, was dem 20. und 21. Jahrhundert zu Segen oder Fluch wird. Dass es bis zum Schluss in Text und Szene um mehr als um ein aufgehübschtes Grusical geht und dass Mary Shelleys Roman-Alptraum weder zu simpel noch zu pathetisch daherkommt, macht diese Musical-Kreation sehenswert. Große Begeisterung eines bunt durchmischten Publikums.

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