Hauptbild
Aldo Di Toro und Michal Partyka. Foto: Jörg Landsberg

Aldo Di Toro und Michal Partyka. Foto: Jörg Landsberg

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Die schwierige Wahrheit des Lebens – Giuseppe Verdis vorletzte Oper „Otello“ im Theater Bremen

Vorspann / Teaser

Der Eingangsakkord von Giuseppe Verdis vorletzter Oper „Otello“ kann fürchterlicher nicht sein: Er allein belegt die kommende Katastrophe. Sechzehn Jahre lang hatte Verdi nach „Aida“ von 1871 keine Oper mehr geschrieben, ehe er 1887 mit „Otello“ – und danach noch mit „Falstaff“ – zum letzten Mal mit einer überragenden Fähigkeit seine Menschenkenntnis für die berühmte Eifersuchtstragödie in Musik umsetzte, eine Fähigkeit, die bis heute immer wieder fassungslos macht. Der Komponist Dieter Schnebel hat sie „die schwierige Wahrheit des Lebens“ genannt. Im Theater Bremen inszenierte jetzt der Leiter des Musiktheaters Frank Hilbrich „Otello“ und hinterließ eine Inszenierung, die einmal mehr die überregionale Bedeutung des Bremer Theaters zeigte.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Vom ersten Bild an zeigte sich die Handschrift Hilbrichs, der immer gerne mit den (vermuteten) Biografien seiner ProtagonistInnen arbeitet: Was du bist, bist du durch Erziehung geworden. So steht am Anfang auf der Bühne ein kleiner schwarzer Junge, der zu dem furchterregenden Eingangsakkord, der den siegreichen Otello in Zypern an Land spült, wegrennt. In zwei späteren Bildern sieht man in einem Kreis hinten Bilder, wovor er wahrscheinlich weggelaufen ist: eine superspießige Küche mit zwei Eltern, die sich nichts mehr zu sagen haben. Und am Ende Selbstmord begehen. Und im Schlussbild wieder ein kleiner schwarzer Junge – diesmal ein anderer -, der sich erstaunt und anklagend umschaut: Ihr habt mich zum Mörder gemacht.

Dazwischen tobt die Beziehungs- und Intrigengeschichte: die des sich selbst zum Gott ernannten Jago, die des empathielosen Illusionärs Otello, und die der zunächst auf Augenhöhe liebenden, dann aber von beiden Männern zerstörten Desdemona. Hilbrich gestaltet ein hochdifferenziertes Kammerspiel immer wieder ausbrechender Emotionen: Otello ist eine Führungspersönlichkeit, die ihre tief sitzenden Probleme immer weniger beherrscht. Jago als das Böse und Nihilistische schlechthin hat Otello brutal im Griff, sein berühmtes Credo wird zum Zentrum der Aufführung. Was den beiden Kontrahenten gleich ist, ist ihr Narzissmus, sie boxen auch mal miteinander. Und Desdemona steht dazwischen mit ihrer Beliebtheit, ihrer Popularität, mit der sie Otellos scheinbare Sicherheit fundiert.

Hilbrich bringt mit auch brechtischen Mitteln eine weitere Ebene ein: Das alles geschieht unter uns, mit uns. Wir sind das Volk, der Chor singt (fabelhaft, ein Sonderlob) und sitzt in den ersten beiden Reihen, das berühmte Taschentuch wird, indem es sich alle Chormitglieder um die Faust binden, zum Widerstand gegen Otello und der Solidarität mit Desdemona. Die wird vor der ersten Reihe erwürgt, nicht auf der Bühne. Immer wieder spielen sich Szenen links und rechts im Zuschauerraum ab.

Die schwarz-weißen Kostüme von Lara Duymus sind zeitgenössische Fantasiekostüme: zeit- und geschichtslos und damit hochaktuell das Ganze, zeigen die Kostüme doch auch Hierarchien. Die Bühne von Sebastian Hannak: kein Zypern, kein Venedig, sondern ein quadratisches Zimmer, in dem symbolträchtig zwei riesige Sessel gedreht werden: nicht mehr aus noch ein wissen geht ja allen mal so.

Sasha Yankevych führt mit den Bremer Philharmonikern Verdis überirdische Musik nicht nur mitreißend, sondern lässt ihr auch den Stellenwert szenischer Bedeutung. Wunderbare Tempi und Klänge gehen nicht selten unter die Haut in dieser Partitur, die keine abgeschlossenen musikalischen Formen mehr kennt.

Bild
Nathalie Mittelbach, Adele Lorenzi. Foto: Jörg Landsberg

Nathalie Mittelbach, Adele Lorenzi. Foto: Jörg Landsberg

Text

Und es ist der Abend der Sänger:Innen: der Gast Aldo di Toro als Otello findet nach anfänglicher Grobheit zu makellosem Heldengesang und Michael Partyka als Jago ist in seiner hinterhälterisch bösen Wucht und verführerischen Intrige eine Idealbesetzung. Die Krone des Abends aber gebührt der Desdemona Adèle Lorenzi, die mit der leuchtenden Wärme ihres geschmeidigen Soprans eine Grundbedingung Verdischen Gesangs beherrscht: nicht nur die Schönheit der Stimme ist wichtig, sondern die inhaltliche Bedeutung, so ihr todesbereites Lied von der Weide. Frank Hilbrich wird nächste Spielzeit als Generalintendant nach Gelsenkirchen gehen: so traurig das für Bremen ist, so sehr gratulieren wir ihm.

  • Die nächsten Aufführungen: 13.,16.,21. und 26. April, 4.,8., und 16. Mai, und 17. Juni

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!