Das schwarze Plastikbündel, dass sich zur Ouvertüre zu Richard Wagners romantischer Oper „Der fliegende Holländer“ in der Aufführung durch die Hamburgische Staatsoper am Boden wälzt und allmählich entblättert, hält man zunächst für die Titelfigur. Es ist dann aber die weibliche Hauptfigur, die Kapitänstochter Senta, und das ist durchaus die Absicht des Regisseurs Michael Thalheimer.
Senta trägt ein ärmelloses schwarzes Kleid, der Holländer später ebenso (Kostüme: Michaela Barth). Mit ihrer Sehnsucht nach Erlösung treibt die beiden dasselbe Lebensmotiv, dieselbe Verzweiflung, dieselbe Fehleinschätzung der Realität: zwei Seiten einer Medaille. Der einzige, bei Thalheimer aber nicht ausreichend realisierte Unterschied: den Holländer hat die Gesellschaft aussortiert, Senta selbst erträgt ihre Umwelt nicht mehr und verlässt diese aus eigenem Antrieb.
Das war die beste Idee der Regie. Ein Bühnenbild gibt es nicht, kein Hafen, kein Schiff, keine Spinnstube. Dafür herunterhängende Seile, die durch die Beleuchtung öfter mal wie Lametta aussehen. Darin bewegen und verfangen sich alle, darin verheddern sie sich, daran halten sie sich fest (Bühne: Olaf Altmann). Leider hat dieses Bild zur Folge, dass es eine präzise und aussagekräftige Körperhaltung nicht so richtig gibt, weil alle immer an diesen Seilen hängen oder sich an ihnen festhalten. Und damit gibt es auch keine Bilder: was und wem will Senta eigentlich entfliehen, was ist ihr Lebensekel? Der sie umgebende Frauenchor zeigt keine Gesichter, sondern einen Menschenklumpen, der Senta irgendwie beschwatzt. Dass Senta sich dabei die Ohren zuhält, reicht da nicht. Ebenso ist in dem schwarz gehaltenen Matrosenchor nie ein Gesicht zu sehen: in Bezug auf Chorregie macht Thalheimer es sich reichlich leicht.
So kommen auch keine spannungsvollen Dialoge zustande, so wird die Schleimigkeit von Daland, der immerhin seine Tochter verkauft, völlig bagatellisiert. Natürlich ist es richtig, dass alle eher verzweifelt aneinander vorbeireden, aber das müsste auch für uns zu erfahren sein: Senta liebt ja nicht den Holländer, sondern dessen Bild. Der Holländer liebt nicht Senta, sondern die Möglichkeit seiner Erlösung von seinem Fluch, lebenslang auf dem Meer fahren zu müssen. Sentas Vater Daland liebt nicht seine Tochter, sondern erzwingt geradezu vergewaltigend ihre gehorchende Kindeshaltung. Der Jäger Erik ist vielleicht noch der einzige „normale“ in dieser Konstellation, doch seine Liebe zu Senta erstickt an seiner Unfähigkeit, Senta gehen zu lassen. Seine Geschichte mit Senta ging mit Jennifer Holloway, die uns bis in die Fortissimohöhen mit einer tragfähigen Expression verwöhnte und Benjamin Bruns regelrecht unter die Haut. Bruns beeindruckte durch gut fundierte Höhen für seine Wut und Leidenschaft für die Realität in der Geistergeschichte, die den Sänger in ein anderes Fach zu treiben scheinen. Jeweils vereinzelt gab es auch ausdrucksstarke Momente bei dem Holländer von Thomas Johannes Mayer. Mayer verstand es, eine fabelhafte, dramaturgisch sinnvolle Mischung zwischen Sprache und Singen herzustellen: für Tannhäuser neun Jahre später hatte das Wagner selbst so formuliert: „Deklamation als Gesang und Gesang als Deklamation“. Da fiel Kwangschul Youn als Daland etwas ab, der hatte allerdings seitens der Regie auch kaum erkennbare Forderungen.
Der kraftvolle Männerchor wurde unterstützt durch Mitglieder des Herrenchors der Nationaloper Kyiv, eine großartige und künstlerisch eindrucksvolle Initiative in dieser Zeit. Kent Nagano hielt das Ganze als Dirigent bestens zusammen auf die von ihm bekannte, verlässliche Art mit viel Gespür für Stimmungen und Farben, ohne die Wildheit und Krassheit, die diese Partitur durchaus hat, auch in Augenschein zu nehmen. In den Buhwellen stand am Ende nur das Regieteam.
- Die nächsten Aufführungen:26. Und 29.10., 1., 4., 8. 11 jeweils um 19.30 und 13.11. um16 Uhr.