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Die Offenheit des Experiments

Untertitel
„Sichtbare Musik“: Das hannoversche Klangbrücken-Festival feiert zehnjähriges Jubiläum
Vorspann / Teaser

Zum zehnjährigen Jubiläum des Klangbrücken-Festivals hat sein Künstlerischer Leiter Klaus Angermann die eigene Festival-Tradition aufgebrochen, stets eine*n Komponist*in in den Fokus der zehn Tage mit Uraufführungen und Wiederaufführungen Neuer und Gegenwartsmusik zu stellen. Unter dem Stichwort „Sichtbare Musik“ ist ein Programm entstanden, dass im besten Sinne den Geist der Gegenwartsmusik in sich trägt: die Offenheit des Experiments.

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Sopranistin Sophia Körber liegt rücklings unter einem Konzertflügel, Hände und Füße mit kleinen Leuchten versehen nach oben gestreckt. Zusammen mit ihren beiden Kolleginnen und Komponistinnen aus dem Ensemble Megaphon, Violinistin Lenka Župková und Pianistin Tatjana Prelevic, hat sie an diesem Vormittag in der Rampe Hannover mit szenischen Unterbrechungen Uraufführungen musiziert und mit einem Overhead-Projektor Lichtskulpturen geschaffen. Und jetzt hat die in Zusammenarbeit mit der werkbühne Leipzig entstandene Konzert-Performance sie eben unter den Flügel geführt, wo sie mit Händen und Füßen Irrlichter tanzen lässt. Die dreiteilige Veranstaltung aus Lesung, Konzertperformance und Podiums-Gespräch, die wegen eines Krankheitsfalles zum Abschluss des Festivals geworden ist, ist eine von vielen individuellen Interpretationen von „Sichtbarer Musik“.

„Das Thema war eigentlich ein Risiko“, lässt Künstlerischer Leiter Klaus Angermann im Gespräch durchblicken: Es sei für das Festival ungewöhnlich offen gewesen. Und tatsächlich reichte das Programm von konventionellen rein musikalischen Konzerten wie mit dem FontanaMIX ensemble zusammen mit Das Neue Ensemble, über Konzerte mit projizierten Bild-Interpretationen zur Musik und auch Klangkunst bildender Künstler*innen wie Yeongbin Lee bis hin zu Uraufführungen von interaktiven Game-Partituren von Damian Marhulets.

Das Motto trat teils überraschend schlicht auf: Ohne visuelle Komponenten dafür klanglich treffsicher präsentierte das australische ELISION Ensemble beispielsweise mit Thanos Sakellaridis’ „And the madness of crowds“ und Tom Bañados’ „of Root and Branch divergence / in Mirrored Self converging“ das „Sichtbare“ in sehr bildlichen Uraufführungen, die sich nicht im ewigen Überwinden der Form verloren, sondern mit angenehm geführter Dramaturgie und Rhythmik ihr porträtiertes Thema vor dem inneren Auge sichtbar machten. Technisch aufwändigere Interpretion von „Sichtbarkeit“ nutzten auch ihre Chancen, hatten aber auch ihren Preis: Im Konzert „WhyBirdsSing“ gelang ein Schattenspiel des Medienkunst-Trios RaumZeitPiraten mit den Violinistinnen Kana Sugimura und Lisa Werhahn als ansprechende Symbiose von Licht und Musik, eine sich permanent bewegende Raum-Installation aus Ästen, Vögeln und Violinen mit mehreren gleichzeitig laufenden Vogel-Projektionen konkurrierte an anderer Stelle mit der Musik. Das eignete sich zwar, die Ambivalenz des Vogelgesangs zwischen Ästhetik und Kampf um Revier und Brutpartner darzustellen, der Musik hat es leider nicht geholfen.

Dass Angermann sein – letztlich insgesamt gelingendes – Thema als ein Risiko bezeichnet, liegt auch in der Struktur des Festivals: Das vor zehn Jahren als Themenwoche der hannoverschen Staatsoper gestartete und mittlerweile seit vielen Jahren über den Verein Musik 21 laufende Festival ist selbst nicht Veranstalter der Konzerte, sondern lädt die Künstler*innen ein, unter Bezug auf das jeweilige Thema eine Veranstaltung im Rahmen der Klangbrücken anzubieten. Angermann kann auf den Inhalt des Programms also nur bedingt Einfluss nehmen. Allein so ist es dem Verein, der sich selbst als Dachverband der niedersächsischen Initiativen für zeitgenössische Kunstmusik versteht, aber möglich, bei einem knappen Etat von 20.000 Euro mit der Koordination und Werbung von zehn Konzerttagen, für ein aussagekräftiges Fes­tival und zu wechselseitigen Verstärkungen zwischen der vielgestaltigen regionalen Szene, Veranstalter*innen und Konzertorten zu sorgen.

Angermann bemerkt, wie die Szene sich verändert: Viele Künstler*innen würden sich selbst immer weniger als Vertreter*innen der sogenannten „Neuen Musik“ im emphatischen Sinn verstehen. Auch hätten einige der Ensembles die Offenheit des diesjährigen Themas gegenüber den bisherigen Komponist*innen-Porträts befürwortet. Die Pflege des Repertoires ist Angermann aber ein Herzensanliegen: „So habe ich auch den Namen ‚Klangbrücken‘ immer verstanden, dass man aus der Tradition der Neuen Musik Brücken in die Gegenwart schlägt.“ Deshalb würde es in Zukunft weiter offene Themen geben, die sich allerdings auf eine*n Komponist*in beziehen.

Als die drei Künstlerinnen des Ensemble Megaphon am Ende des letzten Konzerts zum Applaus zusammenstehen, haben sie zuvor natürlich musiziert, aber auch aus dem Tagebuch von Brigitte Reimann vorgelesen, Szenen geschauspielert und getanzt. Mit diesem spannend ineinanderfließenden Gesamtkonzept endet das Festival. Die „Sichtbarkeit“ aber wird noch etwas bleiben.

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