Hauptbild
Entführung aus dem Serail an der Staatsoper Unter den Linden im Schiller-Theater. Foto: Monika Rittershaus
Entführung aus dem Serail an der Staatsoper Unter den Linden im Schiller-Theater. Foto: Monika Rittershaus
Hauptrubrik
Banner Full-Size

In der nahen Fremde – Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ an der Staatsoper in Schillertheater

Publikationsdatum
Body

Als ein drastisch reduzierter Gegenentwurf zu Calixto Bieitos überaus erfolgreicher, sexistischer Inszenierung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“, im Jahre 2004 an der Komischen Oper Berlin, folgte fünf Jahre später an der Staatsoper Unter den Linden die Inszenierung des Schauspielregisseurs Michael Thalheimer mit stark veränderten Dialogen. Die Aufregung über die polyglotte Neufassung der Dialoge hat sich bei der Wiederaufnahme, zweieinhalb Jahre später, nunmehr im Schillertheater, gelegt: das Publikum nimmt die intensive, über Strecken hin fast konzertante Aufführung als ein Stimmenfest.

Die Wiederaufnahme ist präzise einstudiert. In zwei Ebenen, horizontal getrennt in Oben und Unten (Bühnenbild: Olaf Altmann), aber mehr noch auf der Vorbühne und an den Seiten des Proszeniums, wie auch vor dem Orchestergraben erfolgen Aktionen in deutlicher Reduktion.  Nur bei der Verführung Osmins durch Wein setzt der Regisseur durch versprühten Sekt als Mittel des Geruchstheaters ein. 

Aus der dritten Reihe des Publikums richtet Belmonte, ebenso weiß gewandet, wie der konzeptionell stark aufgewertete Gegenspieler Bassa Selim, seine Frage an den keineswegs kahlköpfigen Osmin, der in Trainungshose und Offiziershemd, aber mit blutigen Handflächen, die Vorderbühne bewacht. Auch Belmonte will auf die Bühne, denn die ist das Serail – und dem kann keiner ganz entfliehen, außer dessen Beherrscher Bassa Selim (grüngrau geschminkt und mit goldenem Bart, im Diktatorstil brambassierend, der DT-Schauspieler Sven Lehmann). Der verlässt auch türenschlagend das Auditorium. 

Um so störender, wenn der Schlagzeuger während der pausenlosen Aufführung den Graben und das Theater zum individuellen Pausieren ebenfalls über die erste Saaltüre verlässt.

Im Schillertheater wirken die Contrelicht-Schatten der Gestalt des Osmin auf der Proszeniumswand wie die des Nosferatu im Stummfilm.

Sitzend singt Konstanze die Martern-Arie, bei deren ausgiebigem Vorspiel Bassa Selim ihr Unhörbares ins Ohr flüstert. Keine Wachen überraschen die Liebenden auf der Flucht; hinter der sich öffnenden Courtine sind die Paare bereits an Stühle gefesselt.

Dem polyglotten Dialogisieren aller Darsteller kommt entgegen, dass Belmonte nunmehr mit einem farbigen Tenor besetzt ist: Kenneth Tarver singt und spielt mit müheloser Leichtigkeit und angenehmem Timbre. Andreas Hörl hat von Maurizio Muraro die Partie des Osmin übernommen, wobei das beibehaltene italienische Radebrechen wenig zwingend erscheint. Außer Bassa Selim sind, wie mit der Premiere, die Rollen von  Konstanze, Blonde und Pedrillo besetzt. 

Christine Schäfer, im schulterlosen weißen Kleid, mit hervorscheinendem, rotem Untergewand (Kostüme: Katrin Lea Tag), leiht der Konstanze makellose Intonation, aber wenig dramatische Intensität – und leider auch nur mangelnde Textverständlichkeit. Der diesmal erfolglose Blick des Zuschauers nach oben, zu den hier fehlenden Übertiteln, macht deutlich, wie rasch Übertitelungsanlagen im Musiktheater zu einer selbstverständlichen Hilfe bei Textunverständlichkeiten geworden sind. Anna Prohaska als schwarzhaarige Blonde im Pink-Kleid ist dramatisch überbordend, aber ebenfalls wenig textverständlich. Ein positives Beispiel für Textpräzision bietet Florian Hoffmann als kerniger Pedrillo, dem es aber leider an Höhe fehlt, wobei auch das Auf-den-Stuhl-Steigen nicht hilft, das hohe A in der Arie Nr. 13 zu erwischen.

In Militarylook-Schminke, schwarz gewandet und auch im statischen Spiel eher farblos bleibt an diesem Abend der Staatsopernchor. 

Die Staatskapelle Berlin spielt im halbhoch gefahrenen Graben sehr sauber. Etwas zu laut sind im Schlagwerk auf der rechten Seite die Besenschläge der Janitscharenmusik. 

Überlange Generalpausen in Konstanzes erster Arie und in der Tenor-Arie im dritten Akt gehen wohl ehr auf das Konto des Regisseurs als auf jenes des Dirigenten Christopher Moulds, der Mozarts nunmehr zweihundert dreißig Jahre alte Partitur mit Verve angefrischt, akkurat vergegenwärtigt.  

Weitere Aufführungen: 7., 10., 14. Januar, 18. und 20. Mai 2012

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!