Sehr helles, weißes Licht; grünes, kaminrotes, blaues Licht; blaugrünes, gelbes, weißliches und diffuses Licht; schließlich dunkelblaues, stahlblaues und ultramarines Licht: Die Illumination ist in Georg Friedrich Haas’ Kammeroper „Nacht“ nach selbst bearbeiteten Texten von Friedrich Hölderlin jederzeit mehr als nur eine Erhellung der spärlich ausstaffierten Szene (Rosalie).
Die Sinnhaftigkeit der recht geometrisch motivierten Personenführung Frederike Rinne-Wolfs von ständig die Rollen wechselnden Protagonisten (mehrere Hölderline, Geister aus Hölderlins Leben und Werk) ging im Bockenheimer Depot als Premiere der Oper Frankfurt zwar nicht ganz in der von Haas schon im Libretto festgelegten Lichtregie auf. Genau aber diese Leerstellen der Deutung in bedeutungsüberladendem Kontext, die Überlappungen der nicht immer synchronisierten szenischen und lichtdesignerischen Abläufe (Olaf Winter), korrespondierten trefflich mit den teils absurd anmutenden unbeschriebenen Blättern, in die die Sänger und Darsteller als gewissermaßen Fleisch gewordene Gedankenbewegung des Dichters gehüllt waren.
Hölderlin selbst kauerte meist auf einem Schlitten, dessen jahreszeitlich-kindliche Aura auf der als schräg ansteigende Platine gebauten Bühne nicht nur eiszeitlich vertraut-fremd, sondern in – möglicherweise – Anspielung an die vielfach metaphorisch verwendeten Schlitten von Joseph Beuys geradezu gesellschaftlich anklagend wirkte. Und war Hölderlins Verweigerung, innere Emigration oder wie man seinen autistischen Zustand nach etlichen Verletzungen, Demütigungen und Obsessionen auch immer beschreiben mag, nicht eine einzige Anklage? Da kauert ein Hölderlin (Sprecher: Stephan Rehm), umgeben von seinen Phantomen, auf dem Schlitten, als hätte ihn gewissermaßen der Hegelsche Weltgeist im VW-Bus aus Beuys’ „Das Rudel“ auf dem Weg nach Süden abgehangen. Oder als bliebe dem Tübinger Turmbewohner, frei nach dem Darmstädter Beuys-Block, auf diesem Schlitten nur noch eine Taschenlampe, deren fahler Lichtkegel gerade soviel soziale Umwelt imstande ist zu beleuchten, dass man nicht verhungert. Die innerlich tosenden Orkane und Eruptionen und das gegen Unendlich tendierende Ausmaß analytisch-lyrischer Produktion in seiner visionären Kraft Hölderlins: Das alles sind in der vor neun Jahren konzertant und vor sieben Jahren szenisch uraufgeführten Kammeroper auch in Frankfurt die Kehrseiten der gleichen Medaille mit starker Echtzeitsymbolik. So ist auch diese Kammeroper beileibe kein „Operchen“ (Wolfgang Rihm) und dieser Hölderlin hat mit seiner Anbetung an Diotima alias Susette von Contard als fadenscheinige „alles-wird-gut“-Metapher Züge mit dem ebenfalls an der Hartherzigkeit seiner Zeit gescheiterten Jakob Lenz und seiner angebeteten Friederike Brion (Geliebte Goethes). Hölderlin ist in Haas’ Personensplitting in gleich vier Hölderline zu sehen – auch dabei ein Blutsbruder von Heiner-Müller/Wolfgang Rihms Hamlet, der allerdings „die Ruinen von Europa“ schon im Rücken hatte und „mit der Brandung bla-bla“ redete.
Haas hat für seine knapp 70 Minuten dauernde Lehrstunde über ästhetische Synergie-Effekte und die Aktualisierung von frühmoderner Bühnendramatik eine Musik geschrieben, die an ihrer Zuständigkeit für die Zustandsbeschreibung eines durch die gesellschaftlichen Mühlen zerriebenen Individuums keine Zweifel lässt: Biographie, hier bin ich! Was er an nocturnialem Ambiente in eine überraschend vokal-deklamatorische Klangsprache übersetzt, findet seine Entsprechung in äußerst tiefen Lagen des vom Ensemble Modern unter der Leitung von Kappellmeister Roland Böer sehr einfühlsam und auch szenische Aufgaben übernehmenden, gestellten Kammerorchesters. Wanderbewegungen der Musiker im Raum, wandelnde Orte der Klangerzeugung, unterschwellig durchscheinender Kantatenton Bachs, ein floskelhaftes Motivgeflecht und ein letztlich aus dem Schlagimpuls heraus abgeleitetes musikalisches Material binden zwar alles, was hier Odem hat, aneinander, insgesamt aber bezieht diese sehr suggestiv wirkende Kammeroper ihre Verbindlichkeit aus dem, was eben nicht unmittelbar gesagt, komponiert und inszeniert wurde. Das Auskomponierte Scheitern an der Person Hölderlins ist auch hier der Erfolgsgarant.
Barbara Zuchtmeister (Sopran) als glasklare Diotima, Alexander Mayer, Johannes Martin Kränzle und Steven Callop und nicht zuletzt der rezitatorisch gewaltige Stephan Rehm, gaben in ihren Debuts an der Oper Frankfurt gleichzeitig ihre Visitenkarten ab. Annette Stricker (Mezzosopran) als ätherische Geliebte Susette Contard klang bezaubernd entrückt.