„Wir gehören zur DNA der afrikanischen Musik!“ Als Eddie Hatitye diesen Satz sagt, ist das Lächeln in seinem Gesicht nicht zu übersehen. Es ist Samstagmittag, der letzte Tag der einzigen panafrikanischen Musikkonferenz Access 2022.
Im Foyer des Julius Nyerere International Convention Center brummt es wie im Bienenschwarm. In kleinen Trauben wandern Besucherinnen und Besucher von den Ausstellungstischen zum großen Saal. Zwischendurch unterhält man sich bei einer Tasse Kaffee, tauscht sich aus, diskutiert über die Bandbreite der Angebote der verschiedenen Panels, Workshops und Symposien. Die Stimmung ist gelöst und heiter. Erleichterung ist auch bei Eddie Hatitye spürbar.
Als Geschäftsführer von music in africa ist er verantwortlich für die Access 2022 in Dar-es-Salaam und in den letzten sieben Monaten war er mit deren Verwirklichung in Tansanias größter Metropole beschäftigt. Seit 2017 veranstaltet die Organisation music in africa die dreitägige Konferenz – immer Ende November und immer in einem anderen afrikanischen Land. Das fordert alljährlich das Aufbauen neuer Kontakte, die Akquise neuer lokaler Kooperationspartner*innen und das Vernetzen aller beteiligten Akteur*innen vor Ort. 2020 konnte coronabedingt keine Access stattfinden, 2021 war nur eine schmale Ausgabe in Johannesburg möglich. Dass jetzt alles so gut klappt, die vielen Rädchen ineinandergreifen, um eine solche Konferenz, die weder in dieser Form noch inhaltlich in Ostafrika je stattgefunden hat, zu stemmen, darüber ist Eddie Hatitye sehr froh und dankbar: „Man sieht jetzt, was es heißt, auf ein gutes Netzwerk, das wir über Jahre aufgebaut haben, zurückgreifen zu können. Und es ist unglaublich. Music In Africa ist wie ein Magnet, der wächst und wächst, und immer mehr Leute aus der Musikbranche anzieht. Auch die Themen, die uns beschäftigen, sie werden immer vielfältiger.“ Was für uns hierzulande als eine Selbstverständlichkeit erscheint, ist in Afrika Pionierarbeit: das Organisieren des Musiklebens, der Musikbranche, ja überhaupt ein Bewusstsein zu wecken, welch immenses musikalisches Kulturgut von der Nordspitze Tunesiens bis zum Kap der guten Hoffnung vorhanden ist und wie man es am geschicktesten fördern kann. Und zwar nicht von außen, sondern von innen. Es geht um realistische Antworten auf die komplexen Fragen: Wo sehen sich die Akteur*innen der afrikanischen Musikbranche selbst, was benötigen sie, was ist langfristig erfolgsversprechend? Inwiefern ist es möglich, sich eigenverantwortlich, autonom zu etablieren und zu entwickeln – unabhängig von westlichen Musikmärkten, deren postkoloniale Fangarme selbstverständlich den Kontinent nach möglichem Verwertungspotenzial abtasten.
Kulturelle Renaissance
Für diese kulturelle „Renaissance“ braucht es lokale und überregionale Verbände, Interessensgemeinschaften, Verwertungsgesellschaften, Kooperationen, Austauschmöglichkeiten, rechtsgültige Absprachen und vieles mehr. Und damit nicht jedes afrikanische Land sein eigenes Süppchen kocht, wurde die Organisation Music In Africa entwickelt. Sie arbeitet seit über 10 Jahren daran, just dieses Netzwerk als Plattform für den gesamten Kontinent aufzubauen, für alle Interessierten leicht zugänglich und umfassend zu nutzen. Ein Netzwerk, das dank heutiger Kommunikationstechnologien, – und dies ist die besondere Note – online und real gleichermaßen funktioniert. Alle Möglichkeiten möchte music in africa ausschöpfen, damit sich der Kosmos des afrikanischen Musiklebens strukturieren und auch kulturpolitisch Gehör verschaffen kann. Das Musikgeschäft soll für alle Beteiligten einfacher und einträglicher werden – vom Bühnenstar bis zum Backstage Management, genreübergreifend, egal ob Rap, Hiphop, Pop, Afrobeats, Singersongwriter, Techno, Metal oder musiktraditionell geprägte Ensembles. „Wir wollen, dass sich aus jedem afrikanischen Land Menschen, die mit Musik zu tun haben, begegnen können.“ So beschreibt Maimouna Dembélé aus dem Senegal ihr Ziel als Vorständin der Music In Africa Foundation. Und tatsächlich: viel Raum zur Begegnung bietet die Access 2022 in Dar-es-Salaam. Allein die großzügige Architektur des Julius Nyerere International Convention Center verdeutlicht die Bedeutung dieser Konferenz. Hatte sich während der Access in Ghanas Hauptstadt Accra vor drei Jahren der Charme des Improvisierens dazugemischt, sind diese drei üppig gefüllten Tage durch und durch professionell.
Die gehaltvollen Vorträge, Diskussionsrunden und Workshops klingen allabendlich aus in Konzerten in einer der Sehenswürdigkeiten von Dar-es-Salaam, nämlich auf dem Gelände des staatlichen Village Museums. Ein Ort mit Signalwirkung, der auch anderes Publikum anlockt. Über ein Dutzend Bands aus vielen Teilen Afrikas tritt hier auf, die Stile sind so unterschiedlich wie die Instrumente, auf denen gespielt wird.
Für Maimouna Dembélé sind gerade diese etablierten Locations ein starkes Zeichen: „Jetzt werden wir auch von Regierungen wahrgenommen. Für die Access in Dar-es-Salaam hat uns das tansanische Kunst- und Kulturministerium massiv unterstützt. Mehr und mehr staatliche Behörden auf dem ganzen Kontinent interessieren sich für die Arbeit von Music In Africa, und das ist einfach großartig.“
MiA-Studie liegt vor
Ziemlich großartig und vor allem einzigartig ist auch die Studie, die music in africa zum Auftakt der Konferenz veröffentlicht hat. Ihre Ergebnisse geben Auskunft über das tatsächliche Einkommen von Musiker*innen in Südafrika. Und die lassen sich nicht schönreden: Einzig von Konzertauftritten kann man als Musikerin, als Musiker kaum überleben. Mehrere Jobs sind der Alltag: als Musiklehrer*in, Studiobetreiber*in, Produzent*in und oftmals auch in Tätigkeiten in komplett musikfernen Branchen. Auch ist der Verdienst über Streamingdienste häufig sehr gering. Insofern wird auf der Konferenz klar formuliert, wie groß und dringlich die Aufgabe ist, durch die starke Vernetzung auch online ein Einkommen für die Musiker*innen zukünftig zu ermöglichen.
Als großen Vorteil sieht dabei der langjährige Wegbegleiter der music in africa foundation Jens Cording von der Siemens Stiftung die momentane Offenheit der afrikanischen Musikszene: „Was ich hier erlebe, gerade auf der Access Konferenz, ist, dass die lokalen Akteur*innen sehr daran interessiert sind zu kooperieren, zu kollaborieren, und zwar über Grenzen hinweg. Da haben wir zum Teil in Europa härtere Grenzen, gerade im kulturpolitischen Bereich. Wir sehen, dass viele Staaten inzwischen auch eine große Chance und großes Kapital sehen, was sie an Künstler*innen da haben. Das Verständnis kommt langsam, aber es kommt.“
Digitale Wahrnehmung
Was auch immer wieder mit einem gewissen Stolz auf der Konferenz erwähnt wird: inzwischen ist Music In Africa in allen 54 Ländern Afrikas präsent und wird täglich von mehreren tausend Besucher*innen im Digitalen angeklickt. Im Monat tummeln sich 500.000 Einzelnutzer*innen auf der Onlineplattform, um sich beispielsweise über ihre Urheberrechte und Einkommensmöglichkeiten in Streamingdiensten zu informieren, oder über Fördermöglichkeiten und Stipendien oder Produzent*innen, Musikmanager*innen und Künstler-*innen werden aufeinander aufmerksam und finden Wege zueinander.
Und noch ein anderer Erfolg wird spürbar: War 2019 auf der Access in Accra von vielen afrikanischen Teilnehmenden zu hören, wieviel man zu lernen hätte, ist vom Lernen jetzt in Tansania nicht mehr die Rede – hier wird von Zusammenarbeit, kulturpolitischer Vernetzung und Solidarität gesprochen. Und das auf Augenhöhe.
Selbstbewusst präsentieren (auch im Vergleich zur Access 2019) mehr afrikanische Player ihre Angebote aus dem Bereich Streaming, digitale Vermarktung und Vermittlung. Sie alle nutzen die Konferenz als ihre Drehscheibe, um über ihre Weiterentwicklung zu diskutieren. Arun Nagar, Manager des Digitalproviders Ziiki Media aus Südafrika ist einer von ihnen. Er schwärmt vom afrikanischen musikalischen Potenzial, das die miesen Zeiten der Coronapandemie ohnehin viel besser überstanden habe, zum Beispiel im Vergleich mit Europa. Den Umgang mit Krisen sei man in Afrika gewohnt. Die Menschen seien einfach resilienter. Was ihnen jetzt zu Gute kommt:
„Ich habe da gar keinen Zweifel. Unsere Musikindustrie wächst, vor allem im Digitalen. Und sie wächst nicht linear, sondern exponentiell. Covid hat zwar alles etwas ausgebremst. Aber jetzt sind die Leute hungrig. 2023 wird ein brillantes Jahr für die afrikanische Musikindustrie, besonders in Ostafrika.“
Boysclub war gestern
Was auch weiterhin durch das Engagement von Music In Africa wachsen soll, ist die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen im Musikgeschäft. Ein Herzstück der Access ist dabei das Trainingsprogramm für junge Frauen gender@work, das Carine Tredgold aus Simbabwe seit 2019 leitet:
„Ich glaube, es ist absolut essentiell, dass die Musikindustrie backstage diverser wird. Viel zu lange war es ein Boysclub. Wenn nun Frauen hinter der Bühne und in der Bühnentechnik arbeiten, ändert das wirklich komplett die Dynamik und Arbeitsatmosphäre.“
Im Rahmen der Access ermöglicht das Trainingsprogramm den knapp 20 Teilnehmerinnen, das komplette Stagemanagement für die drei Konzertabende zu übernehmen und davor ein einwöchiges Unterrichtsprogramm zu durchlaufen. Denn es geht um das notwendige Rüstzeug für ihre berufliche Zukunft und die jungen Frauen aus über acht unterschiedlichen Staaten wissen ziemlich genau, warum sie das brauchen – um gleiche Karrierechancen und gleiche Gagen einzufordern.