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Foto: Ronny Waleska
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„Die mutierte Füchsin Schlitzohr“ – Janacek-Apokalypse an der HfM Dresden

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Diese Koproduktion der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber, der Hochschule für Bildende Künste und des Staatsschauspiels Dresden schien verheißungsvoll: Die ambitionierte Kammerfassung des britischen Komponisten Jonathan Dove nach der anspruchsvollen Partitur Leos Janaceks zu „Das schlaue Füchslein“ hat ihre Eignung für spannende szenische Lesarten durch begabte Debütanten schon mehrfach bewiesen.

Entschieden hat man sich für die deutliche Übersetzung von Peter Hintze, durch die ganz schnell erkennbar wurde, wie da an Text und ethischer Dimension dieser wunderbaren Oper vorbeiproduziert wurde. Nicht nur daran!

„Eine verödete Landschaft im Jahr 2143.“ heißt es über der Inhaltsangabe und deshalb bilden über die Bühne des Kleinen Hauses verteilte graue Felsen neben einem goldenen Revuevorhang die Hauptdekoration. Ebenso grau wie Valentin Reicherts Ausstattung sind die Kostüme Jakob Ripps für die Mutanten. Denn es gibt hier keine Tiere – keine Füchse, keine Hennen, keinen Dackel, keine Eule, nicht einmal die Mücke – sondern nur menschliche Derivate, vielleicht so etwas Pendants zu Michael Endes aschfahlen Zeitdieben aus „Momo“. Fürwahr, es muss eine entsetzliche Katastrophe stattgefunden haben.

Wenn der Förster durch die Natur ohne Flora und Fauna entspannt spazieren geht, hat er keine Angst vor den grauen, verlangsamt gaffenden Menschenratten, die er „Drecksvieh“ nennt. Die Faszination zwischen den Arten, von Janacek so genau auskomponiert: Nicht gezeigt, nicht vorhanden. Sobald der Text in überdeutliche Distanz zum Spielgeschehen gerät, brechen die Übertitel ab, oft über lange Minuten. Und die Musik, zu der Barbara Beyer nichts an Regie einfallen will, wird unerbittlich gestrichen. Die Orchesterkommentare etwa oder die große Erzählung der Füchsin von ihren Lehrjahren auf dem Försterhof… Von 100 Minuten bleiben gerade knappe 80. Am schlimmsten wird es, wenn vom Schlussmonolog des Försters, im dem er sich an Liebe, Jugend und Freiheitdrang erinnert, über die Hälfte fehlt. Die Vergewaltigung von Werk und Werkgehalt schmerzt, denn diese Musik wünschte sich der Komponist zu seinem Begräbnis. Die Falle zum Tod der Mutantin Schlitzohr ist ein gedeckter Tisch, sie verreckt mit einem Filetstück vom Kaninchenbraten im Maul.

Nun wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn Barbara Beyer für Janaceks philosophisches Märchen, die satirischen Überspitzungen tierisch-menschlicher Aggressionen und Triebhaftigkeiten ein ebenbürtiges Gedanken- und Sinngebäude hätte errichten wollen. Doch sie will nicht und entwickelt stattdessen eine schon in der ersten Spielhälfte mürbe Katastrophencollage. Dekadenz- und Anarchie-Fragmente großer Vorbilder dürfen nicht fehlen – als Videos vom Screen natürlich, einige in Eigenproduktion neugemacht: Kubricks „2001“-Prolog, Langs „Metropolis“-Aufstand, Manga-Flirts. Und schließlich rast Lars von Triers „Melancholia“-Planet in Beyers „Planet der Mutanten“. Auf dem überleben scheinbar nur der Förster und einige verlangsamte Wesen. Die Försterfamilie reicht sich in Erwartung des planetaren Supergaus die Hände – unter einer Totempyramide aus den allerletzten Holzreserven und ist dabei gleichgültig wie zu einem x-beliebigen Tischgebet.

Auf der Strecke bleiben alle Doppelbödigkeiten, wo es zu menscheln beginnt bei den Tieren und Männer nur dumpf begehrlich sein dürfen. Die Parallelen zwischen der nicht auftretenden Zigeunerin Terynka und der Füchsin werden nicht einmal ansatzweise erschlossen. So hängt die große Szene zwischen Förster, Lehrer und Pfarrer durch, wird in erster Linie zotig und zeugt von abgrundtiefer Ödnis.

Die Musik dazu? Eigentlich wäre ja Jonathan Doves Arrangement aufregend durch und durch, weil er mit der kleinen Besetzung die harmonischen Reibungen Janaceks deutlicher herausmeißelt als in der philharmonischen Breite, die in vielen Interpretationen die musikalischen Strukturen mildert. Hier zeigt sich die heute noch immer gültige Modernität Janaceks, der bereit 1924 hinter die Schlüssel seiner Notensysteme keine Vorzeichen mehr setzt, sondern nur mehr vor den einzelnen Noten. Bizarr wird es auch, wenn hier das Gackern der Hühner, der Tanz der Libelle, der Aufmarsch der kleinen Füchse und das Quaken des jungen Froschs kammermusikalisch pointiert aus der Partitur tönen, doch keine einzige szenische Entsprechung erhalten. Die musikalische Leitung Franz Brochhagens und Barbara Beyers Ideen finden einfach nicht zusammen.

Opfer sind die jungen Studierenden und Masterstudierenden, die etwas lernen sollten und unter diesen Bedingungen kaum zum stimmigen Ausdruck vordringen können. Völlig fehlt an diesem Nachmittag die körpermotorische und künstlerische Energie zwischen Gesang, Diktion und szenischem Ausdruck. Beomseok Choi als Förster und Teaa An in der Titelrolle schaffen es gerade noch, ansatzweise Charakter in ihre Partien zu bekommen. Doch nicht einmal Teaa An gelingt es unter diesen Bedingungen, Animalität und Empathie der Füchsin aufzubauen. Wenn Kwanghee Choi (Haraschta) sie erschießt, wenn Rahel Brede (Försterin) von der Einsamkeit des strafversetzten Pfarrers singt, löst das keinerlei Regungen aus. Unter solchen Rahmenbedingungen verpassen die Sänger die Gelegenheit, sich eines der aufregendsten und am meisten bewegenden Werke des Repertoires zu erschließen. Immer wieder merkt man aus dem Graben, dass die musikalischen Anforderungen an das Hochschulsinfonieorchester beträchtliche sind. Die emotionale Starre und Gleichgültigkeit dieser Produktion löst sich nicht einmal beim weitgehend stumpfen Schlussbeifall.

Man muss sich ja nicht gleich die Inszenierung Walter Felsensteins an der Komischen Oper zurückwünschen. In Hamburg, München, Leipzig und Paris gab es in den letzten Jahren spannende Produktionen, gelungene und weniger gelungene. Doch dort hatte die Regie überall den Willen zum Durchdringen und Verstehen der knirschenden Sinngefüge Janaceks, der sich parallel zur Entstehung des „Schlauen Füchsleins“ mit „Die Sache Makropulos“ noch einem anderen essenziell panmoralischen Werk über Tod und Sein gewidmet hatte.   

  • Wieder am 24.05. (19:30) – 29.05. (18:00) – 31.05. (19:30) – 06.06. (19:30) – 10.06. (19:30)

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