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Vera Egorova und Anna Pisareva in Samy Moussas „Vastation“. Foto: Adrienne Meister / Münchner Biennale
Vera Egorova und Anna Pisareva in Samy Moussas „Vastation“. Foto: Adrienne Meister / Münchner Biennale
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Die Klangbombe der Restauration: „Vastation“ von Samy Moussa und Toby Litt bei der Münchner Biennale

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Samy Moussa hatte sich im Vorfeld seiner Biennale-Uraufführung weit aus dem Fenster gelehnt: Einen „Bruch mit der Kultur des Experiments“ wolle er vollziehen, die „leider allzu oft Hässlichkeit“ hervorbringe. Dem setzen er und sein Librettist Toby Litt mit „Vastation“ eine konventionelle, an der Schnittstelle von Politik und Privatem angesiedelte Handlungsoper entgegen. Neunzig Minuten süffiges, effektsicheres Musiktheater – warum nicht?

„Why not?“ Das ist auch das politische Motto der bis zum Beginn der Oper offenbar höchst durchsetzungsfähigen Präsidentin eines fiktiven Landes. Doch die Fassade täuscht. Innerlich fühlt Anna sich schwach, der alkoholkranke Gatte Harry und das Verhältnis mit dem Militärchef Dimitri machen die Lage nicht einfacher. Eine Krise, ein Konflikt mit dem Nachbarland muss her, um vor den Wahlen Stärke zu demonstrieren. Für den militärischen Erfolg greift die Präsidentin – nicht ohne zuvor der ambitionierten Tochter Lola zum Schein die Entscheidung in die Hand zu geben – zum letzten Mittel: zu „Vastation“ („Wüstung“), einer Art Klangbombe, die den Gegner innerlich zersetzt, in den Wahnsinn treibt.

Samy Moussa hatte mehrfach betont, diesen von Librettist Litt ersonnenen „sonic blast“ nicht vertonen zu wollen. Dennoch assoziiert man das katastrophisch ausbrechende Zwischenspiel nach dem fatalen Entschluss unwillkürlich damit, auch wenn der Komponist hier eher auf die Vorstellungskraft der Beteiligten, das Kino im Kopf gezielt haben dürfte. Den Soundtrack dazu und die Oper insgesamt koloriert Moussa als versierter Instrumentator mit einer schillernden Klangmischung: Über der fast durchweg als bedrohlicher Subtext präsenten Tieftonregion setzen die Bläser – vielleicht etwas zu häufig das gestopfte Blech – markante, bisweilen auch ironisierende Akzente.

Die Balance mit den Gesangsstimmen ist meist gewährleistet. Ganz in der Tradition eines Benjamin Britten – Moussa hält ihn für den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts – legen diese sich in gut klingenden Lagen und mit melodisch plausiblen Linien über das Orchester, verschmelzen bisweilen gar zu emphatischen Ensembles.

Die „neue Form der Tonalität“, die der Komponist nach eigenen Angaben in den letzten Jahren entwickelt hat, klingt nicht ganz so neu. Mit Spannungsklängen immer wieder aufgeraut, hat sie aber immerhin genügend Frische und Eigenständigkeit, um nicht abgegriffen, wie aus zweiter Hand zu wirken. Mit sicherem Theaterinstinkt betrachtet er dann auch die naheliegende „Wahnsinnsszene“ durch ein schillerndes Kaleidoskop romantischer Operntraditionen.

Das vermeintliche Opfer ist Dimitri. Als er aus seiner Wahnrolle herausfällt, um die Präsidentin, seine Geliebte, vor einer Intrige zu warnen, wird er vom zwielichtigen Colonel erschossen. Als dessen Marionette muss sich am Ende das gesamte Personal fühlen, wenn dieser die Wahlen auf „unbestimmte Zeit“ verschiebt und „widerwillig“ in das Machtvakuum stößt, das er selbst verursacht hat.

So ganz geht die Mischung aus bitterbösem Polittheater und emotionsgeladener Familienoper freilich nicht auf. Die kompakten, auch durch Toby Litts knappe, teils songartige Texte schnell auf den Punkt kommenden Szenen sind in Sachen Tempo und Dramaturgie zwar ein echter Pluspunkt des ohne Pause gespielten Stücks. Andererseits geben sie aber wenig Raum zur Entfaltung der Persönlichkeiten und ihrer Beziehungen zueinander. Die Figuren bleiben ein Stück weit Typen, statt Individualität zu entwickeln. Kurze, im Falle Annas auch längere Monologe sind eher Posen denn berührende oder entlarvende Innenschau.

Daran kann auch Christine Mielitz’ grundsolide Regie nichts ändern, die andererseits für die in Libretto und Musik mitunter angelegten Möglichkeiten zur satirischen Zuspitzung wenig Interesse zeigt. (Eine solche ist beispielsweise Lolas Auftritt kurz vor Schluss, bei dem Lloyd-Webbers „Evita“ um die Ecke zu schielen scheint.) Auf einem schrägen Kubus sorgen Projektionen und ein höhenverstellbarer Rahmen aus Neonröhren für wechselnde Stimmungen innerhalb eines trostlosen Überwachungsstaates.

Eine glänzende Visitenkarte gab das koproduzierende Regensburger Theater im Carl-Orff-Saal des Münchner Gasteig ab. Sammy Moussa hatte als sein eigener Dirigent das Philharmonische Orchester detailgenau präpariert und führte es zusammen mit dem ausgezeichneten Chor (Einstudierung: Alistair Lilley) zu einer klangsinnlichen, mitreißenden Leistung. Bis auf den etwas matter wirkenden, nicht ganz so präzise artikulierenden Jongmin Yoon (als Harry und Colonel) waren die dankbaren Partien erstklassig besetzt: Vera Egorova gab der Präsidentin aus einer wunderbaren Alt-Tiefe heraus vokales Profil, Anna Pisarevas schwindelfreier Lola-Sopran war das ideale Gegenstück. Seymur Karimov verwandelte Dimitris Wahnsinnsszene mit baritonaler Kompetenz in ein kleines Stück im Stück, Cameron Becker gab mit bravourösem Charaktertenor den intriganten Wahlkampfmanager.

Die für ein Haus dieser Größenordnung – und eingedenk enttäuschender Uraufführungen in den letzten Jahren (Franz Hummels „Zarathustra“, Ludger Vollmers „Lola rennt“) – höchst respektable Produktion dürfte in Regensburg ihr Publikum finden. Ob die Biennale allerdings der geeignete Ort für eine dezidiert restaurative Auffassung von Musiktheater ist, diese Frage wird sich Peter Ruzicka stellen lassen müssen. Beantwortet wurde sie schon einmal durch viele leer gebliebene Premierenplätze.

Weitere Vorstellungen: 9. Mai, Carl-Orff-Saal, München; 17., 20., 30. Mai, 1., 17., 22. Juni, 14., 18. Juli, Theater Regensburg
 

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