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Der Leidensweg bis in die Gegenwart

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Leipziger Uraufführung von Friedrich Schenkers „Goldberg-Passion“
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Der Leipziger Schenker entwickelte und förderte – auch als Interpret und Gründungsmitglied der Gruppe Neue Musik „Hanns Eisler“ – schon zu DDR-Zeiten einen eher westlich orientierten, avantgardistischen Stil. Dennoch errang er wie kaum ein zweiter offizielle Anerkennung. Funk und Gewandhaus haben seine großen Werke uraufgeführt, unter anderem auch zum 40. Jahrestag der DDR im Schicksalsjahr ’89. Seinem musikalischen Anspruch ist Schenker dabei stets treu geblieben. Das gilt auch für die Goldberg-Passion, deren Name etwas anderes verspricht als sie hält. Einerseits ist sie eine musikalische Reflexion auf Bachs Goldbergvariationen, andererseits erzählt das Libretto des Berliner Schriftstellers Karl Mickel das Martyrium eines KZ-Häftlings – Rozenek – auf der Flucht aus dem KZ Rehmsdorf. Andeutungen auf den Leidensweg des Erlösers ergeben sich zur Genüge. Im Übrigen muss der Name des Retters von Rozenek, ein deutscher Arbeiter, der ihn versteckt, die musikalische Konzeption rechtfertigen: Arno Bach.

Das Leiden beginnt mit dem ersten Ton. Schrille Schreie zerreißen die Luft, der Chor windet sich wie ein gequälter Körper. Bibelworte deuten auf das Prinzip der Nächstenliebe, musikalisch von der Aria aus Bachs Goldberg-Variationen verkörpert. Doch das Cembalo findet keinen Anschluss zum riesigen Orchester, bleibt isoliert, gar ungehört. Das ist wohl beabsichtigt in Friedrich Schenkers „Goldberg-Passion“, einem Auftragswerk des Mitteldeutschen Rundfunks zum 10. Jahrestag des Mauerfalls, das von Chören und Sinfonieorchester des MDR im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt wurde. Der Leipziger Schenker entwickelte und förderte – auch als Interpret und Gründungsmitglied der Gruppe Neue Musik „Hanns Eisler“ – schon zu DDR-Zeiten einen eher westlich orientierten, avantgardistischen Stil. Dennoch errang er wie kaum ein zweiter offizielle Anerkennung. Funk und Gewandhaus haben seine großen Werke uraufgeführt, unter anderem auch zum 40. Jahrestag der DDR im Schicksalsjahr ’89. Seinem musikalischen Anspruch ist Schenker dabei stets treu geblieben. Das gilt auch für die Goldberg-Passion, deren Name etwas anderes verspricht als sie hält. Einerseits ist sie eine musikalische Reflexion auf Bachs Goldbergvariationen, andererseits erzählt das Libretto des Berliner Schriftstellers Karl Mickel das Martyrium eines KZ-Häftlings – Rozenek – auf der Flucht aus dem KZ Rehmsdorf. Andeutungen auf den Leidensweg des Erlösers ergeben sich zur Genüge. Im Übrigen muss der Name des Retters von Rozenek, ein deutscher Arbeiter, der ihn versteckt, die musikalische Konzeption rechtfertigen: Arno Bach. So verfällt die Musik bei dessen Erscheinen in bachselige Kantaten-Stimmung, wie auch beim Heranrücken der Roten Armee. Eine „Sinfonia“ des Orchesters bringt dazu als Kommentar ebenfalls Bachzitate, die aber in polyphonen Verdichtungen, durch böse Verzerrungen oder brutale Trommelschläge wieder erstickt werden. Auch das ist programmatisch. Neben den Bachverwertungen wirken weitere Parodien kompositorisch wie konzeptionell am überzeugendsten. Zumal auch im Libretto mittels Collagetechnik interpretierende Textzitate die Passionsgeschichte umranken. Im 3. Stück, „Chor“, spricht ein Gedicht Mickels von „Auschwitz in Farbe, Totalvision“. Schenker macht daraus eine bitterböse Satire auf die modernen Massenmedien, welche durch einen überdrehten, rhythmisch-fetzigen Background karikiert werden, was wiederum im Kontrast zu melodischen Elementen aus der Passionsgeschichte steht. Diese und ähnliche Passagen stellen zudem einen Bezug zur Gegenwart her. Ansonsten wirkt die Musik meist überladen. Eine mehr fürs Auge interessante Arbeit, am Detail zerbröselt die Großform in unaufhörliche Variationen und kontrapunktische Verschiebungen. Linien sind in Fragmente aufgesplittert, Entwicklungen enden zu schnell in einer bald gesättigten Einheitsklanglösung. Zwar sind die musikalischen Abschnitte den verschiedenen Texten des geschickt zusammengestellten Librettos angepasst, doch eine weiter zergliedernde Binnenstruktur lässt nie großzügige Kontraste zu.

Faszinierend ist dagegen, den Evangelisten mit einem Countertenor zu besetzen und die Rolle buchstäblich zu überhöhen. Der Taumel zwischen singender Falsett- und sprechender Baritonstimme zeigt zudem die Gebrochenheit Rozeneks. Doch die Begleitung durch ein die Orgel imitierendes Orchester ist oft übergewichtig. Das zwingt Solisten, wie Stefan Brandt als Rozenek, zu einem permanenten Singen gegen die Brandung.

Dirigent Johannes Kalitzke sorgte für eine konzentrierte und rhythmisch klar strukturierte Gestaltung. Bei einer bis zu 60-stimmigen Polyphonie ist die vor allem auf die Schlagzeuger angewiesen, die sich auch prächtig durchschlugen.

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