Hauptbild
Carles Pachon, Peter Hoare, Lucy Crowe und Chor. Foto: © Arno Declair

Carles Pachon, Peter Hoare, Lucy Crowe und Chor. Foto: © Arno Declair

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Die 68er als Themenparty – Janačeks „Die Ausflüge des Herren Brouček“ an der Berliner Staatsoper

Vorspann / Teaser

Kampfpanzer der Großmacht im Osten ist man in Berlin gewohnt, von der Wolokolamsker Chaussee Heiner Müllers über die Karl-Marx-, früher Stalinallee bis zur Straße des 17. Juni: von 1941 über 1953 bis zum Ehrenmal im Tiergarten eine einzige, Zeit und Raum übergreifende Promenade für Kettenfahrzeuge, an der wie Perlen schier alle drei Berliner Opernhäuser aufgefädelt sind. Im geographisch östlichsten dieser, der Staatsoper Unter den Linden, hatten nun vergangenes Wochenende Leoš Janačeks „Ausflüge des Herrn Brouček“ eine vielumjubelte Premiere, daher zu den Panzern später. Weil einer schöneren Gewohnheit wegen, nämlich derjenigen der Staatsoper, Simon Rattle seit etlichen Jahren mit all ihren Janaček-Premieren zu betrauen, diese seine nunmehr fünfte Produktion daselbst einen, beinahe, restlosen Glücksfall bedeutete.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Der frühere Philharmonikerchef und immer noch Berliner hat seit Jugendtagen eine tiefe Affinität zu der Musik des Brünners, und diese gab ihm die Zuneigung stets zurück, sowohl bei früheren CD-Aufnahmen als auch bei späteren konzertanten Projekten mit den Philharmonikern wie etwa der „Jenůfa“ oder dem „Schlauen Füchslein“. Weil den Dirigenten und die Staatskapelle eine beständige Janaček-Liaison verbindet und, nebenbei, Tschechisch im Hause Rattle lange schon keine Fremdsprache ist, gab es also beste Voraussetzungen und hohe Erwartungen. Letztere wurden, der Bedeutung des Hauses nur angemessen, selbstverständlich erfüllt.

Rhythmisch vertrackt ist die Musik, oft schnippisch und kleinteilig daherplappernd, doch nie ohne einen, zuweilen holpernden Fluss. Den hält Rattle feinmechanisch in Schwung, ebenso wie er die meist kurzen blühenden, ja allumarmenden Passagen Janačeks mit Samthandschuhen sanft poliert. Die Staatskapelle braut, schließlich fließt viel Bier in der Oper, einen herb-süffigen Klang, ja selbst den Wermutstropfen des Beinahe: dem zumindest im ersten Akt leicht bitter aufstoßenden dynamischen Übergewicht der Bühne, wenn etwa das Parlando des tschechischen Singsangs den Kneipenwalzer des Orchesters übertönt. Oder lag’s am Sitzplatz, dass es zuweilen Mühe machte, das Orchester so zu hören, wie es ihm gebührt? … Simon Rattle jedenfalls wird Anfang Mai mit einer in den Hauptrollen identischen Besetzung bei konzertanten Aufführungen mit dem London Symphony Orchestra Bedingungen vorfinden, die seinem dynamischen Feinsinn womöglich eher entgegenkommen.

Die Londoner also dürfen sich freuen auf ihre Landsleute: auf Peter Hoare, hochverdienter Tenor-Veteran im Charakterfach und als Nicht-Tscheche ein idealer Brouček, und auf Lucy Crowe als Málinka/Etherea/Kunka einnehmend trotz einer gewissen Schwere in der Stimme; weiterhin auf den native speaker Aleš Briscein, der den anspruchsvollen Höhenlagen des Mazal/Blankytný/Petřik tenoralen Glanz verleiht; schließlich auf Gyula Orendt, eine feste Bank im UdL-Ensemble, ebenso vielseitig wie überzeugend in den Rollen von Sakristan/Lunobor/Domšik sowie von Svatopluk Čech, dem Dichter der Buchvorlage der Oper, welchen aber die Inszenierung zu Alexander Dubček umdeutet. Schließlich sorgten auch die profilierten Conprimarii, die bis auf Arttu Kataja in London nicht mit dabei sein werden, fürs hohe sängerische Niveau: Carles Pachon, Clara Nadeschdin, Natalia Skrycka und, wie so oft, Stephan Rügamer.

Mit Alexander Dubček, dem 1969 gestürzten KP-Reformer der ČSSR kämen dann wieder die Panzer ins Spiel, denn bei seiner Inszenierung bedient sich Robert Carsen ausgiebig der Ereignisse und Bilderwelten der ausgehenden 60er Jahre. Versetzt Janaček in seiner Burleske den Protagonisten Brouček, einen wohlhabenden und beleibten Kleinbürger, aus der Rahmenhandlung im Brauhaus einmal zu den Mondvölkern, andermal ins 15. Jahrhundert der Hussitenkriege, wo er sich beide Mal erbärmlich schlägt, um schlussendlich verkatert im Bierfass aufzuwachen, so lässt Carsen ihn im Suff von der Mondlandung, von Woodstock sowie vom Prager Frühling träumen: von mondsüchtigen Twiggys aus dem swinging London, von Liebe und nicht Krieg praktizierenden Blumenkindern und psychedelischen Plattencovers, von den legendären zwei Siegen der ČSSR gegen die UdSSR bei der Eishockey-WM 1969. Das ist ausgesprochen originell und sehr bunt, und es passt auch, wenn man sich an Smetanas „Dalibor“ oder „Libuše“ erinnert und somit daran, welch große auch nationalsprachliche Bedeutung dem Genre Oper dortzulande zukommt. Dementsprechend angemessen ist auch der staatsopernhafte Aufwand an Kostümen in Bataillonsstärke (Annemarie Woods) und Bühnenbildern (Radu Boruzescu) inklusive Braukesselrakete, Mondauto (das allerdings erst 1971 kam) sowie Sowjetpanzer, der in den Schlusstakten das Wirtshaus niederwalzt.

Bild
Aleš Briscein und Lucy Crowe; Hintergrund: Peter Hoare. Foto: © Arno Declair

Aleš Briscein und Lucy Crowe; Hintergrund: Peter Hoare. Foto: © Arno Declair

Text

Und dann ist alles doch nur optischer Überwältigungsmodus, schlicht, weil sich kein authentischer musiktheatralischer Eindruck einstellt, Bild und Klang irgendwie nebeneinanderher laufen – wie die Übertragung von Apollo 11 im Fernseher der Bierschwemme. Einem Offenbarungseid gleicht da der portalgroße TV-Schirm, auf den als Zwischenvorhang der Trauerzug von Jan Palach projiziert wird, der sich aus Protest gegen die Besatzer aus dem Warschauer Pakt auf dem Wenzelsplatz in Brand setzte; minutenlang ohne Musik. Womit durch stumme Bilder historischer Ereignisse eine Betroffenheit erzeugt wird, zu der Carsens Musiktheater hier nicht in der Lage ist, trotz des intelligenten Griffs in den Bildfundus der Geschichte.

Dabei gab es tatsächlich Zeiten und Zonen, da all das wahr und echt war, man den Namen von Jan Palach nicht in den Mund nahm (nicht aus Angst; aus Ehrfurcht), dafür aber umso lauter die von Dzurilla und Nedomansky, den Weltmeistern der Herzen, die den Weltmeistern der Schmerzen 1969 wegen der Tordifferenz doch unterlagen. Zeiten auch, die über Jahrzehnte an Berlin beileibe nicht spurlos vorübergegangen sind, wo, von Ho Chi Minh wie Dubček-Svoboda skandierenden Demos mal abgesehen, beispielsweise 1967 an der Panzerpromenade am weiter westlichen Opernhaus Benno Ohnesorg von einem versoffenen Polizisten und Stasi-Spitzel erschossen wurde. Machenschaften zuhauf, um mit den Mitteln und Möglichkeiten der Staatsoper einen gewaltigen Opernabend zu schaffen, hätte Carsen „1968“ nur ernst genommen und wäre so subtil zu Werke gegangen wie die Musikabteilung. Ja, dann hätte man nicht nur etwas zu sehen, sondern auch zu erleben gehabt. Aber vielleicht ist das zu viel verlangt für eine internationale Koproduktion (mit Brünn und Madrid) mit deren Zwängen, Ästhetisches herunterzupegeln auf möglichst weitläufige Verwertbarkeit. Wie Drucke auf T-Shirts von H&M: Bob Marley, The Ramones, Che Guevara … Stoff für die nächste Themenparty. Gleichwohl, die in Berlin kam sehr gut an.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!