Pessimismus ist angesagt. In eine „dunkle Richtung“ hat sich die Erde in den letzten 50 Jahren weitergedreht, glaubt die Schriftstellerin Christa Wolf. Hoffnung kann da nur etwas Ungewisses, schwer zu Fassendes sein. Auch Kunst kann nur Denkanstöße geben, nicht verändern. Dieses Lebensgefühl hat sich gerade bei denjenigen verbreitet, die wenigstens Sand ins Getriebe streuen wollten, darunter auch die hellsichtigeren Augenzeugen des für gescheitert erklärten Experiments Sozialismus. Wie Christa Wolf ist auch Georg Katzer nicht mehr von einer Aufwärtsbewegung der Geschichte überzeugt – eine Gemeinsamkeit der Autorin und des Komponisten, der dem historischen Sujet ihrer „oratorischen Szenen“ „Medea in Korinth“ eine seltsam zeitlose Aktualität verleiht und Text und Musik in seltener Übereinstimmung zusammenführt.
Pessimismus ist angesagt. In eine „dunkle Richtung“ hat sich die Erde in den letzten 50 Jahren weitergedreht, glaubt die Schriftstellerin Christa Wolf. Hoffnung kann da nur etwas Ungewisses, schwer zu Fassendes sein. Auch Kunst kann nur Denkanstöße geben, nicht verändern. Dieses Lebensgefühl hat sich gerade bei denjenigen verbreitet, die wenigstens Sand ins Getriebe streuen wollten, darunter auch die hellsichtigeren Augenzeugen des für gescheitert erklärten Experiments Sozialismus. Wie Christa Wolf ist auch Georg Katzer nicht mehr von einer Aufwärtsbewegung der Geschichte überzeugt – eine Gemeinsamkeit der Autorin und des Komponisten, der dem historischen Sujet ihrer „oratorischen Szenen“ „Medea in Korinth“ eine seltsam zeitlose Aktualität verleiht und Text und Musik in seltener Übereinstimmung zusammenführt. Der blutige Stoff war schon immer äußerst beliebt: Komponisten aus drei Jahrhunderten, von Francesco Cavalli („Giasone“, 1649) über den Callas-Favoriten Cherubini bis zu Darius Milhaud („Medée“, 1939), zeigten sich vom Drama um die Frau fasziniert, die ihre verratene Liebe furchtbar rächt, sogar mit dem Mord an den eigenen Kindern. Dabei stützten sie sich ausnahmslos auf die Version des Euripides. Schon im Roman „Medea. Stimmen“ von 1996, nach dem das Libretto entstand, vertritt Wolf eine „emanzipiertere“ Lesart, nach der nicht die hysterische Megäre einfach durchdreht, sondern eine Frau sich weigert, ihr Denken und Fühlen zum Schweigen zu bringen. In Korinth, wohin es die kolchische Königstochter und Jason, für den sie das Goldene Vlies raubte, verschlug, ist dies die Beschwichtigung eines Aufruhrs – Machterhalt – durch ein Menschenopfer. Die Kinder werden von der hasserfüllten Menge gesteinigt, Medea verjagt. Ausgrenzung Andersdenkender, der Sündenbock, auf den eigenes Fehlverhalten projiziert wird, Verdrängung und Erinnerung sind so die Themen, welche die antike Gestalt „zu unserer Zeitgenossin“ machen.In zweifacher Hinsicht ist Katzer mit seiner Vertonung ein wichtiges Werk gelungen, eines, das der von ihm gewohnten Musiksprache zunächst wenig entspricht: Äußerste Reduktion der Mittel trägt ebenso der textlichen Verknappung wie den Aufführungsbedingungen Rechnung. Denn es handelt sich hier um das Auftragswerk eines Laienchores: Mit seiner Uraufführung beging die traditionsreiche Berliner Singakademie ihr 200-jähriges Bestehen, zugleich eine mutige Saisoneröffnung im Berliner Konzerthaus unter dem Motto „Mythen und Musik“. Die Herausforderung neuer ungewohnter Singtechniken, schwer zu verortender atonaler Klänge und eines reichhaltigen Geräuschspektrums bestanden die Sänger und Sängerinnen unter ihrem Chordirektor Achim Zimmermann mehr als glänzend. Da wird gezischt und geflüstert, im Sprechgesang verwickeltes rhythmisches Geflecht angesteuert, ausladendes Glissando mit Aufschreien durchsetzt. Denn der Chor ist nicht nur Kommentator, sondern auch Handlungs- und Ausdrucksträger. Er stellt die korinthische Volksmenge dar, deren „Stopf ihr den Mund“ dem alten „Kreuziget ihn“ entspricht. In hoch expressiven, weit gespannten Akkorden besingt der Chor die Kernaussage: „Was geschehen soll, ist ohne uns beschlossen. Wir sehen keinen Ausweg, der nicht neues Unheil brächte“, in sanft schmelzendem, in engen Reibungen gesetztem Choral die absolute Resignation und Echolosigkeit zum Schluss: „Es bleibt der Himmel stumm und auch die Erde schweigt.“ Äußerste Reduktion und Sparsamkeit prägt auch den Orchesterpart – was Virtuosität des vorzüglichen Berliner Sinfonie-Orchesters durchaus einschließt. Klangsensibel, dabei äußerst wirkungsvoll den jeweiligen emotionalen Ausdruck treffend, ist alles gehalten, von hervorragender Balance. Doch Reduktion bedeutet hier noch mehr. Die Katzersche Vitalität, die sich noch im letzten Musiktheaterwerk „Der Maschinenmensch“ so farbenprächtig und mitreißend aggressiv aussprach, erscheint gebrochen, gleichsam eingedampft, nach innen gewendet. Ein Anspruch auf Modernität, auf Innovation wird nicht mehr erhoben. Und doch bleibt ein „zeitgenössischer“ Tonfall gewahrt. Traditionelle Anklänge durchziehen das ganze Werk, ohne direktes Zitat zu sein. Die fallende Sekunde, an Brennpunkten wie leitmotivisch eingesetzt und häufig von der Oboe vorgetragen, gibt ihm den Klageton. „Geradezu unanständig melodiös“ nannte Katzer den Part der Medea, den Annette Markert mit melancholischer Wärme erfüllte. „Störfall“ – auch musikalisch – ist Medea gerade durch ihr Streben nach Harmonie. Besonders anrührend ihr Dialog mit der Königstocher und Rivalin Glauke, die sich in fieberhaften Sprüngen und Spitzentönen (herausragend: Julie Moffat) der schmerzhaften Erinnerung stellt, während Jason sich mit Heldentenor (Robert Künzli) in die bewusstlose Brust wirft. Das schwankt zwischen Distanz und Identifikation.
Mit viel Raffinement setzt der Komponist seine avancierten Mittel zur unmittelbaren Verständlichkeit ein. Dass wir uns in immer gleichen Bahnen wie Sisyphos mit dem Stein des Fortschritts abmühen, teilt sich darin umso nachdrücklicher mit.