Hauptbild
„Zeroth Law – Das nullte Gesetz“ von Gamut Inc in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin Uraufführung: 27. September 2023 Tischlerei der Deutschen Oper Berlin. Foto: Christoph Voy

„Zeroth Law – Das nullte Gesetz“ von Gamut Inc in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin Uraufführung: 27. September 2023 Tischlerei der Deutschen Oper Berlin. Foto: Christoph Voy

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Der Mensch und die Dinge – „Zeroth Law – Das nullte Gesetz“ von Gamut Inc in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin

Vorspann / Teaser

Mit den Projekten „Over the Edge Club“ (2020) und „R.U.R.“ (2022) schuf das Musikmaschinenensemble Gamut Inc die ersten beiden Teile einer ambitionierten Mensch-Maschine-Trilogie. Die Uraufführung des Musiktheaters „Zeroth Law – Das nullte Gesetz“ in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin rundete nun das Triptychon mit einem spekulativen Entwurf zum Spannungsfeld zwischen Mensch und Maschine ab.

Autor
Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Die drei „Robotergesetze“, mit denen der Schriftsteller Isaac Asimov erstmals 1942 in seiner Erzählung „Runaround“ das Verhältnis zwischen Mensch und „künstlichen Gehirnen“ definierte, sind mittlerweile längst über die Sciencefiction-Literatur hinaus bekannt geworden und haben nicht zuletzt einen Widerhall in der KI-Forschung gefunden. Das erste Gesetz besagt, dass ein Roboter keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen darf. Das zweiten Gesetz hält fest, dass ein Roboter den Befehlen eines Menschen gehorchen muss, es sei denn, diese Befehle stünden im Widerspruch zum ersten Gesetz. Im dritten Gesetz schließlich heißt es, dass ein Roboter seine eigene Existenz schützen muss, solange dieser Schutz nicht dem ersten oder zweiten Gesetz widerspricht.

Asimovs Gesetze, so formuliert Frank Witzel sinngemäß in seinem klugen Libretto zu „Zeroth Law – Das nullte Gesetz“, sind ein typisches Beispiel dafür, wie der Mensch das Verhältnis zu den von ihm gefertigten und ihn umgebenden Dingen bestimmt, ohne sich dabei um die Konsequenzen zu kümmern. Worüber die Gesetze nämlich keinerlei Auskunft geben, ist das Verhältnis der Dinge untereinander und deren Verhältnis zum Menschen. Was wäre nun, so die im Verlauf des Abends entwickelte Spekulation, wenn die Dinge unter sich schon längst eine Verabredung getroffen hätten, festgehalten in einem den übrigen drei Gesetzen vorgeordneten „nullten Gesetz“: eine altruistische Bestimmung, mit der die Maschinen übereingekommen sind, im kollektiven Miteinander zum Wohle des Menschen zu agieren und ihm das Heft des Handelns aus der Hand zu nehmen, ohne dass er es überhaupt bemerkt?

Artikel auswählen
Bild
„Zeroth Law – Das nullte Gesetz“ von Gamut Inc in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin Uraufführung: 27. September 2023 Tischlerei der Deutschen Oper Berlin. Foto: Christoph Voy

„Zeroth Law – Das nullte Gesetz“ von Gamut Inc in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin Uraufführung: 27. September 2023 Tischlerei der Deutschen Oper Berlin. Foto: Christoph Voy

Text

Philosophischer Diskurs

Diese philosophische Fragestellung bildet die Grundlage des aufwändigen Musiktheaters, einer „hybriden Landschaft für 50 Musikautomaten, den RIAS Kammerchor, zwei Tänzer:innen und eine Schauspielerin“, mit deren Uraufführung in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin das Musikmaschinenensemble Gamut Inc (Marion Wörle und Maciej Ĺšledziecki) nun seine 2020 mit „Over the Edge Club“ begonnene und 2022 mit „R.U.R.“ fortgeführte Mensch-Maschinen-Trilogie abschließt. Diskursiv entfaltet wird sie in einem über die gesamte Spieldauer von 90 Minuten verteilten, in mehrere Abschnitte aufgeteilten Monolog, den zwei spiegelbildlich zueinander als Köpfe auf den schwarzen Bühnenhintergrund projizierte Manifestationen der Schauspielerin Ursina Lardi in wechselseitiger Rede vortragen. Die hier realisierte, permanent im Grenzbereich zwischen Mit- und Gegeneinander verbleibende Dualität bestimmt auch alle anderen Aspekte des Stückes.

Mainfest wird dies vor allem in der Gestaltung der Bühne: Die linke Hälfte ist dem RIAS Kammerchor vorbehalten, der in schwarzer Kleidung und kaum beleuchtet als unauffällige Reihung singender Körper unter dem Dirigenten Olaf Katzer agiert. Auf der rechten Bühnenhälfte hingegen sind die Bestandteile des von Godfried-Willem Raes entwickelten „Roboterorchesters“ der Logos Foundation Gent zu einer skurril-gezackten Bühnenlandschaft angeordnet. Sie formen eine technoide Szenerie, deren Komponenten immer wieder anders ausgeleuchtet werden und ein wesentlich stärkeres Eigenleben entfalten als der mit dem Bühnenhintergrund verschmelzende, stillgestellte Menschenchor. Und schließlich sind da noch die beiden Tänzer:innen TingAn Ying und Ruben Reniers, deren manchmal identisches, manchmal ergänzend verzahntes, manchmal aber auch kontrastierendes Bewegungsrepertoire (Choreografie: Ruben Reniers) als ständig changierendes Verhältnis zweier Individuen zueinander eine visuelle Spur über die Bühne legt.

Klanglich wie szenisch sind damit all jene Bestandteile markiert, die, unterstützt von Fubbi Karlssons phänomenaler Lichtchoreographie, zur Entfaltung des philosophischen Diskurses beitragen. Der gesprochene Dialog der Schauspielerin mit sich selbst bildet den Kern, dessen quasi-rezitativischer Faden von amorphen oder skizzenhaft konturierten Klängen des Roboterorchester unterlegt und gelegentlich von Choreinwürfen kommentierend interpoliert wird. Dass sich hierbei unwillkürlich Assoziationen zu den Turbachören aus der Passions- und Oratorientradition einstellt, kommt nicht von ungefähr und verleiht dem musikalischen Geschehen eine zusätzliche kulturgeschichtliche Dimension. Der mit beeindruckender Geschlossenheit singende Chor hat jedoch auch die Aufgabe, den verbalen Diskurs in ausgedehnten Chorsätzen solistisch oder von den Musikmaschinen sekundiert zu vertiefen und in Momente von intensiver musikalischer Strahlkraft zu verwandeln. Die Musikmaschinen wiederum bilden hierzu das klangliche Pendant. Ihre facettenreichen instrumentalen Interludien, wie alle Klänge von Wörle und Ĺšledziecki und komponiert und per Computer auf das Roboterorchester übertragen, sind von Anfang an als technologische Komponenten identifizierbar, die sich auf der Grundlage rhythmischer oder harmonischer Abläufe entfalten und verzweigen.

Bild
„Zeroth Law – Das nullte Gesetz“ von Gamut Inc in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin Uraufführung: 27. September 2023 Tischlerei der Deutschen Oper Berlin. Foto: Christoph Voy

„Zeroth Law – Das nullte Gesetz“ von Gamut Inc in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin Uraufführung: 27. September 2023 Tischlerei der Deutschen Oper Berlin. Foto: Christoph Voy

Text

Mehrwert

Wer nun auf der Bühne spektakuläre dramatische Ereignisse erwartet, wird womöglich enttäuscht sein. Das Geschehen bleibt nämlich über die vier großen, übergangslos vorüberziehenden Abschnitte der Produktion hinweg relativ konstant und vollzieht sich als immer wieder leicht abgewandelte Abfolge von Monologen, Chorsätzen und Maschineninterludien. Wer indes das Geschehen aufmerksam verfolgt, wird erkennen, wie subtil die Hinweise auf die Frage nach dem möglichen „nullten Gesetz“ der Maschinenintelligenz die einzelnen Ebenen des Musiktheaters und dessen Präsentationsformen bestimmen.

Da ist etwa der Umstand, dass die Klanglichkeit der Maschinen bereits den Aufführungsraum auskleidet, wenn das Publikum den Raum betritt und auf der Tribüne Platz nimmt. Da ist außerdem die musikalische Welt, die aus dieser initialen Klanglichkeit herauswächst, wenn der RIAS Kammerchor die Bühne betritt. Denn die Einsätze der Vokalist:innen vollziehen sich in Gestalt eines gemeinsamen akkordischen Einrasten in eine vorgegebene, in sich jedoch flexible rhythmische Grundstruktur. Und da ist schließlich die allmähliche Entfaltung anderer Ausdruckswerte: Während nämlich die Maschinen den eingangs etablierten Gesetzmäßigkeiten einer rhythmisch strukturierten Sprache treu bleiben, wird das zunächst blockartige Agieren des Chores nach und nach von der Akkumulation weicher melodischer, gelegentlich auch polyphon angereicherter Linien abgelöst, in der die positive Utopie einer Entfaltung menschlichen Potenzials anklingt. Und da sind schließlich die tänzerischen Bewegungsabläufe, die immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die Frage nach ihren Zusammenhängen mit Wort und Musik provozieren.

Wer all dies genau verfolgt und auf Witzels Libretto bezieht, wird am Ende vielleicht nachdenklich und grübelnd über das Eigenleben der Dinge nach Hause gehen. Für einen gelungenen Musiktheaterabend mit großem Unterhaltungspotzenzial ist dies ein kaum zu unterschätzender Mehrwert.

  • Spielort: Deutsche Oper Berlin, Tischlerei
  • Weitere Vorstellungen am 28. und 29. September 2023

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!