Das szenische Arrangement wirkt auf den ersten Blick vertraut. Eine Schauspielerin, recht altmodisch gekleidet mit Täschchen und kleinem Koffer erscheint vor einem einfachen weißen Vorhang, kramt einige Bücher aus ihrem Gepäck und beginnt zu erzählen und vorzulesen – kurze Märchenkapitel, etwas von Shakespeare und Puck und anderes. Dann aber hebt sich alles in eine zweite Dimension: Die Frau beginnt zu spielen, schlüpft hinter den Vorhang, verschwindet im hellen Licht einiger Bodenscheinwerfer links und rechts, die ihre Gestalt als große Schatten auf der Leinwand erscheinen lassen. Die Schattengestalten beleben sich, beginnen ihrerseits zu agieren, gestikulieren, signalisieren Zeichenhaftes. Der Titel des Stücks gewinnt Hintersinn: Wirkt nicht auch Shakespeares Ophelia in ihrer Verträumtheit und Verlorenheit wie ein Doppelwesen aus realer Gestalt und Schattenbild – ein Mensch, der sich in den Schatten verflüchtigt, die Schattenhaftigkeit des Wahnsinns? Dragica Ivanovic, von ihr stammt die Idee zu diesem Theaterspiel, erweitert unablässig die Perspektiven und Assoziationen, die sich für die Figur ergeben. Immer wieder kehrt sie auch in die Realität (der Bühne) zurück, unterbricht die Schattenaktionen, spielt als reale Figur von seitwärts mit den Schatten. Das besitzt in der Einfachheit der technischen Mittel zugleich eine große Kompliziertheit in der Koordination der Bewegungen und Gesten mit den Lichtprojektionen. Dragica Ivanovic macht das wunderbar, mit einer zugleich starken und stillen Präsenz.
Ob in Donaueschingen, Witten, bei der „Musica“ in Straßburg oder in Stuttgart beim Festival „Éclat 2000“ – die Komponisten gegenwärtiger Musik geben sich mit einem schlichten Konzertpodium und einigen im Saal verteilten Lautsprechern nicht länger zufrieden. Eine richtige oder zumindest provisorische Theaterbühne muss her, auf der man neue Formen eines Musiktheaters für die Zukunft erproben kann. Dazu gehören auch Performances und Installationen, wie sie in den letzten Jahren besonders bei den Musiktagen in Donaueschingen präsentiert wurden. In Stuttgart überraschte jetzt ein neues Musiktheaterwerk, das die Schauspielerin Dragica Ivanovic und der Komponist Siegwald Malkow nach einer Erzählung Michael Endes schufen: „Ophelias Schattentheater“ (siehe unser Bild auf Seite 1) ist ein weiteres gelungenes Beispiel für ein nicht-narratives musikalisches Theater, in dem Text, Musik, Aktion, Licht und Raum eine geschlossene Einheit bilden. Das szenische Arrangement wirkt auf den ersten Blick vertraut. Eine Schauspielerin, recht altmodisch gekleidet mit Täschchen und kleinem Koffer erscheint vor einem einfachen weißen Vorhang, kramt einige Bücher aus ihrem Gepäck und beginnt zu erzählen und vorzulesen – kurze Märchenkapitel, etwas von Shakespeare und Puck und anderes. Dann aber hebt sich alles in eine zweite Dimension: Die Frau beginnt zu spielen, schlüpft hinter den Vorhang, verschwindet im hellen Licht einiger Bodenscheinwerfer links und rechts, die ihre Gestalt als große Schatten auf der Leinwand erscheinen lassen. Die Schattengestalten beleben sich, beginnen ihrerseits zu agieren, gestikulieren, signalisieren Zeichenhaftes. Der Titel des Stücks gewinnt Hintersinn: Wirkt nicht auch Shakespeares Ophelia in ihrer Verträumtheit und Verlorenheit wie ein Doppelwesen aus realer Gestalt und Schattenbild – ein Mensch, der sich in den Schatten verflüchtigt, die Schattenhaftigkeit des Wahnsinns? Dragica Ivanovic, von ihr stammt die Idee zu diesem Theaterspiel, erweitert unablässig die Perspektiven und Assoziationen, die sich für die Figur ergeben. Immer wieder kehrt sie auch in die Realität (der Bühne) zurück, unterbricht die Schattenaktionen, spielt als reale Figur von seitwärts mit den Schatten. Das besitzt in der Einfachheit der technischen Mittel zugleich eine große Kompliziertheit in der Koordination der Bewegungen und Gesten mit den Lichtprojektionen. Dragica Ivanovic macht das wunderbar, mit einer zugleich starken und stillen Präsenz. class="bild">
Dann aber wird das Spiel noch geweitet: Musik gesellt sich gleichsam als dritte Dimension dem Schattentheater hinzu, dringt in das szenische Geschehen ein, bildet für die sichtbaren Ereignisse auf der Bühne den Klangraum, tritt in ständige Korres- pondenzen mit den Aktionen der Spielerin. Siegwald Malkow hat sie komponiert und für Streichquartett (Neues Stuttgarter Streichquartett mit den Violinisten Mathias Neundorf und Simone Riniker Maier, dem Bratschisten Paul Pesthy, dem Cellisten Erik Borgir) gesetzt. Die kleine Formation gestattet ein geschmeidiges, bewegliches Musizieren. Malkows „Schatten“-Musik zeichnet sich durch ein hohes Maß an Beredsamkeit aus, an Plastizität der Formulierung, auch an Reaktionsschnelligkeit auf die szenischen Impulse. Joachim Fleischer hat als Regisseur alles fein aufeinander abgestimmt, die Aufführung in ihren Bestandteilen subtil ausgehört und zum Klingen gebracht. Das „Neue Musiktheater“ hat mit „Ophelias Schattentheater“ ein weiteres überzeugendes Beispiel für seine innovativen Energien gewonnen.
Die zweite szenische Produktion des diesjährigen „Éclat“-Festivals konnte die ästhetische Geschlossenheit und szenisch-musikalische Dichte von „Ophelia“ schon vom dramaturgischen Ansatz her nicht erreichen. Der Titel „L’Etoile Filante“ (Die Sternschnuppe) klingt poetisch, verspielt, anschaulich. Und mit „Sonne, Mond und Sterne“, wie es im Laternenlied der Kinder heißt, hat das Stück in mannigfacher Hinsicht zu tun. Es knüpft an das „Projekt KEO“ an, die Idee, signifikante Gegenstände unserer abendländischen Kultur mit einem Raumschiff ins Weltall zu entsenden, aus dem sie dann in 50.000 Jahren auf die Erde zurückkehren, um den Nachfahren, falls es diese überhaupt noch geben sollte, Kenntnis von den Segnungen unserer Kulturzeit zu geben. Eine ähnliche Absicht lernte man schon mit Peter Greenaways Wiener Ausstellung „Hundred Objects to represent the world“, kennen, aus der anschließend auch ein mit Musik unterlegtes Theater-Video-Stück hervorging, das bei seiner Premiere in Salzburg einen eher disparaten Eindruck hinterließ, vor allem, was den unscheinbaren Musikanteil betraf – die Percussionistin Robyn Schulkowsky, die zu den „Bildern“ live spielen sollte, fand zu keiner Übereinstimmung mit Greenaway und schied aus dem Vorhaben aus.
Von hier aus gesehen startete das Unternehmen „Sternschnuppe“ aufwendiger und ambitionierter. Wieder übernahm ein Streichquartett – das Arditti String Quartet – den instrumentalen Part, hinzu traten die Neuen Vocalsolisten Stuttgart sowie die beiden Schauspieler Wolfram von Bodecker und Alexander Neander. Die Komponisten James Dillon, Olga Neuwirth, Manuel Hidalgo, Albrecht Imbescheid, Michael Lévinas und Hilda Paredes steuerten im Auftrag Uraufführungen für das Projekt bei, zwei weitere Kompositionen von Ivan Fedele und Iannis Xenakis wurden zusätzlich aufgenommen.
Das Werk mit seinem überwiegenden Collage-Charakter gliedert sich in drei Teile, die Vorgänge der Kunst-Weltraumfahrt werden durch diverse Titel und Zwischentitel beschrieben: Der Kokon, Prolog, Die Geburt eines Traumes, Der Abflug, Während der Reise, Der Tag danach, Schwindelgefühl, Ellipse, Die Rückkehr, Ende der Odyssee, Das Treffen und Mahnung. Vanessa Vérillon entwarf das Bühnenbild, dessen optisches Signal die pappige Nachbildung einer Weltraumkapsel ist, durch deren Tür die Kulturbeteiligten der Reise ein- und wieder austreten. Während das Streichquartett vorwiegend links seitlich, unten oder auf einer Empore oben agiert, ein wenig zaghaft mit Turban, Schürze oder Indianerfeder am Kopf kostümiert, führen die beiden Schauspieler-Pantomimen die locker gereihten Stationen der Reise mit virtuosen, gleichwohl eher traditionellen Ausdrucks- und Darstellungsmitteln vor. Das zweifellos schon in der Wirklichkeit von Absurdität begleitete KEO-Projekt wird satirisch-karikierend in eine Art surrealen Albtraum überführt, aus dem sich zu Beginn und am Ende als „Mahnung“ ein kleines Plädoyer für unsere arme, geschundene Erdkugel herausschält. Das ist zwar recht lieb über- u
u dacht, aber doch ziemlich schlichtgemütig vorgetragen. Eigentlich findet sich nur eine Szene, die einen den Atem anhalten lässt und demonstriert, wohin das Ganze hätte gelangen müssen. Zu Xenakis‘ „Tetras“ für Streichquartett aus dem Jahre 1983 wanken die Raumfahrer, die zuvor in einer Filmsequenz noch sehr lustig ihren Kampf mit der Schwerelosigkeit in der Raumkapsel tänzelnd und schwänzelnd vorgeführt hatten, benommen und orientierungslos aus der Kapsel auf die Erde zurück: Menschenferne, Unendlichkeit und Einsamkeit können den Menschen, seine Seele, seine Gefühle auch zerstören.
Man weiß das aus der Realität, und auch Iannis Xenakis schien etwas davon zu spüren, als er seine harten, harschen Töne zu „Tetras“ setzte, die von den Ardittis mit unglaublicher Intensität und Klangschärfe gespielt wurden: hier war endlich die Verschmelzung von szenischer Situation und musikalischer Korrespondenz mustergültig realisiert.
In fast allen anderen Szenen gelangten die musikalischen Zuspielungen, im Einzelnen von den Ardittis und den Neuen Vocalsolisten Stuttgart engagiert vorgetragen, nicht oder nur partiell über einen illustrativen Gestus hinaus, am ehesten noch bei Imbeschaids „Zeitspur“ für vier Stimmen und bei Hilda Paredes „Can silim tun“ für vier Stimmen und Streichquartett in der abschließenden „Mahnung“.
Die zwei anderen szenisch-musikalischen Aufträge waren zwei Stipendiaten der Akademie Solitude erteilt worden, dort in der Akademie wurden die Stücke im Abschlusskonzert der Musiktage vorgestellt. Vincent Raphael Carionolas „Unstern“ für Streichquartett und Elektronik suggeriert das Szenische mehr durch Geräuschzutaten aus dem Alltag, die im „Rundklang“ den Saal durchschwirren, als durch gespielte Aktionen. Auch ein wenig deklamierter Text (von Helga Kasper) gehörte dazu sowie Lichtspiele. Gelegentlich ließen einige Klänge und Klanggesten aufhorchen, eine gewisse Expressivität ist Carinolas Komponieren nicht abzusprechen, doch in „Unstern“ gelangt es noch zu selten über das Tastende hinaus.
Makiko Nishikaze (Jahrgang 1968), bei Alvin Curran und in Berlin bei Walter Zimmermann ausgebildet, bringt mit ihrem Stück „...lux...“ für Streichquartett und Lichtszene einen eigenständigen, stark meditativen Ton ein. Zu lang gezogenen, langsam sich verändernden Linien wurde auf die Wände des langgestreckten Kellerraumes in der Akademie weißes Licht im ständigen, ebenso langsam sich vollziehenden Wechsel der Segmente geworfen. Musik, Licht, Raum schienen wie ein Trio komponiert, in stetem Atemholen zwischen den verschiedenen Spannungsmomenten fein organisiert und aufeinander bezogen (Regie: wie bei „Ophelias Schattentheater“ Joachim Fleischer).
Unmerklich wurde dann auch der Zuhörer/schauer in den gleichsam unendlich scheinenden Ablauf hineingezogen, zum Hören förmlich gezwungen. Makiko Nishikazes Werk ist insofern auch eine Schule des Hörens, des überhaupt erst einmal Wieder-Zuhörens und der Konzentration darauf. So enthielten die Éclat-Musiktage am Ende auch noch eine kleine Übungsstunde.