Schwer zu sagen, warum Bruno Maderna zu den nur selten aufgeführten Komponisten der Nachkriegszeit gehört. Wichtige Kompositionstechniken der in den 50er-Jahren entstehenden Neuen Musik hat er erprobt, vorangetrieben oder aufgegriffen. Der Malipiero-Schüler ist nicht nur einer der Initiatoren der seriellen Musik in Italien und einer der frühesten Vertreter der Elektronischen Musik. Er zählt auch zur ersten Dozenten-Generation der Darmstädter Ferienkurse, wo er jahrelang Ensembleprojekte leitete, und hat ähnlich wie Pierre Boulez Anteil an der Institutionalisierung der Neuen Musik, indem er 1955 mit Luciano Berio nach dem Vorbild des elektronischen Studios in Köln das Studio di Fonologia Musicale in Mailand gründete.
Die zweite Klangbiennale des Hessischen Rundfunks dem „Satelliten“ Maderna zu widmen, ist gleich in mehrerlei Hinsicht sinnvoll: Zum einen vollendet das HR-Sinfonieorchester unter Arturo Tamayo im kommenden Frühjahr das achtbare Unterfangen, Madernas sämtliche Orchesterwerke einzuspielen. Zum anderen war Maderna in der Rhein-Main-Region auch phasenweise wohnhaft, in den 60er-Jahren ließ sich der 1920 geborene Italiener in Darmstadt nieder und verbrachte dort seine letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod 1973. Ein Grund für die unterdurchschnittliche Präsenz Madernas ist sein weitgehender Verzicht auf theoretische Grundlegung seiner Arbeit – und das lautstarke Reklamieren von Pioniertaten. Ein weiterer Grund klang in einem der Werkstattgespräche an, die das Biennale-Programm flankierten. Maderna, so Björn Gottstein, habe oft etwas zu früh oder zu spät gemacht.
Tatsächlich verliert Maderna vor allem im genrebezogenen Vergleich mit zeitgenössischen Kompositionen seiner Kollegen: In seiner „Musica su due dimensioni“ (1952) werden durch ein permutatives Verfahren verbundene Abschnitte von Soloflöte und Tonband hintereinander gesetzt; die Möglichkeit, das Soloinstrument mit sich selbst in Dialog treten zu lassen, wie es Luciano Berio in seiner ab 1958 entstandenen „Sequenza“-Folge tut, steht hier noch in den Sternen. Madernas zweifellos innovativer Ansatz der elektronischen Reihenpermutation tritt dahinter zurück – wie den elektroakustischen Werken des Nachtkonzerts ohnehin der Gestus der Fingerübung anhaftete. Aleatorischen Prinzipien widmete sich Maderna dagegen erst relativ spät, 1969, lange nach Cages und Stockhausens spektakulären Arbeiten. Manches wiederum war in diesen Jahrzehnten einfach verpönt, trotzdem hielt Maderna daran fest: an der immer wiederkehrenden Bezugnahme zur Alten Musik zum Beispiel, mit der er sein Spektrum erweiterte und die aus heutiger Sicht zu seinem Profil beiträgt.
Statt auf die üblichen überregional tätigen Ensembles der Szene setzten die Festivalmacher auf eine wohl abgewogene Balance verschiedener Formationen aus dem Umkreis der hr-Musiker, darunter das hauseigene Ensemble für Neue Musik und das Hába Quartett. Der unkomplizierte Zugriff auf Ressourcen erleichterte die programmatische Konzentration. Satellitenartig mag Madernas Kreisen im Kosmos der sich eben formierenden Neuen Musik gewesen sein, satellitenartig umkreisten ihrerseits Werke zeitgenössischer oder aktueller Komponisten themenbezogen den Planeten Maderna an den beiden Festivaltagen: im Kammerkonzert mit dem Bärmann Trio unter der Vorgabe, ältere Musik zu integrieren, etwa „Trio 3“ von Michael Reudenbach mit sparsamer, allmählich sich ausweitender, auf wenigen Tönen beruhender Klanggestik oder Wolfgang Liebharts „response“ auf zwei Zitate des spanischen Renaissancekomponisten Tomás Luis de Victoria. Äußerst pfiffig, Madernas titelgebende aleatorische „Serenata per un satellite“ von 1969 gleich in drei Versionen zu präsentieren, von der vorüberhuschenden Kammerorchester-Miniatur bis zur groovigen Bigband-Version, der Dirigent Örjan Fahlström ein schwedisches Epos vorangestellt hatte. Wunderbar auch die Idee, Hans-Joachim Hespos einen Auftrag für eine Bigband-Komposition zu erteilen: Denn Hespos, der in den letzten Jahren Form für Form den klassischen Kanon demontiert hat, nutzt tatsächlich die Möglichkeiten der Band optimal. Der von hr-Redakteur Stefan Fricke 2008 eingeführte Klangkunst-Schwerpunkt war mit Arbeiten von Beate Olbrisch und Johannes S. Sistermanns vertreten, die letztere gab Anlass zu medienästhetischen Überlegungen: Im australischen Bergdörfchen „Blinman“ aufgenommene Outback-Geräusche und Videoaufnahmen der Gegend, die vom Cellisten Friedrich Gauwerky ad hoc in Naturgeräusche verwandelt wurden, ergaben mit vorproduzierten Celloklängen eine multiperspektivische Bild-und-Klang-Collage. Im abschließenden zweiten Orchesterkonzert trat Luca Francesconis Trompetenkonzert „Hard pace“, nicht zuletzt Hommage an Miles Davis und vorzüglich gespielt von Håkan Hardenberger, Madernas „Quadrivium“ für vier Schlagzeuger und vier Orchestergruppen an die Seite. Elemente von Klangkomposition und Aleatorik (in „Happening“-Passagen weist der Dirigent durch Zeichengebung die Musiker an, eine von mehreren Realisationsmöglichkeiten zu wählen) verbindend, rekurriert der Venezianer Maderna hier auf die Tradition der Mehrchörigkeit, ein würdiger Abschluss für zwei in ihrer Vielfalt von Bezügen äußerst anregende Tage.