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Die Variable „Neues Werk“

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Uraufführungen 2015/02
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Immer häufiger liest man in Prospekten, Flyern und Jahresvorschauen zu Festivals und Konzertreihen die Ankündigung von Uraufführungen unter dem Titel „Neues Werk“. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses der Drucksachen standen die Titel der Novitäten offenbar noch nicht fest – zuweilen noch nicht mal die Besetzung. In vielen Fällen sind wenige Wochen vor dem Uraufführungstermin noch nicht einmal Partitur und Notenmaterial fertig. Diese Beobachtung lässt sich durchaus flächendeckend machen. Das gibt zu denken.

Zum einen zeichnet sich darin wohl ab, dass seitens der Veranstalter immer langfris-tiger geplant wird und sich die Vorlaufzeiten für Ankündigungen durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in einem Maße verlängert haben, mit dem die Konzeption und Ausarbeitung neuer Werke seitens der Komponisten nicht Schritt hält. Und da im Kapitalismus alle zeitlichen Faktoren mit ökonomischen zusammenhängen, denn „Zeit ist Geld“, deutet der Sachverhalt zum anderen auch darauf hin, dass immer mehr Komponisten zur Sicherung ihrer sowohl künstlerischen als auch finanziellen Existenz gezwungen sind, immer mehr neue Werke zu schreiben, also immer schneller und kurzfristiger zu arbeiten.

Während früher ein Komponist zunächst einmal von sich aus die Arbeit an einem neuen Stück begann, für das er dann rückwirkend den Kompositionsauftrag seitens eines Veranstalters erhielt, der sich damit die Uraufführung sichern wollte, scheint sich die Abfolge inzwischen vielfach umzudrehen. Wer heute gut „im Geschäft“ ist, also viel gespielt, promotet und nachgefragt wird, hat oft ein auf drei, vier, fünf oder mehr Jahre im Voraus festgelegtes Arbeitspensum. Das heißt, die zu komponierenden Werke sind zwar allesamt bereits in Auftrag gegeben, oft aber noch lange nicht angedacht, geschweigend denn in Angriff genommen oder gar fertiggestellt. Und weil sich passende Titel für neue Stücke sinnigerweise erst finden lassen, wenn sich herausgestellt hat, wozu sich die anfänglichen Ideen in den fertigen Kompositionen tatsächlich entwickelt haben, bleibt vielen Ankündigungspublikationen nichts anderes übrig, als die bevorstehende Uraufführung mit der großen Unbekannten „Neues Werk“ zu versehen. Eben diese Offenheit der Variablen betonte seinerseits ausdrücklich die 1951 gegründete Konzertreihe „Das neue Werk“ des Norddeutschen Rundfunks Hamburg. Ihr Name unterstrich den Neuheitsanspruch des Präsentierten, ließ aber mit der anonymen Größe „Werk“ zugleich offen, um was und welche Richtungen, Komponisten und Interpreten es sich im Einzelfall wirklich handelte.

Im Februar gibt es „Neue Werke“ zuhauf. Vom 5. bis 8. präsentiert das Stuttgarter Festival ECLAT jeweils ein „Neues Werk“ von Misato Mochizuki, Lars Petter Hagen, Gordon Williamson und Márton Illés. Individuell betitelte Novitäten gibt es von Stefan Prins, Philippe Manoury, Oxana Omelchuk, Mauro Lanza, Brigitta Muntendorf, Johannes Boris Borowski, Sebastian Claren, Alberto Posadas, Johannes Kreidler und Ramon Lazkano. Am 7. Februar spielt das Ensemble musikFabrik ein „Neues Werk“ von Anthony Fiumara im Amsterdamer Concertgebouw. Und vom 19. bis 21. Februar sind beim Festival-Wochenende der musica viva des Bayerischen Rundfunks in München neben zwei individuell benannten Uraufführungen von Bettina Skrzypczak und Vinko Globokar gleich fünf anonyme „Neue Werke“ zu erleben von Milica Djordjevic, Nicolaus Richter de Vroe, Marc Sabat, Máté Bella und Rebecca Saunders. Ob bei den genannten Komponisten aber die oben beschriebenen Mechanismen wirklich greifen?

Weitere Uraufführungen

11.02.: Jörg Widmann, Das heiße Herz – Liederzyklus für Bariton und Klavier, Allerheiligen-Hofkirche der Residenz München
12.02.: Karl Gottfried Brunotte, Stumme Klaviatur – Persiflage für einen Organisten, Gemeindehaus Friedrichsdorf im Taunus
14.02.: Michelle DiBucci, Charlotte Salomon: Der Tod und die Malerin, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
20.02.: Philipp Mainz, Konzert für Violoncello und Orchester, Nürnberg
26.02.: Jörn Arnecke, Ronja Räubertochter – Familienoper, Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf

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