Einmal im Jahr pilgert die Karawane der Neuen Musik zur Quelle, um zu erfahren, was hier hoffentlich wieder neu, frisch und auch fürderhin unversiegbar hervorquillt. Dem Tross der nach langer verborgener Arbeit hier endlich ans Tageslicht tretenden Ensembles, Komponistinnen und Komponisten folgen zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von Rundfunkanstalten, Fachmagazinen, Zeitungen und Konzertveranstaltern, die über das Hervorgespülte berichten und manches davon über ihre eigenen Kanäle auch in andere Städte und Länder leiten. Auch heuer ist wieder Zeit für die Donaueschinger Musiktage.
Das 1921 gegründete Festival preist sich gerne selbst als das älteste und renommierteste seiner Art. Tatsächlich sitzt man ja an der berühmten Quelle. Unterhalb der Stadtkirche St. Johann entspringt die Donau, mit 2.857 Kilometern der – nach der Wolga – zweitlängste Fluss Europas. Doch noch am kleinen Quelltopf treten erste Probleme auf. Das Wasser wird sogleich durch ein unterirdisches Rohr in das kleine Flüsschen Brigach geleitet, das sich wenig später mit dem zweiten Quellflüsschen, der Breg, vereint und damit eigentlich erst die Donau zu Wege bringt. Schließlich kommt es noch doller. Bei Immendingen und Fridingen einige Kilometer abwärts versickert alles Wasser. Der Fluss ist komplett futsch und sein Bett nur noch trockener Kies. Und während alles Wasser 12 Kilometer südlich im Aachtopf wieder austritt, um dann über Radolfzeller Aach, Bodensee und Rhein in die Nordsee zu strömen, muss der trockene Flusslauf auf der Schwäbischen Alb in Richtung Schwarzem Meer mit Hilfe links und rechts hinzuplätschernder Bächlein noch einmal ganz von vorne anfangen. Wo sind also Ursprung, Lauf und Mündung der Donau? Alles ist fraglich – und vielleicht ein Gleichnis?
Die Szene der Neuen Musik ist in der Tat ungleich verzweigter, unübersichtlicher und vielstimmiger als ein einzelnes Festival abbilden könnte. Statt einer Quelle und eines Hauptflusses gibt es an zahlreichen Orten fruchtbare Strömungen, Gebiete, arbeitssame Mühlen, Einrichtungen, Initiativen, Macher und Macherinnen. Dieses Jahr werden in Donaueschingen vom 17. bis 20. Oktober zwanzig neue Werke uraufgeführt. Sie stammen unter anderem von Matthew Shlomowitz, Michael Pelzel, Simon Steen-Andersen, Alberto Posadas, Gordon Kampe, Mark Andre und Beat Furrer. Und apropos Wasserläufe, von Kirsten Reese gibt es eine performative Installation für Trompete und Unterwasserklang im Schwimmbad der Reha-Klinik Sonnhalde.
Und jenseits der Fürstlich Fürstenbergischen Residenzstadt? Allein zehn neue Werke sind im Oktober bei verschiedenen Kölner Konzertreihen zu erleben. „Musik der Zeit“ präsentiert am 5. Oktober im WDR-Funkhaus neue Stücke für Kammerorchester von Johannes Boris Borowski und Matthias Krüger sowie am 25. in der Kölner Philharmonie neue Orchesterwerke von Jan Esra Kuhl und Brian Ferneyhough. Das Duo Interstellar 2 von Barbara Schachtner und Dorrit Bauerecker zeigt am 11. Oktober in der Alten Feuerwache erstmals die Experimental-Music-Fiction-Performance „#doublespace“ mit neuen Kompositionen von Christina C. Messner und Roman Pfeifer.
Weitere Novitäten gibt es am 13. Oktober in der Philharmonie von Antón García-Abril, am 23. in der Alten Feuerwache von Niklas Seidl bei der eigenen Konzertreihe des Kammerensembles hand werk, am 25. in der Kunst-Station Sankt Peter von Neo Hülker beim ersten Konzert der neu initiierten Reihe „Traditions“ der Kölner Gesellschaft für Neue Musik, sowie am 31. Oktober bei „Musikfabrik im WDR“ von Rebecca Saunders. Ein Quellgrund? Ein Urstrom? Ein Delta? Eine Reise wert? Immerhin fließt auch das Wasser von Donaueschingen nach Köln!
Weitere Uraufführungen:
- 09.10.: Peter Eötvös, Adventures of the Dominant Seventh Chord, und Toshio Hosokawa, Still ist mein Herz und harret seiner Stunde, Berliner Philharmonie
- 13.10.: Karl Gottfried Brunotte, amphi… für Orgel und räumlich verteilte radiophone Schallquellen, Christuskirche Bad Homburg
- 14.10.: Prasqual, In(de)finite, Klanginstallation mit Performern, und Preview des Opernprojekts My Data and Me, Joint Research Centre der Europäischen Union, Ispra am Lago Maggiore
- 23.10.–03.11.: Festival NOW! in Essen mit neuen Werken von Günter Steinke, Michael Edwards, Thomas Neuhaus, Dirk Reith, Florian Zwißler, Oxana Omelchuk, Tamon Yashima, Roman Pfeifer, Jagyeong Ryu, Rebecca Saunders, Malte Giesen, Emanuel Wittersheim, Nicolao Valiensi und Jürg Frey
- 27.10.: Bernd Franke, Metamorphosen für Deutsche Kammerphilharmonie Neuss, Zeughaus Neuss