In Lübecks Theater ist Rossinis „La Cenerentola“ in einer Inszenierung voller Spielwitz und musikalischer Finesse zu bewundern (Premiere am 30.Mai). In der Amtszeit von Roman Brogli-Sacher herrschten Wagner, Verdi und Strauss vor, kulminierend in einem Aufsehen erregenden „Ring“, dessen Videoeinspielung 2012 immerhin mit dem Echo belohnt wurde. Jetzt setzen seit einem Jahr Katharina Kost-Tolmein als Operndirektorin und Ryusuke Numajiri als GMD neue Akzente.
So wurde Glucks „Armide“ erstmals in Lübeck gezeigt. Und auch das frühe 19. Jahrhundert, hier länger nicht beachtet, fand sehens- und hörenswert mit Lortzings „Wildschütz“ zurück und jetzt mit der „Cenerentola“, einer Koproduktion mit dem Konzert Theater Bern.
Rossinis Dramma giocoso wurde zugleich zum Operneinstieg für den neuen GMD, der erst spät in der Saison sein Amt übernehmen konnte, auch den „Wildschütz“ noch krankheitshalber abgeben musste. So war es spannend, ihn jetzt mit Rossini zu erleben. Erfreulich locker und leicht klang es in allen Gruppen aus dem Orchestergraben, in der Lautstärke sehr behutsam die Sänger stützend und im Parlando vom Tempo her zumeist gut angepasst. Um Rossinis sensibles Melos ganz zu treffen, hätte man sich das Dirigat nur dynamisch noch differenzierter gewünscht.
Dennoch gab Numajiri den Akteuren auf der Bühne festen Halt. Das war auch nötig, weil Cordula Däupers übermütige und einfallsreiche, zuweilen aberwitzige Inszenierung schauspielerisch stark forderte. Sogar die Übersetzung auf der Übertitelungsanlage war launig in Szene und Ablauf einbezogen. Die Commedia dell’Arte stand Pate, aber auch die romantische Auffassung des Märchens, wie sie die Brüder Grimm erzählten. Mittler war Alidoro, der Philosoph und Lehrer des Fürsten. Wunderbar angepasst daran, wie sich die Ouvertüre musikalisch entwickelt, führt er zum Märchen hin, greift später ein oder treibt die Akteure an. Er ist ein Poet, ein Alter Ego der Grimms, kein Deus ex Machina, eher augenzwinkernder Maître de Plaisir. Dieser Ansatz belässt das Spiel im Reich der Fantasie, zeigt Mädchenträume und Aufstiegswünsche, gibt der Sehnsucht nach wahrem und großem Gefühl einen fantastischen Rahmen.
Ralph Zeger erfand eine praktikable Bühne, die den Unterschied zwischen Schein und Wirklichkeit betont. Don Magnificos Wohnsitz ist eine zusammengefallene Bretterbude. Der fürstliche Sitz wird als bonbonfarbene Torte vorgestellt, später dann in einem vergrößerten Modell zum Podest für den grandiosen Schlussauftritt. Auch Sophie du Vinages Kostüme sind grotesk komisch, ermöglichen effektvolle Aktionen bei den Bekleidungsszenen der Schwestern Clorinde und Tisbe oder beim Kleidertausch von Fürst Ramiro und Kammerdiener Dandini.
Grundehrlich darin ist diese Inszenierung, dass sie eine große Ensembleleistung eines eher kleinen Hauses bietet. Allen voran ist Wioletta Hebrowska als Angelina zu nennen. Anrührend und überzeugend im Spiel überraschte sie auch wieder gesanglich. Ihr klangvoller, warm schattierter Mezzo ist bekannt, wie sie jetzt die artistischen Koloraturen ihrer Partie meisterte, aber war atemraubend. Sängerisch unangestrengt wirkten auch die eitlen, boshaften Stiefschwestern, mit ihrem leuchtenden Sopran Efmorfia Metaxaki als Clorinde und erstaunlich zuverlässig als Tisbe Annette Hörle, ein Mitglied des Opernelitestudios. Daniel Jenz, der neue Tenor, imponierte mit sicherer Höhe und wendigem Spiel als Don Ramiro. Der Dandini war dem Südkoreaner Johan Hyunbong Choi anvertraut, auch er Mitglied des Opernelitestudios. Sein schön klingender Bariton hatte nur etwas Problem mit der Wendigkeit im Parlando. Als Alidoro überzeugend bewährte sich Taras Konoshchenko mit sonorem Bass. Einziger Gast schließlich war der Italiener Gianluca Breda mit seiner vollen Stimme und manchmal überbordenden Spiellaune. Auch die Herren des Chores, von Joseph Feigl einstudiert, hatten wieder einen großen Auftritt.
Die drei Stunden verstrichen mit geistreich gesetzten szenischen Pointen und bewundernswerten musikalischen Leistungen im Fluge.