Gut Ding will Weile haben, sagt ein Sprichwort. Und das gilt im Besonderen für künstlerische Arbeitsprozesse. Marcus Bosch, langjähriger musikalischer Leiter des Staatstheaters Nürnberg und heute Professor an der Hochschule für Musik und Theater in München, hat vor nunmehr 10 Jahren die Leitung der Opernfestspiele Heidenheim übernommen. Von Anfang an war es sein Ziel, ein Festivalorchester zu schaffen, das nach dem Luzerner Vorbild aus herausragenden Musikern und künstlerischen Weggefährten verschiedenster Orchester zusammengesetzt sein sollte. Christian Kröber berichtet.
Die so entstandene Capella Aquileia hat in diesem Sommer das Stadium des Erwachsenwerdens verlassen und ist in die Oberliga der deutschen Festivalorchester aufgestiegen. Deutlich wurde dies im direkten Aufeinandertreffen zweier Opernproduktionen, „Pique Dame“ (Tschaikowski) und „Ernani“ (Verdi), die in diesem Jahr auf dem Programm standen.
Im malerischen Ruinenambiente der Heidenheimer Burg waren die Stuttgarter Philharmoniker mit Tschaikowski und tags darauf die Capella Aquileia im Saale mit der frühen Verdi Oper zu hören. Der Vergleich brachte Erfreuliches zu tage. Bei aller Unterschiedlichkeit der akustischen Bedingungen hatten bei diesem musikalischen Wettstreit die Heidenheimer die Nase leicht vorne. Am Dirigenten kann es nicht gelegen haben, denn der hieß in beiden Fällen Marcus Bosch. Der Capella Aquieleia gelang jedoch ein deutlich intensiverer Zugang zur Musikdramatik, als ihren Kollegen aus der Landeshauptstadt.
Gleichbleibend auf höchstem Niveau sang der Tschechische Philharmonische Chor Brünn, eine langjährige Stütze der Opernfestspiele Heidenheim. Auch dies macht ein vereintes Europa möglich: der freie Austausch nicht nur von Waren und Gütern, sondern auch das Zusammenspiel der Kulturen in gewohnter Selbstverständlichkeit.
Die Regie von Tobias Heyder, der in Heidenheim schon mehrfach engagiert war, versetzt „Pique Dame“ in ein Mädchenpensionat und macht die Namen gebende Titelfigur zur dessen Aufseherin. Spielfreudig und plakativ agieren George Oniani (Hermann), Karina Flores (Lisa) und Roswitha Christina Müller (Gräfin).
Subtil und psychologisch durchdrungen geht Jasmina Hadziahmetovic Verdis Ernani an. Hier spielen die historischen Bezüge eine untergeordnete Rolle. Don Carlos (Marian Pop), Ernani (Sung Kyu Park) und Don Ruy Gomez de Silva (Pavel Kudinov) sind hier in ihrer Eigenschaft als alte weiße Männer zu besichtigen, denen es nur darum geht, das Wild/Elvira (Leah Gordon) zu erlegen. Symbolisch anschaulich sieht man zu Beginn eine Jagdgesellschaft auf der Hatz nach einem jungen Hirschen, und wenn Elvira zur bevorstehenden Hochzeit einen Reifrock anlegt, schließt sie dieses Kleidungsstück wie ein Käfig ein.
Der Abend gehört dem Sopran der jungen Kanadierin Leah Gordon, der musikalischen Entdeckung dieses Jahres. Ihre Stimme ist ideal für den frühen Verdi. Da wird nichts forciert, alles sauber und lupenrein gesungen: sängerische Eleganz vom Feinsten. Marcus Bosch verführt die Capella Aquileia zu spannender Leidenschaft und das Publikum zu Standing Ovations.
Das Festival verzeichnet eine Auslastung von 85% und verspricht für das nächste Jahr Verdi im Doppelpack – Don Carlo und I Due Foscari.