Sachsen-Anhalt kann auch mit anderem als der AfD aufwarten. Eine Opern-Uraufführung am Theater Magdeburg erweist sich als musikdramatisches Rätsel, das im besten Sinne viele Fragen aufwirft. Martin Hufner war dabei und rätselt noch immer vor sich hin.
Die Geschichte ist eigentlich ganz einfach. Stoffgrundlage für das Libretto Christoph Heins liefert die Bibel. Abraham muss den Fortbestand seines Volkes sichern, indem er einen Nachfolger zeugen muss. So geht die Prophezeiung und so ist sein Auftrag. Gleichzeitig sieht Nachor, der Bruder Abrahams zusammen mit dem Rat der Ältesten, dass Abraham in Schwierigkeiten ist und versucht den Umsturz, mit allen Mitteln der Suggestion, er will den Untergang des Volkes auf diese Weise verhindern. Mitseiner Frau Sara gelingt es Abraham nicht, weswegen Sara ihr Magd und Sklavin Hagar als „Leihmutter“ empfiehlt, diese sei ihr Eigentum und ein Kind von ihr so gut wie das eigene. Diese wird schwanger und nutzt nun ihrerseits ihr Eigentum, um in der Hierarchie aufzusteigen und ihre Besitzerin, Sara, zu demütigen. Von der Last der Notwendigkeit der eigenen Schwangerschaft befreit, wird Sara nun auch schwanger. Das Blatt wendet sich abermals. Plötzlich gibt es zwei Erbfolger und Hagar wird vertrieben. Die Erbfolge teilt sich in Ismael und Issak. Das letzte Bild zeigt die Jungen beim parallelen Schreiben mit hebräischen und arabischen Schriftzeichen, danach spielen und kämpfen sie hinter dem Vorhang. Die Revolte ist niedergeschlagen, die Ordnung (scheinbar) wiederhergestellt.
Die Gewalt
So einfach die Konstellation ist, so komplex ist ihre Verschränkung ineinander. Immer geht es um Gewalt: Die Gewalt der Prophezeiung, die Gewalt gegen Frauen als Gebärdienstleisterin, die Gewalt der Frauen untereinander durch unnachgiebigen Kampf um ihre heiligen Früchte. Der Gewalt des Aufstands und der Gewalt gegen die Aufständischen.
Die Bilder
Christoph Hein hat dies in acht Bildern nachgezeichnet, die auf einer Einheitsbühne spielen. In der Mitte über zwei Dritteln eine Schriftrolle, links ein Miniaturbüro für Nachor, sozusagen den Minister der inneren Unsicherheit und um die Zukunft besorgten Aufrührers. Rechts hinten ein Schminktisch, in der Mitte etwa ein Tisch mit Stühlen, der auch zum Bett umfunktioniert wird. Die Bilder sind benannt nach den Protagonisten (Abraham, Sara, Nachor und Hagar) oder nach ihrem Inhalt (Die Zeugung, der Verrat, das Wunder, die Ordnung).
Nur eines wird man sicher nicht finden, ein Gefühl wie Zuneigung, ein Gefühl subjektiven Handelns. Alle Darsteller handeln fremdbestimmt, niemand respektiert jemand anderen. Alle sind sie Getriebene, die ihre Situation nicht reflektieren können.
Es gehört zu den besonderen Leistungen der Inszenierung von Ulrich Schulz, der auch für die Bühne verantwortlich zeichnet, dies alles in einer Nüchternheit zur Darstellung zu bringen, die nicht für den Zuschauer das Geschehen auflöst. Schulz lässt dem Spiel den Platz, ist kein Theatererklärer. Er zeigt. Er deutet (an). Es genügen kleine Zeichen, um Gewalthandlungen darzustellen. Überhaupt will diese Inszenierung nicht das Problemfeld für jemanden lösen. Sondern man nimmt diese einerseits archaische Thematik und andererseits moderne Situation ungelöst mit sich nach Hause. Politik und „das Menschliche“ in einer Welt in der alle zu Dingen werden, die eine Aufgabe zu erfüllen haben und in Wirklichkeit daher auch nicht die Situation auflösen können, sind ein Bild. Das ist bedrückend.
Die Musik
Und die Musik hilft dem nicht ab. Sidney Corbett hat eine Partitur für ein Kammerorchester (mit Streichern, Bläsern, Harfe, Akkordeon und Perkussion) geschrieben, die bis auf wenige Stellen nicht mit dem Gesang der Darsteller zusammenfällt. Über 90 Minuten ist der Klang zerhackt, Repetitionsakkorde, flächig, das Metrum durch dauernde Verzögerungen schwebend. Jeder einzelne Klang ausgehört, feingefeilt, prismatisch funkelnd: Grundtonlos, schwebend, bisweilen auch mal brachial. Die Klänge kippen, irisieren, schleifen. Das Melodische ist ihnen außer in seltenen Momenten fremd. Die Analyse der inneren Logik der Partitur bedürfte einer längeren Untersuchung. Nur ein Moment, der die Verklammerungen anzeigt: Wenn Hagar mit ihrem ersten Einsatz den ersten Einsatz von Sara im Krebs singt. Auch die Intervallstrukturen, mit denen zwischen den Personen gearbeitet wird, stehen auch kompositorisch vielfach in Bezug – das ist nicht immer hörfällig. Repetition und sinnfällige Intervalle sind sprachähnlich gewoben, so dass bei aller Künstlichkeit doch die Sprachnähe gewahrt ist.
Das Orchester unter der Leitung von Michael Wendeberg hat die schwierige Partitur, mit zahllosen Tempowechseln und ihrer rhythmischen Unklarheit tadellos umgesetzt, vielleicht immer etwas zu laut, die Partitur kennt vierfaches pppp – und das nicht zu knapp. Was heute Orchester außerhalb der Theatermetropolen zu leisten in der Lage sind, ist erstaunlich. Diese Partitur hätte jedenfalls auch auf neue Musik spezialisierte Ensembles herausgefordert.
Und noch erstaunlicher, was die Sängerinnen und Sänger an dieser Stelle vollziehen. Sie sind allesamt keine Spezialisten für Neue Musik, sondern Ensemblemitglieder. Allen voran die beiden Frauen: Kammersängerin Undine Dreißig als Sara, wenn sie gleich bei ihrem ersten Auftritt ein irre-süßes Melisma beim Kämmen ihrer Haare freischweben lässt. Oder Julie Martin du Theil als Hagar, die es ihr gleichtut, nur in noch schwindelerregenderer Sicherheit. Da hat es Abraham-Darsteller Roland Fenes mit seiner Partie ungleich schwerer. Da neigt sich der Gesang dem Sprechen an und die Potenz der Person fordert ihren Tribut – das ist nicht misszuverstehen – es ist die Rolle, die den Bariton kneift. Wie auch bei den anderen Männerdarstellern (Manfred Wulfert, Paul Sketris, Kai Preußker und Kim Schrader), deren mimische Präsenz die Sängerische überstrahlt. Es zeigt, wie hoch das Niveau der Aufführung war, wie sehr das gesamte Ensemble an der Belastungsgrenze stand und sich darüber noch zu steigern in der Lage war.
Viel einhelliger Applaus im fast voll besetzten Schauspielhaus.
Einen Moment lang konnte man vergessen, dass man im politische eigenartig sortierten Sachsen-Anhalt war. Keine Staatskultur, zur Heimat hin identitätsstiftend auch nicht. Eben Kunst und hier im besten Sinn Kunst, die in einem mehr Skepsis und Zweifel nährt. Die nicht auf vordergründige Effekte, auf Überredung setzt. Die dem Schöngesang nur im Moment der Einsamkeit und der Unbeobachtetheit den Raum gibt. Seltene Momente, wo so etwas wie Wärme durch die Verflechtung aus Macht und Gewalt heraustritt.
Ansonsten: Voller Ungemach.
Vorstellungen:
18.3.2016 | 19:30 Uhr | Schauspielhaus / Bühne
27.3.2016 | 19:30 Uhr | Schauspielhaus / Bühne
07.4.2016 | 19:30 Uhr | Schauspielhaus / Bühne
14.5.2016 | 19:30 Uhr | Schauspielhaus / Bühne