Fünf Wochen nach der Premiere im Gärtnerplatztheater München mit Juan Carlos Falcon als „Großherzogin von Gerolstein“ gab es am Staatstheater Nürnberg schon die nächste. Diesmal straight statt queer in der Titelpartie: Andreas Kriegenburg beherrschte bei seinem Regiedebüt in der Oper Nürnberg mit den Solisten das echte Operetten-Metier vorzüglich. Das Geschehen war auf Zack, burlesk und erotisch. Die Staatsphilharmonie Nürnberg unter Lutz de Veer, Eleonore Marguerre (Großherzogin), Martin Platz (Fritz) und Sergei Nikolaev (Prinz Paul) hatten mit den anderen Solisten und dem Chor das Offenbach-Herz zur zweiten Vorstellung am Internationalen Frauentag genau am rechten Offenbach-Fleck.
Manchmal ist die Premiere nur Vorgeplänkel wie jetzt am Nürnberger Opernhaus. Die zweite Vorstellung der Inszenierung Andreas Kriegenburgs von Jacques Offenbachs Opéra-bouffe „Die Großherzogin von Gerolstein“ für die Pariser Weltausstellung 1867 fiel auf den Internationalen Frauentag 2023. Mehr Operettensegen geht nicht – erst recht, wenn man diese als Gattung nimmt, in der es immer um den Flirt oder das Kokettieren, aber nie um den Geschlechtsverkehr geht. Wer das geschrieben hat, sollte sich mal die Stücke mal genauer ansehen. Und unter diesem Aspekt ist eine Aufführung der „Großherzogin“ im mit Satire gegeißelten Kleinstaat Gerolstein mindestens bipolar und – soweit es diese Kategorie für die ultra-transparente Gegenwart noch geben darf – sogar frivol. Denn während auf den Plätzen in Nürnberg und Erlangen Feminist:innen die bei den Kundgebungen anwesenden Männer für ihre Empathie loben, verkaufen die Militärs auf der Bühne ihre großfürstliche Gnaden für dumm: Ein Krieg soll die Großherzogin unterhalten, weil sie sich langweilt und statt sich mit dem Ehejoch und Prinz Paul zu begnügen, auf erotischen Spaß aus ist. Kehrseite der Medaille: So dumm ist die Großherzogin nicht. Ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Militärs ist vor allem Subversion gegen unsinnige Rituale. Und im Befördern bzw. Degradieren von erst in Huld genommenen, dann in Ungnade fallenden Mannsbildern ist sie einfach großartig. Eine Frau also, die nicht immer gefällt, und immer macht, was ihr gefällt. In ihrer Kehle ist viel Platz für Champagner, mit dem sie sich die Staatsauftritte etwas erträglicher gestaltet, und unter ihrem roten Krinolinenrock wäre Platz für Pläsier, wenn nicht der Favorit Fritz einiges anbrennen lassen würde.
Eleonore Marguerre gibt eine Großherzogin zum Verlieben – weil pikant und nicht ungefährlich, kokett und mit Blicken, die trotz Brille durch dicke Mauern dringen, autoritär und lasziv. Früher hätte man vielleicht gesagt: Eine Männerphantasie mit Intelligenz und Charisma, aber das verbietet sich am Frauentag. Kriegenburgs Regie-Coup: Dieses Gerolstein ist ein Staatsarchiv mit vielen Schubladen, alten Telefonen, Rohren und Kabeln. Harald Thor inspirierte sich da an Amtsräumen in Ost und West. Darin – uniform ausstaffiert von Andrea Schraad – wuseln die Angestellt:innen, alle mit Prinz-Eisenherz-Frisur, Brille und Schlips. Männer männlich mit Hosen, Frauen fraulich mit Röcken, aber die trockenen Visagen hinter den Gläsern sind Unisex. Die Farben stecken beim spielfreudigen Chor in den Stimmen (Leitung: Tarmo Vaask). Nur bei der Großherzogin leuchten die Brillengläser so wie Marguerres Offenbach unnachahmlich modellierender Sopran, den die gut gemeinte Verstärkung aus dem Tonstudio allerdings minimal vergröbert. Daneben gibt es diesmal sogar zwei ebenbürtige Herren. Martin Platz ist das erste Tenor-Juwel, zieht seine Erfahrungen mit dem Nerd-Genie „Turing“ in den zum Schluss zum ewigem Archiv-Dienst zwangsbesetzten Fritz. Platz spiegelt den Super-Geist der Produktion am deutlichsten von allen, nimmt die straff und dabei fein gestreuten Impulse von Dirigent Lutz de Veer und der Staatsphilharmonie Nürnberg auf und gibt sie an den archivarischen Team-Stab auf der Bühne weiter. Die Militärs sind, trotz fragwürdiger Intrigen, gut in Futter. Kriegenburg macht keine Polter-Patrone aus ihnen und sie dürfen manchmal sogar elegant sein: Hans Gröning als General Bumm, Pius Maria Cüppers als nett aufräumender Nepomuk. Yascha Finn Nolting auf der Bühne und Ivan OrešÄ¨anin aus der Proszeniumsloge singend teilten sich für den erkrankten Michael Fischer den Baron Puck. Auch eine graue Archivmaus kann brillieren wie eine junge Göttin. Chloë Morgan als Fritz’ Verlobte Wanda zeigt deutlich, dass sie sich von ihrem kleinen Mann nichts gefallen lassen wird.
Einmal mehr macht Sergei Nikolaev staunen, der von seinem schon recht vormodernen Machopart in „Talestri“ hier zu einem tatsächlich queeren Prinz Paul wird. „Der ist schwul!“ denkt man beim ersten Auftritt Pauls in faltergelben Schlaghosen. Dann entpuppt sich Pauls recht körpernahe Beziehung zum Baron Grog (Mats Roolvink) ‚nur‘ als gute Freundschaft. Und wenn Paul am Ende neben der Großherzogin auf dem Thron sitzt, ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass aus kapriziöser Abneigung echte Sympathie wird. Auch weil Nikolaev Offenbach so passend schön singt wie seinen Donizetti. Das Großherzogin-Staatsarchiv gerät am Frauentag zur Operette in Bestform. Das gefiel sogar den Schulklassen.