Die Festspielstadt Salzburg findet im Jahresrhythmus immer noch eine Zeit-Lücke, in die man ein neues Festival einbetten kann. So gibt es jetzt im festspielfreien Spätherbst die „Dialoge“ – eine Art Musikgespräche mit klingenden Beispielen zu bestimmten Themen. Beim ersten Mal hieß das Stichwort „Luft“, im letzten November „Licht“. Die Komponisten, die da dialogisierten, hießen Mozart, Charles Ives und Georg Friedrich Haas. Besonders Letzterer hatte zum Thema viel zu sagen.
Das große Quid pro quo der Sinneswahrnehmungen: Das Ohr wird vom Auge gereizt und umgekehrt, das Auge vom Ohr. Das Licht, das man sieht, verwandelt sich für das Gehör in Klang. Die Klänge, die vom Ohr aufgenommen werden, evozieren im Auge Lichterscheinungen, die sich wiederum mit Farben verbinden. Aus allem entstehen oft faszinierende Synästhesien. Wenn Wagners „Lohen-grin“-Vorspiel zart anhebt, assoziiert der Hörer die Farbe Silbrig-Blau. Im Mittelakt des „Tristan“ scheint oft ein dunkel-leuchtendes Blau auf, die Farbe des Romantisch-Nächtlichen, das, wiederum geheimnisvoll, zugleich in der Musik aufklingt.
Die Vorstellung einer Farbenharmonie, das Zusammenfließen von Musik, Licht und Farbimaginationen beschäftigte schon die Antike. Entsprechende Versuche findet man auch im Mittelalter und in der Renaissance, und im 18. Jahrhundert bastelte ein französischer Jesuit namens Louis-Bertrand Castel ein Farbenklavier, bei dem für jeden angeschlagenen Ton eine bestimmte Farbe aufscheinen sollte.
Natürlich entstanden erst im 20. Jahrhundert die technischen Voraussetzungen, ein halbwegs perfekt funktionierendes Farbenklavier herzustellen. Vor allem der Komponist Aleksander Skrjabin ersetzte die tradierte Dur-Moll-Tonalität durch ein hochdifferenziertes Tonsystem, das zu einer enormen Ausweitung klanglicher Perspektiven führte. In diesem Zusammenhang untersuchte Skriabin auch die Wechselwirkungen zwischen Klängen und Farben – sein „Mystischer Akkord“ wirkte als Impuls auf sein weiteres Komponieren ein.
Wenn die Salzburger „Dialoge“ sich in diesem Jahr dem Thema „Licht“ widmeten, so begaben sie sich dabei in einen weit zurückreichenden musikalisch-his-torischen Raum, den sie jedoch nicht allzu historisch-akribisch ausschreiten mussten. Zwar gehörten diesmal auch Mozart und Charles Ives zu den „belichteten“ (erleuchteten) Dialog-Komponisten, doch im Zentrum der sieben oft sehr langen und ausführlichen Konzerte stand ein Komponist, der sich wie kaum ein zweiter mit der Ausdifferenzierung des tradierten Ton-und Klangsystems beschäftigt hat: der inzwischen sechzig Jahre alte, gleichwohl unverändert jung und vital wirkende Österreicher Georg Friedrich Haas.
Für Georg Friedrich Haas besteht ein dichtes Geflecht zwischen Klang, Licht und dem Gegensatz von Licht: der Dunkelheit. „In der Dunkelheit hört man besser“ – so der Komponist. Der Einwand, dass Musikhören im eingedunkelten Raum eher verdächtig ist, scheint ihn nicht weiter zu irritieren. Das „Licht“ bereitet ohnehin weniger Schwierigkeiten. Es kann sich ungehindert mit der Musik, mit dem Klang verbünden. Ein besonders eindringliches Werk in dieser Hinsicht bot Georg Friedrich Haas’ 2006 in Donau-eschingen uraufgeführtes „Konzert für Lichtstimme und Orchester“ unter dem Titel „Hyperion“. Eine Lichtinstallation der Künstlerin Rosalie, hunderte von innen beleuchtete weiße Putzeimer, die das innere Hallengeviert wie ein ständig changierendes Licht-Farbband umschließen, evozieren gleichsam die von vier Orchestergruppen ausgehende Musik. Die Musiker werden vom ständigen Wechsel des Lichts und der Farben „dirigiert“, sie hüllen die in der Mitte des Raumes umherwandernden Zuhörer mit brucknerhaften Klangballungen, subtilen Obertonakkordfolgen, mit harten Clustern und sogar melodisch inspirierten Aufschwüngen förmlich ein, wobei der Zuhörer durch seinen ständigen Positionswechsel immer wieder veränderte Klang-Impressionen erfährt.
An eine Wiederholung dieser denkwürdigen Aufführung war jetzt bei den Salzburger „Dialogen“ nicht zu denken, der logistische Aufwand wäre kaum zu bewältigen gewesen. Aber zum Thema „Licht“ und dessen Beziehung zur Musik, zum Klang, hätte sie viel Erhellendes beigetragen. Im übrigen sollte man Georg Friedrich Haas’ Klang- und Tondiversierungen – Vierteltöne, Obertonschwingungen – nicht nur formalistisch betrachten. Die Aufsplitterungen des Dur-Moll-Systems setzen unerhörte klangfarbliche Möglichkeiten, sprich: Wirkungen frei. Die Musik gewinnt ungeahnte klangliche Expressionen. Haas selbst hat einmal geäußert, dass es ihm vor allem auf diese emotionale Expansion ankommt: Der Zuhörer soll überwältigt werden, nicht nur analytisch der Musik zuhören.
Dazu gab es bei den „Dialogen“ ein besonders eindringliches Beispiel: Im Violinstück „de terrae fine“, an einem „Ende der Welt“, werden die klanglichen Lineaments so dicht gezogen, förmlich zu Klangflächen entwickelt, dass man das Empfinden gewinnt, hier werde Musik unmittelbar in Lichtstärken vermessen. Die Solistin Carolin Widmann übersetzte Georg Friedrich Haas’ Notationen mit atemversetzender Intensität und Perfektion in eine klangliche Realität, die einmal mehr demonstrierte, dass die sogenannte „Moderne Musik“ immer auch von der Qualität der Interpretation geprägt wird. Carolin Widmann ist in dieser Hinsicht un-übertrefflich, weil sie sich mit ihrem hohen Können zugleich intellektuell auf dem Niveau der jeweiligen Komposition bewegt.
Georg Friedrich Haas steuerte den „Dialogen“ auch eine Uraufführung bei: das Chor-Ensemblewerk „Wohin bist du gegangen?“. Auch hier die raffinierte Aufschließung der Linien und Klangflächen, des Raumklangs mit den beiden oben postierten Chören, doch wirkte das Stück auch ein wenig, pardon, „routiniert“ im Einsatz der kompositorischen Mittel. Dass Haas ein genuiner Expressivo-Komponist sein kann, bewies das Diotima Quartett mit seinem 6. Streichquartett.
Und was war mit Mozart, was mit Charles Ives? In Mozarts „Glasharmonika“-Kompositionen gewinnt das „Licht“ eine eigenartige Klang-Faszination, im h-Moll-Adagio für Klavier eine dunkel-geheimnisvolle Aura. Und Charles Ives hat ja schon in frühen Jahren experimentelle Kompositonen mit unterschiedlichen Temporelationen und räumlich getrennten Schallquellen entworfen. Auch dazu waren bei den „Dialogen“ signifikante Beispiele zu hören.