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Die Mädchen von Theresienstadt

Untertitel
Uraufführung einer Oper von David Paul Graham in Bonn
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„Diese Geschichte eines Kinderheims in Theresienstadt führt an eine Grenze des Erträglichen, dorthin, wo Mitleid, Furcht, Beschämung auf uns lauern“, hatte die Wochenzeitung „Die Zeit“ 2004 über das sich auf dokumentarisches Material berufende Buch „Die Mädchen von Zimmer 28 – Freundschaft, Hoffnung und Überleben in Theresienstadt“ der Berliner Publizistin Hannelore Brenner-Wonschick geschrieben: das geeignete Sujet für eine Oper?

Dem persönlichen Kontakt von Thomas Neuhoff, künstlerischer Leiter des Philharmonischen Chors der Stadt Bonn und des Chors des Bach Vereins Köln, zu zwei mittlerweile 80-jährigen Überlebenden aus dem Mädchenheim L410 des nahe Prag gelegenen nationalsozialistischen „Vorzeige“-Sammel- und Durchgangslagers Theresienstadt ist es zu danken, dass das Musiktheater um ein Werk bereichert wurde, das – frei nach Horaz’ „delectare et prodesse“ – pädagogisch wertvoll und – trotz aller Beklemmung – zugleich auch unterhaltend ist: Auf Anregung Neuhoffs, der seit fünf Jahren Schülerprojekte durchführt, hat der in Bonn lebende britische Komponist David Paul Graham, ehemals Schüler und Assistent von Hans Werner Henze, sich den Stoff (auf ein von Kerstin Baldauf durch Brenner-Wonschicks Buch angeregtes Libretto) musikalisch äußerst sensibel erschlossen – allen moralischen Bedenken zum Trotz.

In zehn Szenen werden Alltag und Schicksal jener zwölf- bis vierzehnjährigen, vornehmlich jüdischen Mädchen sehr konkret gezeigt. In authentisch nachempfundenem, spartanischem Lager-Ambiente (Stockbetten, Tisch, Stühle) geht es – pubertierend vorahnend – bereits schon hier um die blanke Existenz: Kunst, Theater, Musik als Überlebensstrategie; „Brundibár“, die Kinder-Oper von Hans Krása, ist mehr als 50 Mal im Ghetto aufgeführt worden. In einer der Szenen bewerben sich die dreizehn Zimmergenossinnen um eine die Deportation nach Auschwitz – vielleicht – hinauszögernde Rolle.

Eine „Oper über Oper“ (Neuhoff), die als eine „interaktiv“ funktionierende Jugendoper (deren „Stammpersonal“ sich jeweils durch Mitspieler aus einem begleitenden Schulprojekt „vor Ort“ ergänzt) zu einem unprätentiösen „Lehrstück“ über Menschenwürde, Obrigkeitsdenken, Solidarität und über Widerstand gegenüber jeglichem Machtmissbrauch wird und ganz nebenbei eine kreative Auseinandersetzung mit „Kunst“ fördert.

Ein Bezug zur Gegenwart wird durch eine zweite Spielebene geschaffen, auf welcher sich im Jahre 2009 zwei der Überlebenden wiederfinden und ihre gemeinsame Biographie reflektieren. Aus der Ambivalenz von Dankbarkeit, die Hölle überlebt zu haben, und Schuld gegenüber all jenen, die ihr nicht entkommen konnten, erwächst Verantwortung und Botschaft: gegen das Vergessen ankämpfen.

Im Januar wurde Grahams Jugend­oper „Die Mädchen von Theresien­stadt“ unter der musikalischen Leitung von Thomas Neuhoff und in der Regie von Kerstin Baldauf in Bonn aus der Taufe gehoben. Neben den beiden anrührend gestaltenden Sopranistinnen Ingrid Schmithüsen und Kerstin Baldauf (als die beiden Überlebenden) sangen und agierten exzellent präparierte Solisten des Jugendchors der evangelischen Lukaskirche Bonn, verstärkt um junge „Kollegen“ unterschiedlicher örtlicher Schulen.

Bewusst hat David Paul Graham eine moderat moderne, dabei aber durchaus anspruchsvolle Klangsprache gewählt, nimmt Rücksicht auf das Vermögen gründlich geschulter jugendlicher Laiensänger, wagt aber dennoch neben Sekund-Reibungen extreme Intervalle und rhythmisch diffizile Raffinessen, welche die Darsteller der Uraufführung im Übrigen bravourös bewältigten. Ausgesetzt für Instrumental-Ensemble aus Klavier, Violoncello, Akkordeon und Schlagwerk, das sich nirgends in den Vordergrund drängt, wirkt die Begleitung in ihrem Duktus meist schwebend, fast monoton, wie ein Lamento, das die Gesangslinien sehr rücksichtsvoll eher stützt als deren Texte kommentiert.

Nur gelegentlich werden schärfere Akzente gesetzt, die darum umso intensiver ausfallen. Die starke Wirkung dieses neuen Stücks Musiktheaters war allen Beteiligten wie auch dem Publikum deutlich anzumerken.

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