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Don Giovanni oder Die Rückkehr nach Spanien

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Mozarts Oper bei der Ruhr-Triennale, inszeniert von Klaus-Michael Grüber und Eduard Arroyo
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Gerard Mortier kommt von Mozarts „Don Giovanni“ nicht los. In seiner Salzburger Zeit als Festspielintendant verkündete er die „Jahrhundert-Aufführung“: Patrice Chéreaus ingeniöse Inszenierung in den Bühnenbildern Riccardo Peduzzis löste das Versprechen szenisch ein, doch Daniel Barenboim mit den Schön-Spielern von der Wiener Philharmonie verhinderten den avisierten Höhenflug: Der zweite Anlauf, ebenfalls noch in Salzburg, mit Lorin Maazel und Luca Ronconi, erbrachte eine nicht uninteressante Darstellung, aber beileibe nicht einmal einen „Jahrzehnt-Giovanni“: Solides Operntheater. Dabei hatte Mortier einst in seinen Brüsseler Jahren mit den Herrmanns einen fast grandiosen, auf jeden Fall hochinteressanten „Don Giovanni“ auf die Bühne des Théàtre de la Monnaie gebracht.

Gerard Mortier kommt von Mozarts „Don Giovanni“ nicht los. In seiner Salzburger Zeit als Festspielintendant verkündete er die „Jahrhundert-Aufführung“: Patrice Chéreaus ingeniöse Inszenierung in den Bühnenbildern Riccardo Peduzzis löste das Versprechen szenisch ein, doch Daniel Barenboim mit den Schön-Spielern von der Wiener Philharmonie verhinderten den avisierten Höhenflug: Der zweite Anlauf, ebenfalls noch in Salzburg, mit Lorin Maazel und Luca Ronconi, erbrachte eine nicht uninteressante Darstellung, aber beileibe nicht einmal einen „Jahrzehnt-Giovanni“: Solides Operntheater. Dabei hatte Mortier einst in seinen Brüsseler Jahren mit den Herrmanns einen fast grandiosen, auf jeden Fall hochinteressanten „Don Giovanni“ auf die Bühne des Théàtre de la Monnaie gebracht. Jetzt also für den ersten kleineren Durchlauf der neuen Ruhr-Triennale der nächste „Don Giovanni“. Nach den oben schon genannten Künstlern verpflichete Mortier diesmal ein seit Jahrzehnten aufeinander eingespieltes „Team“ für die neue Inszenierung im Festspielhaus Recklinghausen: den Regisseur Klaus Michael Grüber und den Bühnenbildner Eduardo Arroyo. Wer Grübers Arbeitsweisen kennt, weiß, dass dieser Regisseur sich ungern in die Reihe derjenigen einfügt, die sich bemüßigt fühlen, die Rezeptionsgeschichte eines Werkes um eine weitere mehr oder minder originelle „Interpretation“ zu bereichern. Grüber und in diesem Fall auch Bühnenbildner Arroyo halten sich an einige Grundregeln: Auch „Don Giovanni“ ist in erster Linie ein Theaterstück, wenn auch mit grandioser Musik von Mozart. Also spielt die Handlung auf dem Theater. Warum Illusionen erwecken? Etwa mit einem illusionistischen Bühneraum, mit szenischem Realismus? Grüber und Arroyo präsentieren die Versatzstücke, aus denen sich Theater zusammensetzt: Eine rötliche Ziegelmauer mit Löwenkopf, eine blau-weiße Kachel im surrealen Überformat, ebenso riesige Kerzenhalter, einen unendlich langen Herrschaftstisch für das finale Mahl mit dem Komtur, eine graue breite Schiebewand, auf der in der Friedhofsszene illuminierte Totenköpfe thronen.

In dieser Ambience entfaltet sich das Dramma giocoso in oft surrealen, unwirklichen, verrätselten Bildern und Aktionen. Unschwer ist zu erkennen, dass dieser „Don Giovanni“ nach Spanien, in das Land seines poetischen Ursprungs zurückgekehrt ist. Spielen Don Giovanni und Leporello nicht auch gleich Don Quichotte und Sancho Pansa mit? Erinnert die bäuerliche Hochzeitsgesellschaft in ihrer grellen Kostümfarbigkeit nicht an Genreszenen von Goya, an das wunderbar lebendige Bild vom „Blindekuhspiel“? Zitate über Zitate.

Wer Grüber kennt, weiß auch, dass er kein purer Aktionist ist: Er lässt die Figuren in Arie und Duett und Ensemble auch immer wieder ruhig verharren: Die Gestik folgt aus der Gestik der Musik, der vokalen Linie. Man muss nicht jede gesungene Note mit einem Purzelbaum garnieren. Und auch der finale Auftritt des Komturs bedarf nicht des szenischen Brimboriums: die Friedhofsgestalt in einer weißen Mönchskutte wird einfach hereingeschoben und bleibt ruhig stehen: wie im „einfachen“ Theater.

Grüber wäre nicht er selbst, wenn er nicht auch noch etwas hinzuerfinden würde: Eine stumme Figur mit langem Mantel und Hut geistert geheimnisvoll durch die Szenen, beobachtet, macht Notizen, fotografiert sogar einmal mit „Blitz“: den getöteten Komtur. In Spanien hatten immer schon die Mauern Ohren und Augen. Die Figur mag als Chiffre dafürt stehen, sie erinnert aber auch an Hitchcock-Filme, an die Schnüffelnase Polonius – Grübers Affinität zu Shakespeare scheint in dieser Aufführung auch durch: wirkt Don Ottavio nicht wie ein Bruder Hamlets: Der große Zauderer, der im ersten Finale die überdimensionierte Pistole zieht und nicht abdrückt? Und erscheint nicht Giovanni selbst mit Zügen des Dänenprinzen: Wenn er am Ende an dem langen Tisch vor den eben übergroßen Weingläsern auf dem hohen Thronstuhl hockt: Ein ungezogener großer Junge, ein rotzfrecher Lümmel, der die ganze Umwelt mit ihren seltsamen Ritualen von Liebe, Tod, Treue und Ehre zum Narren hält? Grübers Darstellung verweist gleichsam spielerisch und wie unbeabsichtigt auch auf die geschichtliche Bedeutung der Don-Giovanni-Figur: Ein Immoralist sprengt eine überlebte Gesellschaftsordnung, das Ancien Régime, in die Luft. Dass er damit sich selbst liquidiert, weil er doch selbst dieser Sozietät angehört, interessiert ihn nicht: Ein Nihilist will nur noch das Ende und dabei seinen Spaß haben, wozu vor allem die erotischen Abenteuer und die Erniedrigung der Frauen gehören.

Die Aufführung nimmt sich auch musikalisch Zeit: Hans Zender setzt sich souverän auf das richtige Andante, in dem die Handlung unaufhörlich und zwingend voranschreitet. Zenders Don Giovanni hetzt nicht, auch nicht in der sogenannten „Champagner-Arie“ – wer vokale Linien präzise modelliert, wirkt ohnehin stets rascher: Eine Frage der Rezeptionsfähigkeit des Zuhörers. Zum durchbrochenen Theatergestus der Inszenierung gehört auch das gesprochene Rezitativ, das Puristen bedenklich finden mögen: Hier ergibt das einen theatralischen Sinn.
Stéphane Degout, ein sehr junger, agiler Verführer, mehr Spieler als erotischer Dämon, singt die Partie mit plastischer Linearität, sehr beweglich und kantabel, in der Stimmklangfarbe passend zur Figur eher hell timbriert. José Fardilha kehrt neben ihm in zeitlosem Arbeitslook mit Pudelmütze wahrhaft den Sancho Pansa heraus: ein prächtiger Schauspieler, der zudem noch markant und kantabel singt. Die weiteren Besetzungen hinterließen durchweg vorzügliche Eindrücke: ein „komponiertes Ensemble“ ohne Schwachstellen.

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