Seit vielen Jahren schreibt das SWR Symphonieorchester den „Meisterkurs Orchesterkomposition“ aus, um der nächsten Generation Komponierender die Gelegenheit zu bieten, intensiv mit einem professionellen Orchester zusammenzuarbeiten.
Musik für Symphonieorchester ist eine brisante Gattung. Denn sie hat eine lange musikhistorische Tradition, womit zum einen hohe Erwartungshaltungen durch Orchester, Publikum und Kritik bestehen. Zum anderen gibt es noch vor der musikalischen Ausführung viele Fallstricke in der praktischen Umsetzung, wie beispielsweise eine Partitur für Orchester möglichst klar verständlich einzurichten. Hinzu kommen weitere Fragen: Wie funktioniert eine effiziente Kommunikation mit dem Dirigenten, dem Orchester, der Institution, und wie bringt man sich als Komponist*in in der Probenarbeit so ein, dass die eigenen Ideen verwirklicht werden? Zu guter Letzt besteht ein hoher personeller und finanzieller Aufwand bei wenig Probenzeit und technischen Herausforderungen, die in neuer Musik eher normal als die Ausnahme sind.
Im November letzten Jahres stellten sich Katrin Klose, Joan Gómez Alemany, Florian Wessel, Carlos Hernández Canales, Yanwen Li und Mohammad Hossein Javaheri, alle zwischen Studium und Berufsleben stehend, dieser Herausforderung. Vier Tage lang probten sie mit dem Orchester. Sie lernten und erfuhren an ihren eigenen Stücken, wie Orchesterkomposition und Werkeinstudierung praktisch gehen.
„Sinfonieorchester ist so wie die große Farbpalette für einen Künstler: eine Riesenpalette an Klängen, die man verwenden kann“, sagt Katrin Klose zum Reiz, der für sie von der Orchesterkomposition ausgeht. Sie absolviert derzeit ein Doktoratsstudium in Glasgow (Schottland), nachdem sie in Deutschland und Österreich Komposition studiert hat. Für den Berliner Komponisten Florian Wessel, der im vergangenen Jahr seinen Masterabschluss in Saarbrücken machte, ist der Kurs eine gute Gelegenheit um Klangerfahrung zu sammeln: „Man kann viel auf dem Papier schreiben und vorher überlegen, aber letzten Endes muss man das dann immer auch mit dem Klangresultat abgleichen.“
Zur Seite standen den Teilnehmenden drei Mentoren: Martin Schüttler (Professor für Komposition an der Musikhochschule Stuttgart), Björn Gottstein (Redakteur des SWR und Künstlerischer Leiter der Donaueschinger Musiktage) und Arnulf Herrmann (Professor für Komposition an der Hochschule für Musik Saar). Eine besondere und anspruchsvolle Rolle im Rahmen des Projekts nahm der Dirigent Gregor Mayrhofer ein, Assistenzdirigent der Berliner Philharmoniker und Dirigierstipendiat der Karajan Akademie, aber auch selbst Komponist. Er hatte sich die sechs Werke, deren Partituren anfangs noch viele Fragen aufwarfen, mit großer Geduld und Neugier angeeignet und die Klangsprachen intensiv studiert. So nahm er die Position eines Vermittlers zwischen den Komponst*innen und Musiker*innen ein, die er zur Zufriedenheit aller erfüllte. „Ich habe mich als Komponist von ihm ästhetisch bestätigt gefühlt. Er hat ganz genau verstanden, worum mein Stück geht und den Musikern viel Emphase gegeben, was ich mit meiner Musik meine, obwohl ich es ihm nie wirklich erklärt habe“, sagt der 29-jährige Hernández Canales, der derzeit in Stuttgart sein Konzertexamen in Komposition absolviert.
Nachmittags nach den Proben trafen sich die Komponierenden, die Mentoren, der Dirigent und einige Orchestermusiker*innen, um sich über den vergangenen Probentag auszutauschen, aber auch um allgemeine Fragen zu klären. Die Komponistin Li Yanwen hebt die Bedeutung dieser täglichen Gespräche hervor: „Es war wirklich sehr, sehr wichtig für uns, denn wir konnten dort alle sehr viel lernen. Wir bekamen Feedback von den Spieler*innen, von den Mentoren, vom Orchestermanagement, vom Dirigenten, von uns gegenseitig. Dort konnten wir diskutieren, Probleme lösen und Fragen stellen. Sie zeigten uns konkret die Stellen in unseren Stücken, die Schwierigkeiten bereiteten“. Li lehrt bereits als Dozentin an der Xinghai Conservatory of Music (China) und studiert gleichzeitig Komposition an der Stuttgarter Musikhochschule.
Doch nicht nur für die jungen Musiker*innen war dieser Kurs eine lehrreiche Erfahrung, sondern auch für das Orchester selbst. Es konnte einen tiefen Einblick in eine taufrische Klangwelt nehmen. Eröffnet von Mark Andres „Echographie“ wurden schließlich alle Stücke im Rahmen eines öffentlichen Konzerts im Saal der Stuttgarter Musikhochschule uraufgeführt. Irritierend war einzig der Titel dieses Abschlusskonzertes: „Komponisten von morgen“ …