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Die Neue Musik auf der Flucht vor sich selbst

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Anmerkungen zu den diesjährigen Donaueschinger Musiktagen &#183
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Dass die musikalische Avantgarde heute, soweit man überhaupt noch von ihr sprechen kann, kaum mehr Ziele oder Visionen ihr eigen nennt, ja solches Ansinnen gerne als Sünde der Väter belächelt, ist mittlerweile keine Überraschung mehr. Um aber ihrem Tun den Anstrich von Innovation zu geben, greifen viele Komponisten gerne auf außermusikalische Unterfütterung zurück. Die Attraktion medialer Verflechtung greift – und wenn gar noch „multi“ davor steht, dann glaubt man die Gewähr für Produkte auf der Höhe der Zeit automatisch mit einzupacken. Zumindest in diesem Sinne waren die Donaueschinger Musiktage 2003 ein Spiegel heutigen musikalischen Bewusstseins.

Freilich, um ein Wort aus der Politik zu benutzen, schafft man oftmals mit diesen Mitteln nicht Reichtum, sondern allein die Verwaltung von Armut. Und etliche Male hatte man diesmal den Eindruck, dass sich die Musik auf der Flucht vor sich selbst befindet. Hatte man im Musiktheater des 18. Jahrhunderts noch heftigst über den Gegensatz „Prima la parola – Prima la musica“ debattiert, ja gerungen, so gibt heute die Musik immer wieder aus innerer Ratlosigkeit klein bei. Sie ist Akzidenz, ist Beilage zum Videobild, zur theatralen Geste, zum mystischen Konstrukt oder zur wissenschaftlichen Befragung akustischer Räume oder von physikalischen Hörvorgängen. Nicht dass hier gegen solche Ansätze das Wort erhoben werden sollte, sie können durchaus Per-spektiven weisen oder verändern. Wenn aber das musikalische Ergebnis immer wieder hinter auch schon niedriger gehängten Ansprüchen zurück bleibt, dann stimmt etwas nicht. Noch immer sind wir in Donaueschingen auf Musik-Tagen mit Betonung auf dem ersten Wort.

Es waren insbesondere die ersten beiden Tage von den beiden Eröffnungs-Performances weg, die diese Beobachtungen nahe legten. Der Musik-Asket Antoine Beuger begann um 16 Uhr (aus Ausdauergründen selbstverständlich zusammen mit anderen Sprechern) eine Lesung auf einen Text von Oswald Egger, die sich über 48 Stunden hinziehen sollte: „wort für wort (geraum)“ – Tag- und Nachtwachen mit zirka vier ausdruckslos gesprochenen Worten pro Minute. Und um 18.30 Uhr fand Vadim Karassikovs Klavier/Violin/Klarinetten-Stück „Beyond the Boundary of Silence“ statt (man sträubt sich zu sagen: es erklang). Ein Blick in die Partitur lässt hochkomplexe Strukturen erkennen, die auch einen Ferneyhough beschämen müssen. Was man beim flüchtigen Überschlagen nicht sogleich sieht, sind die verwegen langen Pausen und auch die Anweisungen, vieles mit der Lautstärke Null zu spielen. Also waren eine halbe Stunde lang die Musiker des Klangforum Wien zu beobachten, die hochkonzentriert und wie erstarrt zu 99 Prozent nichts produzierten – dies aber mit äußerster Anspannung. Das Konzept, das der Russe Karassikov mittlerweile zum eigenen Mythos erhebt, hat durchaus spannende Momente, weit mehr aber läuft es Gefahr, zum selbstläufigen Eklektizismus zu werden. Ein pubertärer Habitus drängt sich auf, da die Dringlichkeit des Gedachten (im Gegensatz etwa zu Cage oder auch zum frühen Lachenmann) nicht kenntlich wird.
Nun folgte freilich das Eröffnungskonzert, also „richtige“ orchestrale Musik. Doch das „Orchestre Philharmonique de Radio France“ unter Emilio Pomárico erwies sich als Enttäuschung. Das betraf vor allem Walter Zimmermanns Dreher-Phantasie „Subrisio saltat I“, in der dreißig fränkische Dreher beharrlich rhythmisch verhoben werden. Ob es zu neuem Tanz-Körpergefühl von subkutanen Unwuchten führen kann (man darf es annehmen) ließ sich im holprigen Unverständnis des Orchesters nicht vernehmen. Der (exzellente) Solo-Cellist Lucas Fels war zu bedauern. So blieb einzig, diesmal mit mehr Engagement gespielt, die „Nachtmusik II“ von Emmanuel Nunes, eine Neufassung des Werks aus dem Jahr 1981. Das Enigma dichter Strukturen, die sich am Schluss flächig in Geläut auflösen, entschädigte.

Die Zweifel aber blieben – nicht zuletzt, weil der Samstag reichlich Nachschub lieferte. Das war das Klammer-Projekt „Musik für Hunde“, das sich über mehrere Nebenschauplätze (Klangsäulen in der Stadt bei Ablinger, ein betont unappetitlich auswurfartig drapiertes Klavier im WC der Donauhallen bei Georg Nussbaumer) im Morgenkonzert fokussierte. Ablinger geht seinen Weg, er erstellt oder sammelt Spektralgeräusche, tastet sie instrumental ab. Leere, Weite, Perspektive sind seine Themen, nicht die klingenden Resultate sind das Zentrum, sondern den Raum, den sie schaffen. Die beiden anderen Arbeiten, „Zwischen Schwarz und Rot“ von Rolf Julius und „Von der Wiege bis zum Graab“ von Georg Nussbaumer erwiesen sich als musikalisch irrelevant. Bei Nussbaumer konnte man zumindest noch die Bühnenbausituation mit drei Männern, die mit penismeinenden Dreimeter-Stangen zwischen den Beinen einen Flügel clusterartig anschlugen und mit einem gestrichenen Saitenwerk, das vom Flügel ausging und über ein Gestell mit Schweinszungen beschwert wurde, bewundern: viel Assoziation, der Flügel als Wiege und Bahre, Zunge und Penis als Erregermomente, ein auf den Flügeldeckel projizierter Abfluss als Verfließen der Zeit. Letztlich waren alles Totläufer.
Also zum Nachmittagskonzert: zwei Mal mit Video. Hübsch machte das Pierre Jodlowski in „People/Time“, wo Gesichter computeranimiert sich verändern, altern oder ineinander übergeführt wurden. Der Betrachter verfolgt das mit der Aufmerksamkeit, mit der er vor gut zehn Jahren die sich wandelnden geometrischen Figuren auf dem Bildschirm betrachtete. Die Musik, die hier nötiger denn je für Vertiefung hätte sorgen sollen, blieb Beiwerk – eine Beobachtung, die in Arnulf Herrmanns „Panorama“ über die letzten elf Sekunden eines Lebens eventartig repliziert wurde. Dazwischen lag Enno Poppes „Rad“ für zwei Keyboards, Musik hochvirtuoser Komplexität mit garantierter Wirkungsqualität. Die programmatisch ständig veränderten Stimmungssysteme, die Komplexe von Summen- bzw. Differenzklängen, die manisch gestaffelte Rhythmik treiben alles Geschehen ins Undurchschaubare. Der Hörer wird von so viel Fliehkräften des Rads überwältigt. Die einzige Waffe, die ihm bleibt und die er auch zieht: Alles klingt nach kalter Oberfläche, ein gleißende Fläche, die betört und zugleich die Augen (die Ohren) verschließt. Hört die mit dem Walkman aufgewachsene Generation so – nach Effekt ohne Hintergrund? Es kann sein (hoffen wir es), dass hier eine neue Basis (wie durch die Dreiklangsraketen der Mannheimer) entsteht. Immer noch aber fragte man sich nach einem Ort, wo sich Musik ereignet – und fand im Jazz-Abend vor allem in Evan Parkers „Set“ für Elektro-Akustisches Ensemble erste Entschädigung. Und immer noch, das hatte schon fast etwas Versöhnliches, war Antoine Beuger mit seiner Lesung verborgen zugegen.

Die beiden Konzerte des Sonntags holten dann doch einiges auf. Da war der junge Russe Sergej Newski mit einer wohl noch auszubauenden Komposition „Fluss“ für Sprecher und Ensemble, das einen kühn eigenständigen Ton, rücksichtslos gegenüber Avantgarde-Konventionen anschlug. Eine hoffnungsvolle Begabung kündigte sich an. Und da war Dror Feilers „Point-Black“, das in vom Komponisten gewohnter Massivität und Klangballung den Zorn über den Zustand der heutigen Welt herausschrie. Beim Orchester-Abschlusskonzert (gewohnt engagiert das SWR Sinfonieorchester unter Sylvain Cambreling) fiel neben Isabel Mundrys intensiven Raumstück „Penelopes Atem“, wunderschön gesungen von Salome Kammer, vor allem „natures mortes“ von Georg Friedrich Haas auf. Haas, das belegte auch seine eben in Bregenz uraufgeführte Poe/Kafka-Oper „die schöne wunde“, hat in letzter Zeit eine ganz neue Sicherheit gefunden. Das feine, mikrotonale Schwankungen auskostende Ohr lässt sich nicht mehr zwanghaft ein auf Attitüden des kritisch gebrochenen Klangs, sondern lebt sich aus, wagt beatartige Rasterrhythmen und klare Durchschaubarkeit der Disposition. Musik wuchs in sinnlicher Direktheit, im ebenso sicheren, wie filigran durchgestalteten (Spektrum bis etwa zum 64. Oberton!) Zugriff. Haas zeigte auf, wie viel Potenzial im Klang steckt (er ist unerschöpflich!) ohne auf verschämte Auswege über das Bild oder die mystische Verbrämung greifen zu müssen. Das tat doppelt gut, denn man war in Donaueschingen schon ins Zweifeln gekommen.

So konnte man sich einigermaßen beruhigt zu Luciano Berios intensiv gehörten Stück „Chemins I“, einer orchestralen Reflektion seiner Harfen-Sequenza, zurücklehnen. Musik hat von ihrer eigenen, unmittelbaren Wirkungskraft nichts verloren. Beim Zurückdenken auf die ersten beiden Tage der Donaueschinger Musiktage erhebt sich freilich die Frage: Wie lange noch?

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