Wie die Drehbühne sich auch bewegt: Josef K. landet immer wieder im gleichen Raum. Auch wenn dieser mal aussieht wie seine Wohnung oder wie die Straße oder wie die schließfachgepanzerte Bank, in der er arbeiten müsste – Josef K. befindet sich in der Dauerschleife eines Prozesses, dessen Hintergründe auf albtraumhafte Weise diffus bleiben.
Für den Ausnahmezustand, verhaftet und doch auf „freiem Fuß“ zu sein, hat Regisseur und Ausstatter Sebastian Ritschel, seit dieser Spielzeit Intendant am Theater Regensburg, ein schlüssiges Bühnen-Bild gefunden. In diese klaustrophobische Situation platzen die übrigen Figuren als skurril überzeichnete, beängstigende Typen herein.
Ritschel unterstreicht damit den ironisch-sarkastischen Tonfall, den Gottfried von Einem in seiner Kafka-Oper von 1953 über weite Strecken anschlägt. Ob es nun an der reduzierten Orchesterfassung liegt (pandemiebedingt für die Radebeuler Produktion derselben Inszenierung von 2021 entstanden) oder an der mangelnden Tagesform des Philharmonischen Orchesters unter Tom Woods an diesem 5. Oktober: von Einems Stilmix aus (gewollt?) abgegriffenen spätromantischen Gesten für die vielen weiblichen Verführungen, steifen „Jazz“-Anklängen und doppelbödig pompösem Auftrumpfen in der Gerichtsszene entwickelt kaum beklemmende Sogkraft.
Musikalisch blass bleibt vor allem Protagonist Josef K., mit dem leider auch Regisseur Ritschel wenig anzufangen weiß. Im Kontrast zum schillernden, in Kostümen und Bewegungspräsenz scharf gezeichneten Personenkaleidoskop um ihn herum bleiben für den gut singenden Daniel Pataky nur die immer gleichen Verzweiflungsgesten. Da geben die digitalen Gesichter in Auflösungserscheinungen (Videodesign: Sven Stratmann) eine stärkere Ahnung vom gepeinigten Seelenzustand.
Innerhalb eines guten Ensembles füllen an diesem Abend Benedikt Eder (u.a. als Advokat) und die kurzfristig eingesprungene Franziska Abram als Fräulein Bürstner ihre Rollen besonders prägnant aus. Ihnen allen stiehlt am Ende aber Seymur Karimov als Geistlicher in grellem Bischofsornat stimmgewaltig die Show: Die – bis auf den zwischenzeitlichen Monolog Josef K.s – auch musikalisch stärkste Szene bringt die diffuse Gemengelage aus religiös induzierten Schuldkomplexen auf den Punkt. Auch für das trostlos offene Ende findet von Einem dann schließlich doch noch einen ganz eigenen Tonfall. Ein wenig spät, um die Produktion über den Status einer interessanten Ausgrabung hinauszuheben.