Das Zafraan Ensemble geht in die zweite Runde seiner Jubiläumsreihe UA Berlin und damit ins nächste Jahrzehnt: Für „Die 1920er: Exil“ bildet Stefan Wolpe den Ausgangspunkt. Seine 1. Klaviersonate „Stehende Musik“ kam bei einem Konzert der Novembergruppe 1927 zur Uraufführung. Neben dieser stehen Morton Feldman und Ursula Mamlok auf dem Programm, die beide bei Wolpe in dessen späterer Heimat, den USA, lernten. Außerdem Weberns Saxophonquartett aus den späten 1920ern sowie eine Uraufführung von Simon James Phillips.
Beim Eintritt in den prunkvollen Meistersaal am Potsdamer Platz blubbern hintergründig einzelne elektronische Klänge aus den Lautsprechern. Eine Vorahnung der Uraufführung des Abends. Die Stimmung auf Konzerten dieser Tage ist eine spezielle, so kurz vor dem zweiten Lockdown, der erst eine halbe Woche vor Inkrafttreten verkündet wurde. Jegliche Niedergeschlagenheit wegen kommender Schließungen und Absagen weicht der Freude darüber, dass immerhin jetzt noch gespielt werden kann. Mit allen Poren diese – wer weiß für wie lange letzten – Konzerte einsaugen.
Einzeln unvereinzelt: die Soli
Heftige Wechseltöne in tiefer Lage eröffnen Wolpes Piano Sonate No. 1. Pianist Clemens Hund-Göschel lässt die rohe Härte zu und verleiht ihr eine stechende Klarheit. Die „Stehende Musik“ changiert zwischen mechanischer Akribie und freiem Umherschweifen. Sabotiert klingt sie teils wie aufwendig entstellte Salonmusik – auch im zweiten Satz noch, wenn auch dort ganz anders. Was vorher einem Industriegetriebe glich wird hier zum kreisenden Räderwerk einer Drehorgel. Bedrückung weicht Unbekümmertheit, das Insistierende wird von einer gewissen Galanterie abgelöst – impressionistische Anklänge sickern durch. Dennoch: Kontraintuitive Rhythmik verhindert eine durchgängig weiche Gleichmäßigkeit. Diese Finessen spielt Hund-Göschel mit Präzision und Detailfreude aus, nimmt sich in Sachen Agogik zurück, um eine Entfaltung des Werks zu garantieren. Freier hingegen kann sich die Dynamik gestalten, was Hund-Göschel mit kraftvollen Anschlägen auskostet, ohne dabei vulgär zu werden: Mit dem dritten Satz, der den Duktus des ersten wieder aufgreift, endet die Sonate in einem virtuosen Ausbruch.
Das andere Solowerk des Abends präsentiert Josa Gerhard an seiner Bratsche mit sensibler Einfühlung und dem zartesten Vibrato. Verhaltene Zupfer umrahmen getragene Bogenstriche, vermischen sich mit diesen. Ursula Mamloks „From my Garden” illustriert die Farbpracht des Instruments. Gerhard trifft den sehnsuchtsvollen Ton dieses kleinen Panoramas empfindsam, ohne dabei ins allzu Schmerzliche zu driften.
Autonom zusammenfließen: die Ensemblestücke
Morton Feldmans „Durations 1” bildet ein Klangspiel, das die Zuordnung der einzelnen Töne zu den jeweiligen Instrumenten mal in Schichtungen verschwimmen lässt, mal deutlich akzentuiert. Blank liegen der lange Bogen des Cellos, das an der Grenze zum schrillen Hervortreten der Flöte oder die gleißend hohe Lage der Violine. Das Gerüst, das die Musizierenden mit unterschiedlichen Spektren konstruieren, bleibt aber stabil, statt zerbrechlich zu wirken, und erzeugt die für Feldman typische Wirkung meditativisch bannender Kontinuität.
Expressionistisch mutet dagegen Weberns Quartett op. 22 an, wegen der ungewöhnlichen Verwendung des Saxophons auch als Saxophonquartett benannt. Als eines der frühen Zwölftonwerke erklingen hier die Instrumente in klarer Abgrenzung zueinander, was ein geradezu fragmentiertes Klangbild aufbaut. Dies bändigend gelingt dem Zafraan Ensemble ein minutiös abgestimmtes An- und Abschwellen, ein gemeinsam getaktetes Atmen. Die Instrumente werden so gleichberechtigte Pole einer exzentrischen Auseinandersetzung.
Dieses miteinander auseinandersetzen beherrscht auch Ursula Mamloks zweites Werk auf dem Programm. Die „Five Bagatelles” werden durch genaue Anschlüsse lebendig. Während die ersten drei Bagatellen eine energetische Steigerung vollführen, erkundet die vierte geheimnisvolle und unheimliche Klanggefilde, gipfelt in kraftvoll vorgetragenen unisono Phrasen, ehe der Staffelstab wieder durchgereicht wird. Die fünfte nimmt wieder die energische Fahrt der ersten drei auf und treibt sie ins Wilde, ohne dabei eine gewisse Verspieltheit einzubüßen.
Vielfalt ausreizen: die Uraufführung
Für die Uraufführung des Abends wurde der aus Australien stammende und in Berlin ansässige Komponist Simon James Phillips beauftragt. „Pent (5 Gleans)” gestaltet sich als offenes Werk in mehrerlei Hinsicht. Nicht nur lassen die Sounds ganz zu Beginn des Konzerts das Werk über eine definierte Abgrenzung hinaus in den Gesamtrahmen quillen. Auch werden Formen akustischer Schallerzeugung ausgereizt und vermengt. Die Instrumente werden auf sämtliche Arten genutzt, um mit ihnen Töne zu erzeugen, außer auf die konventionellen. Ein Fingerklappern auf dem Streicherkorpus – tonloses pusten durch die Bläser – schrammen auf den Klaviersaiten. Das Experiment zeigt nicht immer eine Ausgewogenheit der Klangerzeugungen gegeneinander, doch präsent bleiben die ungewöhnlich erzeugten Geräusche. Einzelne Töne treten aus dem tonlosen Gerippe hervor, das allmählich belebter wird, wie ein einziges Treiben und übergeht in ein Wummern, der zuvor noch so subtilen Elektronik. Die Entwicklung wölbt sich schließlich in zunehmende Gleichzeitigkeit klanglicher Diversität. Erst zum Schluss finden die Klangerzeugnisse endlich zusammen.
Was kommt: ein Ausblick
Ironie des Zufalls, dass der des Lockdowns wegen verschobene dritte Teil der Reihe „UA Berlin” als Untertitel „Kein Ort, nirgends” trägt. Aufführungsstätte hierfür wird der Kunstbunker in der Reinhardtstraße sein. Ob der 17. Januar als Ersatztermin herhalten kann, bleibt abzuwarten – ein Teaser macht jedenfalls schon Lust auf mehr. Den aktuellen Vorzeichen nach muss wohl auch der vierte Teil, der für den 5. Dezember angesetzt ist, verschoben werden. Es bleibt nur warten, hoffen und Freude aus Erinnerungen schöpfen.