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„Jeder Mensch, der sich mit Musik beschäftigt, sollte eigentlich auch komponieren können“ – Von Träumen und Utopien ließ sich Hans Werner Henze schon immer gern verführen. Aber er tat auch stets etwas für ihre Verwirklichung. Basisarbeit heißt für ihn das Stichwort. Schon früh hat er damit im toskanischen Montepulciano begonnen. Dort baute er aus dem Nichts ein Musikleben auf, das heute blüht und gedeiht. Zweimal arbeitete er in den achtziger Jahren mit Laien in der Steiermark: In Mürzzuschlag stellte er mit Arbeitslosen eine Rock-Oper auf die Beine.
Wenig später führte er in Deutschlandsberg mit Kindern eine gemeinsam komponierte Oper auf, nach einem Libretto von Elfriede Jelinek. Bei der Münchener Biennale erfand er die „Komponistenschule für Amateure“. Jetzt arbeitete der 71jährige Komponist erstmals mit Musiklehrern. Beim Schleswig-Holstein Musik Festival initiierte und leitete er einen Workshop: „Komponieren in der Schule“. „Ich habe eine Freude daran, anderen von meiner Freude ein Komponist zu sein, etwas mitzuteilen. Ich bin kein Pädagoge, sondern ein Menschenfreund.“ Hans Werner Henze meint das ernst, er lebt es. Und er schafft dafür optimale Bedingungen. Es begann mit der Wahl des Ortes. Abgeschieden vom städtischen Wirbel, ruhig liegt die Tagungsstätte Nordkolleg, nahe am Nord-Ostsee-Kanal, eine weitflächige Gartenanlage mit vielen kleinen Nischen und Rückzugsmöglichkeiten. Hier ging er in Klausur mit den neun Teilnehmern, ausschließlich Männer, alle Musiklehrer in Schleswig-Holstein. Für jeden nahm er sich viel Zeit. Eine ausgedehnte Kompositionsstunde, Spaziergang und ein gemeinsames Essen mit dem Schüler. „Der beste Einfluß ist das persönliche Engagement eines liebenden Lehrers“, sagte der Komponist. Kursteilnehmer Manuel Pabst resümiert: „Das Vertrauen, das Henze in uns alle gesteckt hat, daß wir komponieren können, daß wir etwas schaffen können und es zu Ende bringen. Das war die wichtigste Erfahrung. Außerdem sein Lebensgefühl, seine Offenheit gegenüber Neuem, die Fähigkeit, Emotionen zuzulassen und die Empathie, mit der er sich auf jeden einstellte.“
Methode? Ein Wort, das Hans Werner Henze gar nicht mag, er habe pädagogischen Eros. Situationen schaffen, in denen der Schüler sich wohlfühlt, in denen er Zugang zu sich bekommt. Die Scheu nehmen vor dem dunklen Bereich der Seele, „wo die Ängste wohnen, aber auch die Klänge und die Phantasie.“ Für Henze muß sich der Musikunterricht mit dem Wichtigsten beschäftigen, was es gibt, der menschlichen Seele. „Die Musik beginnt dort, wo die Worte aufhören“. Der Satz von Paul Valéry ist das Motto für Hans Werner Henzes Unterricht, ebenso wie der Ausspruch Leonardo da Vincis: „Die Musik stellt die Dinge dar, die man nicht sehen kann.“ Die alltäglichen großen und kleinen Dinge, Freud und Leid, was jeder erlebt. Mit einem selbstverfaßten Gedicht sollten die Kursteilnehmer in die Kompositionsstunde kommen. Fast alle hatten es schon als Lied vertont, doch Hans Werner Henze hatte damit ganz anderes vor: „Ein Einstieg in musikalische Form, wir entwickeln daran Assoziationen und sehen, wie weit menschliche Zustände, Emotionen sich in musikalische Strukturen tragen lassen.“ Das Gedicht trat dann in der Komposition nicht in Erscheinung, sondern es sei, so Henze, in seiner verarbeiteten Form die Asche, aus der der Phönix der Komposition entstehe. Regelwerk ist Nebensache, wichtiger ist der direkte Kontakt mit der Natur des Klanges. „Eine reine Instrumentalmusik, voller Gefühl und höchstwahrscheinlich Originalität. Wir wollen hier keine Meisterwerke haben, sondern zeigen, daß es möglich ist, auch Laien und später Schulkinder zu ermutigen, in diesem Sinne zu arbeiten. Vor allem soll Komposition nicht länger ein Mysterium sein, sondern kultureller Gemeinbesitz werden.“
Bei der Abschlußveranstaltung wurden die Kompositionen der Teilnehmer vorgestellt. Fieberhaft wurde bis dahin gearbeitet, und die Nacht wurde mehr als einmal zum Tag. Fürsorglich schaute Henze seinen Schülern beim Komponieren über die Schulter, gab Tips und stand für Gespräche zur Verfügung. Noten waren zu schreiben, Instrumentalisten zu organisieren, Proben abzuhalten, Notizen zu machen, Vorträgen zu lauschen. Stephan Winkler, ein von Henze geschätzter Berliner Komponist, gab Einführungen in elementare Kompositionstechniken: Einstimmigkeit, Rhythmik, Metrik, Harmonik.
Wie kann die Arbeit in der Schule fortgesetzt werden? Zunächst hängt dies natürlich von der Aktivität der einzelnen Kursteilnehmer ab. Dr. Friedrich Wedell, Lehrer in Kronshagen bei Kiel: „Ich merke mir nicht nur, was ich hier mache, sondern ich führe eine kleine Liste, wo ich mir das Methodische notiere, was für meinen Schulunterricht von praktischem Nutzen sein kann. Meinen Oberstufenschülern, für die wegen des Workshops der Unterricht ausfällt, habe ich schon angekündigt, mit Ihnen das anzuwenden, was ich hier gelernt habe.“ Die Teilnehmer wollen in ständigem Kontakt bleiben, um ihre ersten Erfahrungen der Umsetzung im Schulalltag auszutauschen.
Elisabeth Richter