Die Bayerische Akademie der Schönen Künste stellt neue Mitglieder sowie das österreichische ensemble für neue musik vor. „Ein Konzert ist eine Singularität“, hob Nikolaus Brass gleich zu Beginn die Einmaligkeit des Live-Erlebnisses hervor. In seiner Moderation lag ihm viel daran, wieder an die grundsätzlichen Dinge zu erinnern. Nicht dass es hier bei der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in der Münchner Residenz jemand nicht längst gewusst hätte.
Doch so deutlich ausgesprochen, lenkte Brass den Fokus wieder auf die sinnlichen Aspekte der Musik, die in Kompositionen jüngster Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnen. Auf alle Fälle hier im Schnittpunkt der Reihen „Zeitgenössische Kammermusik im Dialog“ und „Ensemblekultur“.
Protagonisten waren diesmal die jüngst berufenen Akademiemitglieder der Abteilung Musik, die Komponisten Tobias PM Schneid (geb. 1963) sowie Johannes Kalitzke (geb. 1959). Letzterer hatte zudem am Pult des österreichischen ensembles für neue musik, œnm – Kalitzke ist dort seit 1997 erster Gastdirigent –, aus Salzburg das Vergnügen, einen Klangkörper zu leiten, der bei aller Komplexität der Werke mitnichten verkopft oder steril musizierte. „Es ist immer eine Frage der Organik“, brachte Kalitzke auf den Punkt, was nicht nur seine Interpretationsweise, sondern auch die musikalische Qualität des Ensembles auszeichnet. Das ist hier insofern besonders hervorzuheben, da beide Komponisten auf lustvollen Zugriff sowie reiche Form- und Farbgebung setzen, jedenfalls so in der Momentaufnahme des Konzerts. „Scheinbar disparate Elemente zusammen zu bringen“, nannte es Schneid im Podiumsgespräch, „paradoxale Zustände“, titulierte es Kalitzke, was beide Komponisten verbindet.
Was indes jeweils die charakteristische Einzigartigkeit der Werke ausmachte, waren die unterschiedlichen Ordnungsprinzipien, in denen die einzelnen Faktoren immer wieder in einen neuen Kontext gesetzt wurden. Und das Ensemble verstand es mit packender Sicherheit, dies adäquat auszuprägen, damit „alles, was komponiert ist, auch gehört wird“, wie Kalitzke seinen interpretatorischen Anspruch umschrieb.
Kalitzke meinte vor allem die Balance der Stimmen und die damit eng verknüpfte Farbigkeit im Klang. Aspekte die vor allem in Schneids „Prelude I: Harmonic Encounters“ von 2000 eine fundamentale Rolle spielen sollten. Die horizontale Struktur war hier auf gedehnte Impulse reduziert. Der Reichtum des Werkes bestand vielmehr in der vertikalen Leseweise, in dem sich sinnlich-harmonische Klangcharaktere bis hin zu Dur-Akkorden mit Geräuschen zu überaus reizvollen Klanggebilden verbanden. An spieltechnischen Finessen hatte Schneid nicht gespart. Ihre Anwendung zielte jedoch weniger auf große Kontraste ab, wie es Kalitzke in seiner Komposition eher tat, als vielmehr auf ein feinsinniges Ausprägen der Klangschattierungen und deren minuziöses Changieren mit Blick darauf, Atmosphäre zu kreieren, nicht selten auch in Gestalt plastisch geformten Pulsierens in Zeitlupe.
Johannes Kalitzke stellte mit „Figuren am Horizont“ für Violine solo und sechs Instrumente von 2011 fünf musikalische, einzeln betitelte Nachrufe auf reelle Personen vor. Was ihn inhaltlich daran besonders interessierte, war allerdings ein zeitliches Phänomen. Während Schneid in seinem Werk „I’m Dancing on the edge of time II“ von 2001/02 unterschiedliche Zeitabläufe übereinander legte, und damit bisweilen geradezu chaotische Strukturen hervorrief, formulierte Kalitzke eine horizontale Entwicklung, die sich durchaus als eine melodische Linie manifestieren konnte. Was ihn interessiert habe, war die Wandlung der Erinnerung an einen Menschen im Verlauf der Zeit im Allgemeinen, erklärte er im Gespräch.
Kalitzkes Bilder waren jedoch primär von expressiven Erzähltechniken bestimmt, setzten atmosphärisch-sinnliche Substanz gegen eruptive Schärfe, ja durchaus auch Aggressivität im Duktus. Was diese fünf Bilder daher besonders auszeichnete, war die emotionale Komponente, die sich einerseits in den vordergründigen Geschehnissen manifestierte, aber auch dahinter spürbar wurde. Als eine innere Spannung, die das Ensemble trotz höchster Konzentration auf Präzision und Sorgfalt nicht auch nur einen Moment aus den Augen ließ. Selbst in klangexperimentellen Passagen nicht, die damit an den dramaturgischen Gesamtablauf gebunden blieben. Und die Stimmungen schlugen einen weiten Bogen, zwischen Dramatik sowie aufwühlendem Auf und Ab in weiten Wogen, auch Fremdartigkeit in den klanglichen Ausprägungen und geheimnisvoller Dunkelheit, die im stillen Fortspinnen schließlich fragmentiert ein Ende fand. Ein Großaufgebot von Schlagwerk u.a. mit Vibraphon und Marimba trug wesentlich zu teils geradezu exotischen Klangbildern bei, prägte zugleich auch die rhythmische Komponente aus. Momente der Intensivierung in Spannung und Substanz luden das jeweilige Bild daher stark mit Energie auf.
Was sich in allen drei Werken als sinnenfreudige Substanz offenbarte, verdankte seine Wirkung meist tradierten Kompositionstechniken. Diese Gegenüberstellung von Tradition und Neuem sei für die optische Wahrnehmung etwa im Münchner Stadtbild eine Selbstverständlichkeit, konstatierte Schneid im Gespräch. In der Musik wird dies eher als ein „Aufeinanderprallen“ (Kalitzke) empfunden. Beiden Komponisten war es dennoch gelungen – und daran war das Einfühlungsvermögen des œnm in der Ausführung nicht unerheblich beteiligt – diese Mixtur alles andere als disparat erklingen zu lassen, vielmehr daraus eine weitere, überaus ansprechende Möglichkeit der klangharmonischen Kombinatorik zu schöpfen. In Schneids „I’m Dancing on the edge of time II“, einem Werk mit strukturellem Fokus, potenzierte sich dies umso mehr, da die mehrschichtige Anlage des Septettsatzes mit der Überlagerung der Ebenen inhaltlich stark verdichtete Momente hervorbrachte. Die Live-Erfahrung wurde jedenfalls zu einem packenden Erlebnis.