Hans Werner Henzes Oper „L’Upupa und der Triumph der Sohnesliebe“ wurde bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Sie will ein „deutsches Lustspiel“ sein. Glücklich, wer am Ende nicht eingeschlafen war.
Es ist die Frage, was man erwartet. Möchte man von Altmeister Hans Werner Henze (geboren 1926) das fundamentale Spätwerk hören, das mit Verve die zornigen, tosenden Elemente seiner früheren Kompositionen („Bassariden“, „Das verratene Meer“) aufschaufelt und in Stellung bringt? Oder erhofft man sich das gelassene, gleichsam in Ruhe ausatmende Leichtgewicht (wie „Venus und Adonis“)? Wird Henze sein Schaffen komödiantisch heiter wie Verdi, märchenhaft utopisch wie Mozart oder schwer summarisch wie Wagner beschließen?
Dass „L‘Upupa und der Triumph der Sohnesliebe“, jetzt bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt, die letzte Oper des Komponisten ist und bleiben wird, bezweifelt niemand; Henze selbst hat es ultimativ verfügt. Dieser Abschied von der Opernbühne ist von serener Heimeligkeit fürs Gemüt, denn es handelt sich um das syrische Märchen von der Upupa, dem Wiedehopf, der einem alten Mann in einer ungünstigen Sekunde entflattert und vom guten Sohn Kasim unter mancherlei Entsagungen und Überraschungen zurückgebracht wird. Dem edlen Knaben werden während seiner Abenteuerreise ein süßes jüdisches Mädchen und ein possierlicher Dämon zuteil, der ihm mit engelhaften Fähigkeiten in bangen Momenten hilft. Natürlich werden Kasims verkommene Brüder Adschib und Gharib am Ende abgestraft. Nur ein treuer Sohn ist ein guter Sohn. Achtet die Alten!
Darin steckt viel privater Frohsinn Henzes, eine Form von liebenswert eitlem Seniorenhumor. Das Ganze will ein „deutsches Lustspiel“ sein. Der reife Künstler geht ironisch mit sich und der symbolhaften Sache um; selbstverständlich gibt er sich alle erdenkliche Mühe zu betonen, dass in dem alten Mann niemand anderer stecke als er selbst.
Also: Henze will es noch einmal wissen; er hat ja auch schon eine 10. Symphonie geschrieben. Aber es ist Henze wie immer. Das ist leider das Problem. Die Musik luxuriert. Sie genießt sich selbst. Sie duftet köstlich wie ein orientalischer Kuchen, glitzert wie das Meerwasser bei Aleppo, sie spiegelt sich prismatisch und wirft regenbogenbunte Farben. Henze weiß wie kein Zweiter, wie man den Apparat zum Klingen bringt. Oft öffnet sich die Partitur sehr kammermusikalisch, leicht durchblutet, doch ohne Krampfadern; nur bei dramatischen Momenten fährt jener nette Dämon sozusagen in den Graben und lässt alle Musiker gleichzeitig schuften. Doch schuftet man auch beim Hören. Die Musik, dekorativ bis zum Exzess, kommt nicht von der Stelle.
Der Wiedehopf schlägt immer in einer Triole; wenn er flattert, dann im Surround-Effekt von vier Lautsprechern. Vom Band gibt es auch naturalistische Klapperschlangen und Kamelgetrampel. Die Wüste klebt. Henze hat mitgeteilt, dass er bei dieser Oper genauestens an den Klang der Wiener Philharmoniker gedacht habe. Nun, von diesem Luxusorchester lässt sich der anspruchsvolle Meister zur Uraufführung große Mengen Seide und Glasbläsereien apportieren. Mit dem künftigen Kölner Generalmusikdirektor Markus Stenz, der für den angeblich schrecklich überarbeiteten Christian Thielemann eingesprungen ist, hatte die musikalische Seite des Abends einen trefflichen Vollstrecker. Abermals massiert er die glatte, knäbische Haut der Musik kompetent. Ihre Nerven und Muskeln kann er nicht ertasten, denn sie hat keine.
Natürlich sind sich die Streckenposten an der Rennbahn der Avantgarde schon nach ein paar Takten sicher, dass ihnen hier keine Fortschrittsnahrung gereicht wird. „L’Upupa“ ist brillant beschworene Bewegungslosigkeit. Zwischendurch werden sogar die „Matthäus-Passion“ und die „Zauberflöte“ zitiert. Wenn der Dämon Abschied nimmt, zuckert die Musik in breitem A-Dur-Sirup vor sich hin. Zum Glück versteht man den Text rein akustisch nur mäßig, denn Henze hat sein Libretto erstmals selber geschrieben. Er hätte diesen Job besser an Gewieftere vergeben. Kostprobe: „Indem ich eure schöne Jungfrau aus dem finsteren Verlies erlöse, darin sie schmachtet, rette ich Vater aus den Kavernen seines egozentrisch trostlosen Denkens.“ Wer rettet Henze?
Dieter Dorn (Regie) und Jürgen Rose (Ausstattung) haben, das sieht man, kindliches Vergnügen bei ihrer Arbeit gehabt. Sie steckt voller Details des Zauberischen. Aber diese edlen Sandfarben, dieses opalisierende Licht, diese legendenhaften Bilderbögen unter dem halbrunden Portal mit dem Turmzimmer des alten Mannes, diese lebensechten Orchideen und wattierten Kostüme machen die illustrative Orgie, die vor Harmonie bimmelnde Verblasenheit nur schlimmer. Musik lähmt Bild, Bild lähmt Musik. Es ist alles nur schön, schrecklich schön. Und schrecklich langweilig.
Gesungen wird vorbildlich, vor allem von Matthias Goerne als Kasim mit balsamischer Männlichkeit, von John Mark Ainsley als Dämon mit astralem Tenor, von Laura Aikin als jüdischer Prinzessin bestrickend. An der perfekten Präsentation besteht kein Zweifel. Und selbstverständlich liegt Salzburg hernach im Koma der Freude. Andere aber sind wirklich eingenickt und haben im seligen Schlummer nicht allzu viel versäumt.