Im sechsten Philharmonischen Konzert verabschiedete sich GMD Joana Mallwitz mit der Symphonie Nr. 4 von Gustav Mahler und anderen „Herzensstücken“ in der Meistersingerhalle von ihrem Publikum. Ein emotionaler Abend mit emotionalen Worten an die Staatsphilharmonie Nürnberg: „Sie sind maximal toll!“
Von Auftrittsmangelerscheinungen durch die Pandemie gibt es in der Nürnberger Meistersingerhalle einen nur ganz fernen Nachklang. „Sie sind maximal toll!“ ruft Joana Mallwitz beim sechsten und für sie letzten Philharmonischen Konzert zu dieser Spielzeit ihr 100-Jahre-Jubiläum feiernden Staatsphilharmonie Nürnberg. In ihren fünf Nürnberger Spielzeiten katapultierte sich Mallwitz seit 2018 durch überall mit Begeisterung akklamierte Gastauftritte in die internationale Dirigier-Elite. Bei ihren letzten Nürnberger Operneinstudierung – Mozarts „Le nozze de Figaro“ – konnte man sich Mitte April an die Salzburger Festspiele 2020 und die wegen Corona dort kurzfristig eingeschobene „Così fan tutte“ erinnern. Wenn die Erinnerung nicht täuscht, war Mallwitz’ Mozart in Nürnberg 2023 ihrem Salzburger tatsächlich überlegen. Im Opernhaus am Richard-Wagner-Platz wurde aus der Opera buffa eine über Genredefinitionen erhabene Comédie humaine. Hintergründiges wie potenzielle Bezüge Mozarts zum vorrevolutionären Geistesflair in Europa schienen unwichtig für die Gegenwart der Aufführungen, weil alles so wahr, so stimmig und auf erfreulich geschärfte Art richtig klang.
Es gab an der Oper Nürnberg und in der Meistersingerhalle in den letzten Jahrzehnten ähnliche Abschiede. Schon Philippe Auguin und Christian Thielemann hatten Nürnberg zum Leid von Publikum und Politik nach zu kurzer Glanzzeit verlassen. Der Abschied von Joana Mallwitz dürfte das Musikleben der fränkischen Metropolregion neben deren Expeditionskonzerte und einer breiten Programmaufstellung noch empfindlicher treffen. Denn Mallwitz dirigierte ein ganz breites Spektrum von Monteverdi bis Turnage und nahm die Oper Nürnberg keineswegs als persönlichen Übungsplatz für ihr zukünftiges Gastierrepertoire. Dafür packte sie die bestehenden Ressourcen mit dem großen Potenzial einer geballten Wagner-Strauss-Moderne-Tradition ambitioniert, beherzt und – wie von vielen Seiten bestätigt – herzlich. Mit Generalintendant und Operndirektor Jens-Daniel Herzog erarbeitete Mallwitz die meisten ihrer Nürnberger Opernproduktionen. Da prallten mehrfach ein eher umsichtig-bedächtiger Regie-Geist auf Mallwitz’ klaren Furor, der in der sensiblen Überakustik fein Erarbeitetes mitunter leicht grobkörnig werden ließ. Mallwitz und Herzog schafften mit 3,5 Stunden Gesamtspieldauer den kürzesten Verdi-„Don Carlos“ in der fünfaktigen Fassung seit langem. Sie starteten mit einer beeindruckenden Leistungsschau von Sergej Prokofieffs Oper „Krieg und Frieden“, bevor diese zum Favorit-Spektakelstück der ganz großen europäischen Opernhäuser wurde. Egal mit was: Nürnberg wurde überregional beobachtet, Veranstaltungen liefen regelmäßig im Bayerischen Rundfunk. Das Haus war gefragt – dank des Mallwitz-Hezogschen Ensembleaufbaus und eines Angebots, dessen hohe Qualitätsstandards sich auf das gesamte Repertoire bezogen.
Mallwitz gehört eindeutig nicht zu den Spartenleitungen, deren Interesse sich mit eigenen Produktionen begnügt. Besetzungen kamen zum Beispiel neben der von Mallwitz wegen Corona leider nur konzertanten „Pelléas“-Aufführung auch vermeintlichen Leichtgewichten wie dem Nicht-Mallwitz-Stück und bei der Premiere von ihrem Nürnberger Amtsnachfolger Roland Böer dirigierten „L’elisir d’amore“ zugute.
Mallwitz dankte der Staatsphilharmonie Nürnberg auch für deren hohe künstlerische Kommunikations-, Aktions- und Reaktionsdynamik. Was bleibt? Mahlers vierte Sinfonie G-Dur wird manchmal als echtes, manchmal als trübes Scherzo über das Leben und den irdisch-metaphysischen Himmel danach betrachtet. Mallwitz vermied den Mischklang, setzte räumliche Kontraste und motivierte zu dreinfahrenden Bläserturbulenzen, die nie scharf werden. So deutlich und dabei leicht klingt diese Fülle, dass man tatsächlich einmal hört, wie viele Mini-Violinsoli das Werk durchlöchern. Und die Strophen vom „himmlischen (Schlaraffenland-)Leben“ sind mehr als ein aufgesetztes Vokalstück, welches der letzte tiefe Harfenton nur zum zwanglosen Verstummen bringt, weil alles ein Ende haben muss. Dieses so schön arglistige Lied und dessen Ritornelle werden zum Schlusspotpourri, in dem Julia Grüters hoher, nicht zu heller Sopran nicht entscheiden muss, ob sie eine Engels- oder nicht doch eine celestische Kobold-Stimme hören lässt. Diese Stunde also als jugendstilige Lebensfeier mit Tiefgang, aber ohne philosophisch aufgedonnerte Klanglasten. Einfach schön.
Auch im zweiten Teil gab es viel aus der langen Jahrhundertwende um 1900. Mallwitz gehört zu der jungen Dirigiergeneration, welche Prokofieffs Symphonie classique aus einer ähnlichen Klanglichkeit wie Richard Strauss deuten. Auch die in Erinnerung an ihre erste Nürnberger Operneinstudierung als Generalmusikdirektorin gesetzte Ouvertüre zu Prokofieffs „Krieg und Frieden“ zeigt Mallwitz’ hohe zu den schillernden Farbspielen mit starker Sättigung auch in leisen Dynamikbereichen. Wagners „Parsifal“ fiel in der Oper wegen der Pandemie aus. Das Düstere, Klamme, von anderen gern als grübelnde Schroffheiten erarbeitet, sind bei Mallwitz im dualistisch aufgefächerten Instrumentalsatz des „Karfreitagszaubers“ wie natürlich anwesend. Das Publikum umjubelte der mit Beginn der Spielzeit 2023/24 in die Chefposition des Konzerthausorchesters Berlin wechselnden Generalmusikdirektorin lange und nachhaltig.