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Echnaton der Komischen Oper Berlin im Schillertheater. Foto: Monika Rittershaus

Echnaton der Komischen Oper Berlin im Schillertheater. Foto: Monika Rittershaus 

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Don’t walk like an Egyptian! – Die Komische Oper im Höhenflug mit Glass‘ „Echnaton“

Vorspann / Teaser

Zwei Jahre nach der Stuttgarter Uraufführung von Philip Glass‘ Pharaonenoper „Echnaton“, dem Abschluss seiner Trilogie über große Männer (nun ja, nur die) der Menschheitsgeschichte, als welche er des weiteren Albert Einstein und Mahatma Gandhi erkor, da dengelte, schrummte und polterte der einzige Hit der girls-band „The Bangles“ nicht gerade unauffällig durch die Charts und Discos der späteren 80er: „Walk Like An Egyptian“. Zu rhythmischem Gitarrengewitter aufgepoppter und eher unterkomplexer Garagensound, eingängig und gar nicht mal so schlecht, induzierte das Stück übers dazugehörige Video zugleich ein Kulturphänomen auf die Tanzflächen: mit abgewinkelten Armen sich im Profil bewegende und wippende Menschen. Möglicherweise war dieses Laufen wie Hieroglyphen aber auch nur eine popkulturelle Parodie auf Robert Wilson.

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Noch gemeiner wäre es, würde man Philip Glass‘ Musik in die Nähe der Bangles rücken, um dann diejenige seiner Minimal Music Kollegen Reich, Riley und Adams der Richtung von etwa Joy Division zuzuschlagen. Wäre da eben nicht diese gewisse Unterkomplexität in den Glass’schen Patterns, Strukturen und Repetitionen, eine naive Unbedarftheit, die, wenn etwa der Rhythmus in Kantables sich verflüssigt, selbiges weit unter ein bloß handwerkliches Niveau sinken lässt. Aber: Pop wäre kein Massenphänomen, wäre er nicht simpel, was hinwiederum auch eine Kunst ist, und Mantras oder Riten wirkten überhaupt nicht, käme man über das Zählen nicht irgendwann hinaus. Kenner*innen buddhistischer Praxis oder auch nur der Fastnacht in Elzach etwa, wo der Umzug den ganzen Tag über zum selben Marsch bis zum Exzess praktiziert wird, wissen wovon die Rede ist. Besucher*innen des Theatertreffens von 1998 womöglich auch, als, ein Gastspiel der Wiener Burg, im Schillertheater Einar Schleef das „Sportstück“ von Elfriede Jelinek in mitreißenden Chormassen deklamieren ließ.

Nun fuhr an gleicher Stelle im umbaubedingten Ausweichquartier an der Bismarckstraße die Komische Oper Berlin einen überwältigenden Erfolg mit Philip Glass‘ „Echnaton“ ein, einer Aufführung, die, wie weiland Schleef, gleichermaßen wahrhaft dionysisch erregte Massen auf die Bühne brachte – wenn auch frei von dessen bildermächtiger Gewalt aus dem zweiten Drittel des letzten Jahrhunderts. Frei allerdings auch von den prägenden Manierismen Robert Wilsons, sowie frei von sich bewegenden Hieroglyphen: Don‘t walk like an Egyptian!, schien sich Barrie Kosky gesagt zu haben, womit der gewesene aber immer noch wirkmächtige Prinzipal von der Behrensstraße, dem Glamourösen, Deftigem und Derben ansonsten nicht abgeneigt, damit vielleicht seine bisher erstaunlichste Regiearbeit hingelegt hat. Seine abstrakteste auf jeden Fall.

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Echnaton der Komischen Oper Berlin im Schillertheater. Foto: Monika Rittershaus

Echnaton der Komischen Oper Berlin im Schillertheater. Foto: Monika Rittershaus

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Und in der Tat gibt es an Glass‘ Version der Geschichte vom geheimnisumwitterten Pharao wenig zu bebildern, sofern man sich nicht aus dem bekannten Kanon bedienen will – geschweige denn des berühmtesten Kunstwerks in Berlin, des Bildnisses von Echnatons Gattin Nofretete. Aufstieg, Zenit und Niedergang von Herrschern sind ein gängiges Verlaufsmuster auch auf dem Theater, und dass es sich bei Echnaton, möglicherweise, um den Stifter einer ersten monotheistischen Religion handelt, bringt angesichts von dessen Selbstvergottung als Sohn des einen Aton ebenso herzlich wenig, wie dass er abschließend von den Anhängern der vielen Götter hingemeuchelt wird. Alles wie gehabt. Und dank Koskys „Echnaton“ dann doch nie dagewesen.

Den rituellen Charakter von Glass‘ Passionsspiel in elf Stationen betonend, arbeitet er vor allem mit den Mitteln, die man den ganzen Abend über sieht: mit dem Raum, den Menschen, dem Licht. Keinerlei überflüssige Bezüge dringen von Außen in dieses Theater ein, wenn man einmal von der humorigen Anspielung absieht, dass als Totenschiff, mit dem Echnatons Vater altägyptisch zu Grabe gefahren wird, ein zum Leichenwagen umgebauter Opel Admiral dient. Ansonsten spielt nichts auf irgendetwas an, aber alles spielt miteinander. Vorzüglich Licht, Raum, Bewegung als purifizierte Bestandteile einer authentischen, weil fürs Hier und jetzt der Bühnensituation bestimmten Choreographie. Bewegungen, Muster, Formationen und deren Auflösungen schaffen somit wahrhaft einzigartige, weil eben nur dieses Musiktheater ergebende Bilder: tableaux vivantes von Trauer, Erhabenheit, Versenkung und Aufruhr. Die Arbeit daran mit dem Chor, den Soli und den Tänzern muss man sich aberwitzig intensiv vorstellen, und konsequent nennt Kosky die sieben imposanten Tänzer seine Mit-Choreographen.

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Echnaton der Komischen Oper Berlin im Schillertheater. Foto: Monika Rittershaus

Echnaton der Komischen Oper Berlin im Schillertheater. Foto: Monika Rittershaus

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Wenn mal doch Kulisse oder Bild notwendig werden, dann erfolgt dies erstaunlich und neu. Als etwa Echnaton den Tempel Amuns und der alten Götter einstürzt, um dem neuen einen Gott Aton zu huldigen, dann entsteigt dem dafür vorgesehenen schwarzgestrichenen Spielhäuschen ein schwarzes Stöffchen, welches sich allerdings zu einem gewaltigen Kissenmonolithen aufbläht, der ebenso leicht wie bedrohlich über allen Köpfen schwebt und alles verdüstert: Allem Anfangszauber wohnt ein Schrecken inne, und in dieser wie anderen, ebenso simplen wie singulären Bildfindungen geht Klaus Grünbergs weiß glänzender Einheitskubus sowie seine exquisite Lichtregie kongenial mit.

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Echnaton der Komischen Oper Berlin im Schillertheater. Foto: Monika Rittershaus

Echnaton der Komischen Oper Berlin im Schillertheater. Foto: Monika Rittershaus 

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Das alles geschieht über die zweieinhalb Stunden Spieldauer mit höchster Konzentration und Präzision, ist vorzüglich für die Ensembles Schwerstarbeit bis zur Verausgabung, weil, bei allem was an Formen und Formationen zu bilden ist: the beat goes on. So simpel und auf die Dauer höllenschwer ist eben Glass, weshalb mit dem intensiven Chor (inklusive Chorsolisten und verstärkt durchs Vocalconsort Berlin) dem Orchester der Komischen Oper gleichermaßen die Ehrenpalme gebührt, sowie ein nicht zu kleiner Palmwedel dem Dirigenten Jonathan Stockhammer, der das Ganze nicht nur präzise zusammenhält, sondern es auch unermüdlich vorantreibt. Ein Ganzes, aus welchem die Hauptrollen als kontemplative Ruhepole effektvoll hervorragen: John Holiday mit einnehmender Counterstimme als Pharao, warm timbriert die Nofretete von Susan Zarrabi sowie Susan Bradys stattliche Königsmutter Teje.

Paul Virilio meinte einst, Video heißt nicht ‚Ich sehe’, sondern ‚Ich fliege‘. Für Barrie Koskys mitreißend perfektes Musiktheaterritual „Echnaton“ gilt das gleichermaßen.

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