Großes Grau ringsherum. Der Raum, den Michael Levine bauen ließ, ähnelt der unteren Hälfte eines gigantischen Tanks: Glatte Wände mit abgerundetem Abschluss nach unten, zur dunkelbraunen trockensandigen Erde hin. Keine Tür, kein Fenster, keine Zwischenwände, kein Mobiliar oder sonstige Requisiten: ein großer, hermetisch geschlossener Raum – noch strikter als bei Patrice Chéreau im Sommer in Aix-en-Provence. Nur in der Mitte der Spielfläche, 2,20 m mal 80 cm, klafft eine Öffnung.
Es ist das Grab, aus dem Elektra, die so sehr am Alleinsein leidet, den Vater Agamemnon exhumiert. Zugleich scheint dieser Abgang nach unten der einzige Zugang zu den inneren Palasträumen.
Die Klangfiguren, die auf die Verhandlung der Fragen von Schuld und Rache einstimmen, heben sich prägnant und schneidend aus dem Graben in die Höhe des unwirtlichen Raums. Dort agieren auffallend zwei Dutzend Dienerinnen, die uniform in schwarze Kleider gesteckt wurden. Robert Carsen macht sie zum Indikator der Gemütslagen – mit genauer Choreographie des Tuschelns und Kuschens, des Wühlens in der Erde und des Mitfühlens, der Resignation und Apathie, der Neugier und Erwartung. Nach der Erkennungsszene der Geschwister Elektra und Orest hat jede der flinken Helferinnen plötzlich eine Axt hinter dem Rücken. Die Werkzeuge blitzten und blinken in vielen Facetten. Wie das Orchester der Opéra, das sich in bester Form und Spiellaune präsentierte: klar, präzise und mit Drive. Ovationen für die Kapelle und Philippe Jordan, den Directeur musical.
Ganz in Weiß treten die beiden Bösen auf: Klytemnästra, die ihren aus dem Trojanischen Krieg heimkehrenden Gatten Agamemnon in der Badewanne mit einem Netz überzog, und ihr Liebhaber Aegisth, der ihn mit dem Beil bearbeitete. Wie Kim Begley im seidenen Bademantel hereintänzelt und nach Licht rief, deutet die feinere Dekadenz an. Klytämnestra, die „schlechte Nächte“ hatte, lässt sich von den Mägden auf ihrem blütenweißen Lotterbett herumtragen. Doch der Platz an ihrer Seite ist leer. Waltraud Meier genießt die luftige Position für ihre Tiraden sichtlich. Diese Sängerin verbindet die differenzierten Facetten der Willensbekundung einer Machthaberin mit der Geistesgegenwart der Mörderin und der Darstellungsfähigkeit von Selbstzweifeln. Unmittelbar triebhaft und emotional wirken neben ihr die Töchter Iréne Theorin (als Elektra) und Ricarda Merbeth als (Chrisothemis), die zwar optisch immer wieder in Dienerrollen gepresst wurden, aber durch ihr stimmliches Selbstbewusstsein allemal aus dem Kollektiv hervorragen. Den Lorbeer für die beste Nebenrolle ersang sich Evgeny Nikitin: Er strahlte mit sonorem Bass eine Bärenruhe aus in der latenten Unruhe im Vor- oder Hinterhof der Macht von Mykene und erwies sich als der bestverständliche Sänger. Da sitzt jedes Wort.
Mit einfachen deutlichen Bildern strukturierte Carsen die archaische Geschichte, ohne zu suggerieren, sie könne aktualisiert werden. Anders als andere Opernstoffe: dieser kann es nicht. Carsens Zugriff auf dieses frühe Hauptwerk von Richard Strauss ist Regietheater vom guten alten Schlag. Methodisch ähnelt es dem, was zum Beispiel Ruth Berghaus in den 80er Jahren in Frankfurt zu Wege brachte oder was insbesondere der bildmächtige Herbert Wernicke im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in Mittel- und Westeuropa an Maßstab setzenden Interpretationen lieferte. Die „Elektra“-Produktion von Jordan und Carsen könnte, gerade weil sie nicht der letzte Schrei sein möchte, zur „Aufführung des Jahres“ gekürt werden. Aber von den 49 anderen deutschen Kritikern, die von Hintertupfingen und Berlin aus diese Wahl treffen, hatte keiner die Reise nach Paris angetreten. Und was die Juroren nicht kennen, dem pflegen sie die Anerkennung zu verweigern.