Als die Wahllokale in Brandenburg schließen, hebt Takeshi Moriuchi in der Frankfurter Oper den Dirigentenstab zur Premiere von Hans Werner Henzes „Der Prinz von Homburg“. Knappe zwei pausenlose Stunden später erlischt das Bühnenlicht nach dem Schlachtruf: „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“ Der Komponist und seine Librettistin, Ingeborg Bachmann, wollten den Satz streichen, entschieden sich aber doch zähneknirschend für ihn. Applaus brandet auf. Eine Reihe hinter mir raunt es schon die ersten Ergebnisse der Landtagswahl. Wer sind die Feinde Brandenburgs? Oder handelt es sich gar um Feinde der Demokratie?
Der Träumer im Soldatenrock – „Der Prinz von Homburg“ von Hans Werner Henze an der Frankfurter Oper
Wer die zwei- bis dreijährigen Produktionsvorläufe eines Opernhauses kennt, weiß, dass es sich bei dem Zusammentreffen der Frankfurter Henze-Premiere und der Brandenburger Landtagswahl um einen Zufall handelt. „Wir haben ihn nicht gesucht“, hätte ein anderer Librettist Henzes dazu gesagt. Eine zweite Koinzidenz besteht in dem glücklichen Fund einer Handvoll Briefe, die Heinrich von Kleist just in jenen Jahren 1809/10 schrieb, als er den „Prinz von Homburg“ verfasste, auf dem Henzes 1959 vollendete Oper fußt. Der bellizistische Furor dieser Briefe, angestachelt vom Widerstand der Österreicher gegen Napoleon, senkt sich tief in Kleists letztes Bühnenwerk hinab. Dass der Titelheld eher als Träumer durch das Drama taumelt, denn als Stratege, hat die Zeitgenossen gegen Kleist aufgebracht. Ein Jahr darauf nimmt er sich das Leben. Später wird das Drama nationalistisch vereinnahmt. Zuletzt bewundert Hitler-Deutschland den Feldherrn, der in der Schlacht von Fehrbellin 1675 die Schweden vertreibt, nachdem er sein Regiment auf das Feld geführt hat – allerdings gegen die ausdrückliche Order des Kurfürsten. Nun verlangt das Kriegsrecht seine Erschießung, und der Delinquent akzeptiert nach einigem Hin und Her. Ordnung wiegt schwerer als Leben.
„In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“
Henze, Jahrgang 1926, verabscheute alles Kriegerische, Preußische und Männerbündlerische. Er und Bachmann entmilitarisieren und entgiften das Kleist’sche Kriegsdrama und wiederholen am Ende den Seufzer der vom Prinzen geliebten Natalie: „Dass die Empfindung einzig retten kann“. Antworten finden wir nicht in der Gesellschaft und schon gar nicht in der Ordnung, sondern nur in uns selbst. Bachmann macht Kleists Credo zum Kernsatz einer waffenklirrenden Parabel.
Bei dem Schönberg-Schüler René Leibowitz hatte Henze 1948 das Räderwerk der Zwölftonmethode studiert. Nun konnte er die Spannung zwischen sinnlicher Atonalität und regelverliebter Kontrapunktik in einer Oper ausleben, die schärfer als andere den Konflikt zwischen Freiheit der Entscheidung und Gesetz des „Vaterlandes“ formuliert. Der gleißende Durakkord, mit dem die Oper ihren akustischen Vorhang öffnet, markiert den Blechbläser-Sound, der in ihr das Militär vertritt. Diesem stellt Henze eine Reihe von zarten kammermusikalischen Duetten entgegen, etwa dem von Prinz und Kurfürstin, von Kurfürst und Natalie, von Prinz und seinem Freund Hohenzollern. Takeshi Moriuchi, der Studienleiter der Frankfurter Oper, dirigiert das mit jener Klangsinnlichkeit, die aus Henzes Partituren immer hervorleuchtet und die sich jederzeit ballen und verhärten kann. Musikalisch ist die Frankfurter Produktion ein Glücksfall.
Die Inszenierung setzt auf Körperlichkeit des Ensembles. Die Kostüme in knalligen Farben entrücken die Handlung ins comichafte und deuten die Soldatenröcke an, ohne sich über die Personen lustig zu machen. Der abstrakte Raum geht auf Distanz. Wird nicht alles nur geträumt? Und doch taucht an Requisiten auf (Lorbeerkranz, Schwerter, Brief etc.), was aufzutauchen hat. Selbst ein Kanonenschuss krawummt auf der Hinterbühne. Leider hat sich Regisseur Jens-Daniel Herzog von seinem Ausstatter Johannes Schütz einen offenen Bühnenraum andrehen lassen, der zwar schnelle Verwandlungen ermöglicht, aber keinen Resonanzraum für die Sängerinnen und Sänger zulässt. Wenn beim Schlussapplaus alle 16 Mitwirkenden nacheinander vom Bühnenhintergrund an die Rampe rennen müssen, beschreibt das ziemlich genau das akustische Hauptproblem der Produktion.
Eine Aufführung des „Prinz von Homburg“ steht und fällt mit der Titelpartie. In Frankfurt liegt sie in den sicheren Händen von Ensemblemitglied Domen Križaj, dessen Bariton den Spagat zwischen Träumerei, Todesfurcht und Entschlossenheit jederzeit verlässlich schafft. Ihm zur Seite stehen der Kurfürst Yves Saelens und Magdalena Hinterdobler in der Rolle der (bei Bachmann aufgewerteten) Natalie, deren Sopran vollständig sicher durch die aberwitzig schwere Partie führt, sowie Annette Schönmüller als Kurfürstin mit starker, oft auch humorvoller Bühnenpräsenz.
Über den bösen Schluss – der Prinz wird mit verbundenen Augen zur „Hinrichtung“ geführt, als einziger nicht wissend, dass er begnadigt wurde – schreiben sich Kleist und Bachmann nonchalant hinweg. Bei Dostojewski kann man nachlesen, wie traumatisch eine Scheinhinrichtung nachwirkt. Regisseur Herzog schwindelt sich über die Perfidie nicht hinweg und zeigt eine Gesellschaft in arrogantem Spott. Nur Natalie wendet sich dem Demontierten noch einmal zu. In Staub mit allen Feinden der Liebe.
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