Von 1750 stammt Carlo Goldonis heiteres Theaterstück „Il mondo della luna“, das Joseph Haydn knapp drei Jahrzehnte später zum musikalischen Dramma giocoso promovierte. Als Jules Verne mit seiner futuristischen Reise zum Mond Sensation machte, dauerte es nicht lange, bis diese Exkursion mit Melodien und Rhythmen Jacques Offenbachs in Paris zur Opéra-féerie avancierte und 1875 ins Théâtre Gaîté kam. Analog erging es dem Roman „Výlety pánĕ Broučkovy“ von Svatopluk Václav Čech, dessen vollalkoholisierter Mondfahrt sich in den 20er-Jahren Leoš Janáčeks beredte Musik anverwandelte. Paul Lincke hat Frau Luna 1899 eine Berliner Operette gewidmet, Carl Orff zum Beginn des Zweiten Weltkriegs sein „Kleines Welttheater“.
Nun richtete Klaus Lang mit „Der Einfluss des Menschen auf den Mond“ das Augenmerk erneut auf die kalte Kugel, deren Unberührtheit durch Pioniere der Raumfahrt endete: 1969 rückte das der Erde benachbarte Gestirn durch den spektakulären Erstbesuch von Neil Armstrong und die nachschaffenden Künste von Fernsehregisseuren gleichsam zum Greifen nahe. Auf die Naherfahrung spielt der Text des jungen österreichischen Autors an: Er präsentiert, während wie aus unendlicher Ferne Sphärengesang erklingt, einen Kosmo- oder Astronauten, der im unberührten Tiefschnee die „historischen“ Schritte im Mondsand nachspielt. Ansonsten passiert nicht viel in dem – naturgemäß – leise angelegten Werk, das der in Berlin lebende Grazer Komponist Klaus Lang und der Wiener Regisseur Paul Esterhazy in zehn Sequenzen strukturiert haben. Claudia Doderers Ausstattung der kleinen Bühne und die Kostüme sind, auch das erscheint naheliegend, ganz in weiß gehalten. Auf den drei weißen Wänden wird gelegentlich weite wüste Landschaft projiziert – Mondlandschaft. Das Who is who in ihr wird durch charakteristische Elemente der Berufsbekleidung rasch deutlich: die Mezzosopranistin Sarah Ferede im Raumanzug ist der Astronaut und in analogem Geschlechterrollentausch der aus der Tiefe emporsteigende Lukas Schmid mit Löffel, Teiglaibchen und Messer die Köchin. Dass der Mann im Mond zur Madame mutierte, ist unmittelbar hörbar, wird aber erst am Ende sichtbar, wenn Akiko Ito sich zum Schlussapplaus zeigt. Irgendwie „zwischen den Welten“ müht sich auch noch der Briefträger Tobias Haaks mit ruhig stilisierten Bewegungen.
Die Mitglieder des Staatsorchesters Braunschweig wurden auf den Flanken des Rangs postiert, Sebastian Beckedorf leitet das feine Changieren zwischen Ton und Geräusch, die Differenzierungen im untersten Lautstärkebereich von zentraler Position aus an. Dass bei dieser Produktion mit zartem Harfensaitenspiel, verhaltenem Streicherflirren und ruhigen Haltetönen der tiefen Streicher „Raumklang“ konstituiert wird, ist gleichfalls höchst plausibel. Der Text scheint eine ornamentale Rolle zu spielen. Die Unverständlichkeit liegt freilich eher an der Aufteilung auf die verschiedenen Partien und an der Methode, die Worte zu zerhacken, nicht am Einsatz der Instrumentalisten, die weithin höchst diskret wirken. Offensichtlich erfolgt der Einfluss des Menschen auf den Mond nicht durch Einrede, sondern durch das Zurücklassen von Weltraumschrott und sonstigen zivilisatorischen Errungenschaften.
Die wohl strukturierte Ruhe, für die Lang und Esterhazy 75 Minuten lang sorgen, steht in denkwürdigem Kontrast zu den Aufgeregtheiten der medienrealen Welt, deren aktuellen Kriegen und Katastrophen. Als dieses Duo 2003 in Aachen den Musiktheaterabend „Die Perser“ präsentierte, erschien dies wie ein subtiler und höchst notwendiger Kommentar zu einem eben anberaumten Krieg im Nahen Osten. Die Hinwendung zu den menschlichen Spätfolgen eines Ausflugs mit der Rakete erscheint demgegenüber als ein von akuteren Sorgen der Menschheit abgehobenes Exerzitium, dem an den Schönheiten und Feinsinnigkeiten des hoch differenzierten Orchesterklangs in Verbindung mit quasi instrumental eingesetzten Stimmen liegt. So scheint diese Kammeroper nicht nur der musikalischen Schwerkraft trotzen zu wollen, sondern auch den Gravitationskräften des Gesellschaftlichen.