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Die Qual der Bewertung

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Zeitgenössische Kammermusik als Wettbewerbsthema in Krakau
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Niemand dürfte glücklicher sein als der Komponist, wenn er Interpreten findet, die sich seiner Werke annehmen, sich mit ihnen ernsthaft auseinandersetzen und für den Transfer zum Publikum sorgen. Diesen Eindruck gewinnt man bei jenen jungen Musikerinnen und Musikern, die sich jeweils Ende August für eine Woche in Krakau zusammenfinden, um im Wettbewerb für zeitgenössische Kammermusik ihre selbst gewählten Programme einer kritischen Jury zur Beurteilung zu stellen.

Das geschieht nun schon seit 14 Jahren und die Fünferjury, europaweit besetzt unter dem Krakauer Perkussionisten Jan Pilch, hat die Qual der Wahl. Für seine vier Jurypartner – Geoffrey Douglas Madge aus den Niederlanden, Paul Petterson aus England, Christine Michaela Pryn aus Dänemark und Tadeusz Wielecki aus Polen – gesteht er ein: Dieser in alle Disziplinen offene Wettbewerb sei immer wieder eine Gradwanderung. Siebzig Teilnehmer, aus elf Ländern angereist, verteilen sich auf 45 unterschiedlich besetzte Ensembles, jedes mit individuellem Programm, ohne dass sich ein Werk wiederholt.
In erster Linie gilt es, die Interpretation der  Stücke zu beurteilen, nicht die Kompositionen, was natürlich nie ganz zu trennen ist. Insofern ist die unterschwellig mitbewertete Programmwahl der Geheim-Code für die sich bewerbenden Kandidaten. Erwartet werden bei eigentlich nur 20 Minuten Vorspielzeit jeweils wenigstens zwei Werke in Eigenwahl, jedoch eines von einem Komponisten des Gastlandes Polen.

Da finden sich ungewöhnliche Ensemblebesetzungen, für die es eigentlich kein disponibles Repertoire gibt: Duos für Cello oder Saxophon mit Akkordeon, Violine mit Gitarre, Cello plus Kontrabass, Vokalstimme mit Percussion. Diese nicht traditionellen Besetzungen bringen es mit sich, dass das eine oder andere Stück beim Komponisten bestellt ist, der es dem Ensemble zuschneidert. Dafür gab es auch diesmal Beispiele: Die prämierte Uraufführung „Apollo“ für Bariton und Schlagzeug des polnischen Komponist Dariusz Przybylski (geb. 1984) durch das polnische Scontri Duo, ebenso seinen dem polnischen TWOgether Duo gewidmeten Discours op. 49 (2009) für Cello und Akkordeon mit Magdalena Bojanowicz, die zusätzlich auch als Cellosolistin glänzte. Das kanadische Duo Thalie holte sich einen 3. Preis mit Day Music des Amerikaners Ned Rorem (geb. 1923) neben Lutoslawskis virtuoser Partita für Violine und Klavier.  „The bearded Lady“ von Juliana Andersona überraschte im französisch-englischen Glendower Duo Klarinette/Klavier (1. Preis) mit ungewohnten Klangwelten beider Instrumente, wogegen Lutoslawski, meist gespielter Komponist dieses Wettbewerbes, bereits traditionell brav wirkt.

Den einzigen mit elektronischer Klangcollage verbundenen, ebenfalls mit einem 3. Preis belohnten Beitrag brachte das sympathische polnische Geigerinnen-Duo Tandemonos (neben Berios Duett) mit der Uraufführung von „Climax“ der Krakauer Musikstudentin Paulina Zalubska, das von gewollter Improvisation und Zufälligkeit bestimmt schien. 

Da wird auf das Podium ein „Cimbalom“ gebracht, auf dem die aus Belarus kommende Veronika Praded zunächst eine Originalsonate des Belarussen Vyacheslav Kuznetsov (geb. 1955) vorstellt, dann in elektronisch verstärkter Mandolinen-Vibrato-Hexerei der jungen polnischen Komponistin Barbara Kaszuba (geb. 1983) „Erinnerung an Janusz Korczak“ (1995/98), original für Violine, hinzaubert. Sie teilt sich den 3. Solopreis mit der polnischen Pianistin Magdalena Wajdzik, die sich mit Werken von Grazyna Bacewicz (1909–1969) und Ligetis Zauberlehrling vorstellte. An die zweite Stelle rückte die polnische Pianistin Weronika Krówka mit einem Programm des Niederländers Michel van der Aa (geb. 1970) und Kazimierz Serocki. Den künstlerisch bewegendsten Eindruck vermittelte die in Berlin lebende Chinesin Sabrina Suk Wai Ma auf ihrer Marimba. Sie hat wie erst gerade in Minesota und Brünn den 1. Preis, ja als Bestbewertete  sogar den Grand Prix eingesteckt. Ihr Programm:  „Graffito“ (1988) der in Polens Neue-Musik-Szene bestens etablierten Marta Ptaszynska (geb. 1943) und das dem Kabuki-Theater nachempfundene „Mirage“ des Japaners Yasuo Sueyoshi (geb. 1937).

Das Terrain dieses Kammermusikwettbewerbes in Krakau ist also weit gefasst, neben Duo ist die solistische Interpretation eine eigene Kategorie, für die sich auch gut ein Drittel der rund 70 Teilnehmer bewirbt. Nur in der Ensemble-Kategorie drei bis sechs Spieler war infolge Absagen diesmal die Teilnahme allzu spärlich. Ein junges engagiertes Streichquartett  versuchte sich mit Werken des holländischen Avant-Pop-Komponisten Jacob Ter Veldhuis (geb. 1951) und des Polen Maciej Malecki (geb. 1940).

Die inzwischen weltweit zum Bravourstück erhobene „Table Music“, Klatsch-, Schab- und Schaustück des belgischen komponierenden Filmemachers Thierry de Mey (geb. 1956), wurde auch im Finalkonzert der Publikumsknüller, famos inszeniert vom polnischen Perkussionstrio Amadrums.

So pendelt das farbenreiche Interpretationsrepertoire dieses Wettbewerbes zwischen klassischer Moderne und experimenteller Klangsuche. Das Niveau aber sei steigend von Jahr zu Jahr, Bereitschaft und Interesse der heranwachsenden Musiker-Generation, sich mehr und mehr mit der Klangwelt unserer Zeit auseinanderzusetzen, seien deutlich spürbar, stellen Beobachter der Szene fest. Nur eines fehlte: Publikum. Keine Lehrer, keine Schüler, keine Studenten, obwohl der Wettbewerb in einer der Krakauer Musikmittelschulen ausgetragen wurde,  übrigens ein im Innern total renoviertes und bestausgestattetes monumentales Gebäude im Zentrum der Altstadt.  u u Somit bleibt die Erwartung, dass die nun einmal einstudierten Werke im Konzertrepertoire der jungen Ensembles tatsächlich Wiederholung und Aufmerksamkeit finden werden.

Eigentlich verdiente dieses offene Wettbewerbskonzept, 1997 unter dem Patronat von Krzysztof Penderecki begründet, mehr Wachstum in Richtung Europa, so etwa im Repertoire, zum Beispiel statt nur zwei Vorspielwerken ein drittes Opus aus dem Herkunftsland des Kandidaten. Dann natürlich verlängerte Vorspielzeit, eine weitere Wettbewerbsrunde und auch eine dem internationalen Maßstab und der Besetzungsvielfalt angemessene Erweiterung der Jury. Dazu attraktive Aufstockung der bislang bescheidenen Preise für alle Ausgezeichneten (Für den einen Grand Prix gibt es derzeit umgerechnet etwa 4.000 Euro). Das alles kostet natürlich Geld, das trotz staatlichem Support dem verdienstvollen Krakauer Instytut Sztuki fehlt, das sich für etliche weitere kulturelle studentische Aktivitäten verantwortlich fühlt. Unter weltweit Hunderten von Wettbewerbsangeboten für den musikalischen Nachwuchs ist das Krakauer Wettbewerbspodium mit seinem Konzept einzigartig. Ebenso einzigartig wäre eine erweiterte europäische Dimension, die eine europäische Mitfinanzierung rechtfertigte. 

Die nmz engagiert sich einstweilen als Medienpartner. www.instytutszuki.pl

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