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LE SACRE DU PRINTEMPS. FRÜHLINGSWEIHE: v.l.n.r.: Jason Sabrou und Inmaculada Marín Lopéz. Foto: © Marlies Kross
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Der Klang aus dem Iglu – Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ mit einer Klanginstallation von Thomas Sander am Staatstheater Cottbus

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Vor 100 Jahren gelang Igor Strawinsky mit der Skandal-Uraufführung des Balletts „Le Sacre du Printemps“ in Paris der Durchbruch für ein neues Kapitel der Ballettgeschichte. Waslaw Nijinskis Choreographie folgten weit über 100 höchst unterschiedliche und zumeist eigenwillige szenische Neudeutungen, u. a. von Maurice Béjart, John Neumaier, Pina Bausch, Hans van Manen, Johann Kresnik, Tom Schilling und Sasha Waltz. Am Staatstheater Cottbus stellten Choreograph Lars Scheibner und sein Dramaturg Jacob Steinberg der 35-minütigen Ballett-Komposition eine einleitende Klanginstallation von Thomas Sander voran.

Insbesondere Pina Bausch hatte im Jahre 1975 mit ihrer vergleichsweise konventionellsten Tanztheaterarbeit neue Maßstäbe für Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ gesetzt. Jenseits des originalen Librettos von Nikolai Konstantinowitsch Rjorich, schuf sie mir dieser choreographischen Versinnlichung erotischer Spannungen zwischen Mädchen und Männern ihr meistgespieltes, auch verfilmtes (ZDF 1980), „Stück“.

Was bei Bausch und ihrem Ausstatter Rolf Borzki eine dick mit Torf bestreute Bühne und ein singuläres rotes Opfertuch war, wird bei Choreograph Scheibner und seinem Ausstatter Robert Pflanz zu einer dicht mit Lumpen bedeckten Fläche nach einem atomaren Kahlschlag. Den 46 Tänzern des Balets Russes in Paris und den 13 Paaren bei Pina Bausch stehen auf der Bühne des Kammertheaters in Cottbus nur vier Paare gegenüber.

Eine laufende Text-Projektion auf einer Halbkugel verweist den Zuschauer auf die Traumebene und auf inhärente Deutungsmöglichkeiten. Der Winter der Originalhandlung wird zu einem Winter der Apokalypse, nach der acht Überlebende die Welt neu erschaffen wollen – ganz ohne Frühlingsopfer, aber auch ohne das Gelingen einer utopischen Idee.

Zunächst bewegt sich nur ein batteriebetriebener Mini-Roboterhund, dann kramt ein erwachender Überlebender (István Farks) aus seinem Geldkoffer unter der wertlos gewordenen Währung ein selbst leuchtendes Atemgerät hervor. Er findet einen jungen Mann (Schneemann: Juan Bockamp) und belebt dann auch die unter Fetzen verschüttete Amina (Immculada Marín López) durch Mund-zu-Mund-Beatmung. Die Autistin packt einen Teddybär in ein Einmachglas. Auch nach ihrem vermeintlichen Tod klammert sich ein Mädchen (Venira Welijan) huckepack an die Schultern seines Partners (Stefan Kulhavec). Der Schneemann klebt sich Fetzen eines Buches als Maske ins Gesicht, ein Mann mit grün leuchtender Skibrille (Jason Sabrou) gemahnt in seinem Affengang an die animalischen Bewegungen in Erich Walters Düsseldorfer Choreographie dieses Stücks. Ein hängender, steiler Stoffberg entpuppt sich als Umwucherung einer Gehängten; aber auch diese erwacht zu neuem Leben und vollführt Akrobatisches am Vertikalseil (Kira: Denise Ruddock), während fünf darunter liegende Kollegen ihre Beine nach oben strecken um ihr eine neue Lebensplattform zu schaffen – einer der eindrucksvollsten Momente der Choreographie von Lars Scheibner. Die vordem reihum hilfreiche Leucht-Atemmaske versagt ihren Dienst am Kindertotenkopf einer Mutter (Jennifer Hebekerl). Die Skelettteile werden daher im Geldkoffer beerdigt, begraben unter sämtlichen dort zusammengetragenen Kleidern und Stofffetzen, so dass nunmehr ein Tanzteppichboden als bloße Grundfläche für die Tanzhandlung dient. Die vom Stoff befreite Halbkugel erweist sich als ein metallischer Iglu-Käfig: er beherbergt den Flügel, auf dem Saessak Shin und Christian Georgi Strawinskys Komposition in der Fassung für zwei Pianisten exerzieren. Die Tänzer lauschen zunächst diesen Klängen, besteigen den Igluberg und versuchen vokal gegen die Obstruktion dieser stampfenden Klänge anzukämpfen, entwickeln dann aber aus der Musik doch die Idee und Kraft für eine neue Gemeinschaft.

Die Rekonstruktion der vergessenen persönlichen Schicksale der acht Handlungsträger, welche die Choreographie erzählen will, bleibt unklar. Gleichwohl entsteht viel Raum für körpersprachliche Mittel des Tanztheaters. Panische Zappelbewegungen erinnern an Pina Bausch, laufen jedoch nicht hinaus auf einen rituellen Vorgang, auf Rausch und sexuelle Ekstase rund um die Opferung eines Mädchens. Im Gegensatz zu den kaum bedeckten Körpern der Tänzer und den nackten Brüsten des Opfers bei der Bausch, tragen die Darsteller in Cottbus – wie in Erich Walters und Heinrich Wendels Düsseldorfer Version – mehrschichtige Ganzkörpertrikots.

Der Schweriner Klang- und Videokünstler Thomas Sander hat die Klanginstallation des ersten Teils des pausenlos knapp anderthalbstündigen Abends in enger Zusammenarbeit mit dem Choreographen geschaffen. So nimmt das vorwiegend konkrete Mixtum aus Klappern, Klimpern und Herzklopfen – im Sinne einer futuristischen Filmhandlung – Bezug auf das Bühnengeschehen. Die Abfolge mit verzerrten „Mama“- und repetierenden „Makwarte“-Rufen, Zitaten von Cembalospiel und fernöstlichen Gesängen, altem Uhrwerk und Glockenschlägen, ist nicht unatmosphärisch, insgesamt aber doch recht beliebig.

Nach der Vielfalt dieser teils elektronisch erzeugten, teils elektronisch verfremdeten Klänge auf der Geräuschebene, erzeugt der puristisch stringente Rhythmus des Klaviers, zumeist im Forte, Assoziationen an eine Stummfilmbegleitung. Ohne ihre Orchesterfarben vermag die primär auf ihre Struktur reduzierte Partitur nur schwer zu tragen. Obendrein geraten im Hauptteil auch die gekonnt choreographierten und tänzerisch erstaunlich exakt umgesetzten Bewegungsabläufe redundant.

Das Skandalon der Spielvorlage wird in der Cottbuser Version nicht neu eingelöst, aber die Uraufführung erntet im ausverkauften Kammertheater seitens des Premierenpublikums viel Zuspruch.

Weitere Aufführungen: 04., 17. Oktober, 17. November, 15., 28., 31. Dezember 2013, 31. Januar, 22. Februar, 15., 31. Mai 2014.

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