Hauptbild
Euridice - Die Liebenden, blind. Foto: Ruth Walz
Euridice - Die Liebenden, blind. Foto: Ruth Walz
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Der Mythos in Zeiten von Corona – Manfred Trojahns jüngste Oper in Amsterdam uraufgeführt

Publikationsdatum
Body

Wie sich die europäische Pandemie auf unser kulturelles Leben auswirkt, ist vielfach in den Feuilletons beschrieben worden. Es ist jedoch das Eine, Lebensumstände intellektuell zu verarbeiten und ein Anderes, sich ihnen auszusetzen. Der Besucher aus Deutschland, der Manfred Trojahns jüngste Oper „Euridice. Die Liebenden, blind“ an der Amsterdamer Oper erleben durfte, spürt unmittelbar Veränderungen, die die Andersartigkeit der Nach-Corona-Zeit mit sich bringen werden.

Vorgegebenes auf den Kopf zu stellen, scheinbar Vertrautes zu hinterfragen, kennzeichnet auch die jüngste Oper Manfred Trojahns. Nach Orest (2011) hat sich der Komponist wiederum mit einem mythischen Stoff beschäftigt und ihn in substanzieller Weise aktualisiert. Die Geschichte von Orpheus und Eurydike wurde in der europäischen Operngeschichte unzählige Male dramatisiert. Vom Opernreformer Christoph Willibald Gluck bis zum Can Can König Offenbach reicht die Palette der Bearbeitungen.

Trojahns Ansatz ist ein radikaler, der das Verhältnis von Mann und Frau grundsätzlich beleuchtet. Bei ihm steht nicht der mythische Sänger/Künstler Orpheus im Mittlepunkt. Die Oper lenkt unser Augenmerk auf die Vorstellungen und Lebenserwartungen von Eurydice, die als Frau mit feministischen Überzeugungen die Bühne beherrscht.

Es ist Eurydice, die das Geschehen bestimmt. Sie hat genug vom Leben, zu viel erlebt, als dass sie die Schwüre und Verführungskünste der Männer noch an sich herankommen lässt. Das muss neben Orphée auch Pluton erfahren, und so ist es nur folgerichtig, dass am Ende Eurydice die Unterwelt nicht mehr verlassen möchte und Orphée „tot“ zurückbleibt.

Musikalisch befindet sich Manfred Trojahn, sowohl was den fein austarierten Orchesterklang, aber auch die subtile Stimmführung der Protagonisten betrifft, auf dem Höhepunkt seiner Könnerschaft. Was er will, gelingt ihm und das hört man auch. Die knapp zweistündige Oper, mit 81 Instrumentalisten groß besetzt, ist aus einem Guss ohne Brüche oder Längen. Wie in den Opern eines Richard Wagner ist auch hier die Musik der subtile Kommentator des Bühnengeschehens und vermittelt den Zuhörern das Innere der handelnden Personen.

Erstklassig auch die dramaturgische Umsetzung. Für die Regie zeichnet Pierre Audi verantwortlich, dem eine präzise Personenführung gelingt. Das Bühnenbild verbindet monumentalen Realismus mit spektakulären Lichteffekten.

Der Orphée des André Schuen ist gekennzeichnet von jugendlicher Frische. Julia Kleiter (Eurydice), überzeugt in ihrer ersten zeitgenössischen Rolle und wird präzise begleitet von Thomas Oliemans (Pluton) und Katia Ledoux (Proserpine). Einen maßgeblichen Anteil an dem großen Erfolg dieser Opernaufführung haben der Dirigent Erik Nielsen und das Nederlands Philharmonisch Orkest, die die ästhetischen Feinheiten der Orchestersprache Trojahns klanglich präzise umzusetzen verstehen.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Eurydice bald auch auf deutschen Bühnen heimisch wird.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!