Leider ist das Thema Antisemitismus wieder virulent. Und München muss sich da besonders herausgefordert fühlen dagegen zu halten. Denn schon eine Generation vor 1900 waren gewisse nationalkonservative bis völkische Kreise in der Residenzstadt keineswegs nur begeistert, dass ein bereits anerkannt großer Dirigent wie Hermann Levi Generalmusikdirektor der Königlichen Hofoper wurde.

Diskriminiert und spät gewürdigt – Die Hermann-Levi-Orchesterakademie der Bayerischen Staatsoper erinnert an den großen Dirigenten. Screenshot der Website
Diskriminiert und spät gewürdigt – Die Hermann-Levi-Orchesterakademie der Bayerischen Staatsoper erinnert an den großen Dirigenten
„Nicht-Arier“, daher in Kisten verpackt“ stand auf der Rückseite des Öl-Porträts, das immerhin Münchens Künstlerfürst Franz von Stuck gemalt hatte, das von der Hofoper 1899 für die Porträtgalerie in den Gängen und Rängen des Nationaltheaters angekauft wurde – und das nach der Machtübernahme im Haus-Magazin verschwand. Doch dadurch überstand das Bild 1944 auch die Brandbomben-Zerstörung des Theaters. Im Zuge des Wiederaufbaus und der Eröffnung im November 1963 fand das Hermann-Levi-Gemälde wieder ins Stammhaus der Bayerischen Staatsoper zurück.
Das jetzt in der Muffathalle präsentierte Festkonzert zum 20jährigen Bestehen der Orchesterakademie bildete eine würdige Geste der Ehrung. Es gab musikalisch Bedeutendes und kulturhistorisch Beschämendes zu erinnern – und Erfreuliches zu hören. Die außerordentliche Begabung des 1839 in Gießen geborenen Kantoren-Sohns Hermann Levi war nicht zu überhören. Nach einem überregional beachteten „Lohengrin“ in Rotterdam, dirigierte Levi 1864 die erst zweite Einstudierung der „Meistersinger von Nürnberg“ in Karlsruhe so glanzvoll, dass Richard Wagner auf ihn aufmerksam wurde. Trotz Cosima Wagners Antisemitismus wuchs Levi parallel zum Aufstieg in München in den Bayreuther Kreis hinein. Die Auseinandersetzungen um Levis Dirigat der Uraufführung des „Parsifal“ in Bayreuth 1882 füllen viele Druckseiten und ein glänzendes Fachbuch. Daneben machte Levi die Münchner auch mit Berlioz, Cornelius, Massenet, Marschner, Halévy oder Meyerbeer bekannt. Er besuchte Wagner in Venedig am Vorabend von dessen Tod und dirigierte dann die Musik der gesamten Totenfeiern. Doch Levi leitete nicht nur die schon seit 1811 im Münchner Odeon etablierten, aufs bürgerliche Publikum zielenden Akademiekonzerte. Er war immer auch am Zusammenspiel von Bühne und Musik interessiert: in seine Amtszeit fiel der Einbau der Drehbühne in der Hofoper; er übersetzte die Mozart-Opern neu ins Deutsche und das so gekonnt, dass sogar die NS-Kulturbarbaren diese musikdramatisch wie gesanglich glänzenden Textfassungen beibehielten und nur den Namen Levi eliminierten.
Noch unrühmlicher verlief das Kapitel „Garmisch“ in Levis Biografie. Dort hatte er sich eine Villa gebaut. In seinem Garten ruhte der schon lange als „konfessionslos“ registrierte Künstler in einem von Adolf von Hildebrand gestalteten Mausoleum. Dessen Zerstörung durch die NS-Rabauken, die jahrzehntelange Vermüllung der Grabplatte, Umbettungspläne, unsägliche Gemeinderatssitzungen – erst das Eingreifen von Ratspräsidentin Charlotte Knobloch führte zu einer künstlerischen Neugestaltung – und 2017 regte GMD Kyrill Petrenko dann an, die schon blühende Nachwuchs-Akademie nach Hermann Levi zu benennen.
Seither: eine Erfolgsgeschichte, von staatlicher Subvention und privaten Sponsoren getragene zweijährige Stipendien. Über 140 junge Studierende haben durch Proben-Realität, Mini-Einsätze und professioneller Aufführungspraxis in Engagements zwischen Wien und London, zwischen Mailand und Stockholm und natürlich auch München gefunden. Das alles war nun Anlass, dass GMD Vladimir Jurowski und die Akademieleitung so viele „Ehemalige“ einluden, dass ein vierteiliges Festkonzert in großer Besetzung stattfinden konnte. Musikalische Überraschung: Nach einer temperamentvollen „Fidelio“-Ouvertüre kam Bernd Glemser als Solist auf die Bühne und zusammen spielten sie Hermann Levis Klavierkonzert a-Moll op.1. Vinzenz Lachner, Levis Ziehvater und Vorgänger in München, urteilte: „So schnell als möglich hinaus in das Meer der Öffentlichkeit! Es schwimmen wenig solcher Konzerte auf dem Ozean unserer heutigen Musikwelt!“ Das bestätigte sich mit rauschenden Aufschwüngen und zarten Lyrismen, in stampfender Tanzrhythmik und weit schwingenden Klangbögen – wiederhörenswert. Die Rückkehr der Ehemaligen ermöglichte nach der Pause die Besonderheit von Einojuhani Rautavaaras vier kleinen „Requiem“-Teilen für dreizehnstimmigen Blechbläserchor und exquisites Schlagzeug – eigenwillig und fremd und reizvoll. Könnerschaft und erstaunliche Feinarbeit in der wohl kurzen Probenzeit zeigten dann sowohl Jurowski wie die Jungakademiker: Schuberts „Unvollendete“ beeindruckte in Pianissimo-Passagen, in sehr differenzierten Sforzandi und einer Zurücknahme, in der so etwas wie die Einsamkeit und das Leiden des unromantisch Frühverstorbenen zu ahnen waren. Großer Beifall und wohltuende Erinnerung – auch an Hermann Levi.
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