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Dramatische Gefühle mit hartem Duktus

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Welturaufführung von „Rosamunde“ von Arnold Schönberg
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Manches bleibt in Archiven unbeachtet. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Relevanz eines Dokuments zum Vorschein kommt. Im Rahmen des Programms „Klavierzyklus“ anläßlich der Veranstaltungen zu Schuberts 200. Geburtstag hatte der Klangbogen Wien am 29. Juli 1997 eine echte Novität, eine Welturaufführung plaziert: Entreacts und Ballets zum Drama „Rosamunde“ op. 26 D 797 in der Fassung für Klavier zu vier Händen von Arnold Schönberg. In Anerkennung der Tradition und auf deren Fortführung bedacht, hat Schön-berg viele Werke von Vorgängern bearbeitet. Eine Serie solcher Bearbeitungen entstand ab 1903 für die Wiener Universal Edition, zur Förderung der eigenen Reputation und aus finanziellen Erwägungen. Beachtenswerte, weil ästhetisch signifikante Transkriptionen, die unorthodoxe Hörerfahrungen mit Orchesterwerken versprechen, hat das auf diesem Gebiet führende Klavierduo Sontraud Speidel und Evelinde Trenkner seit 1991 als eigenständiges Genre vehement etabliert. Und von detektivischem Gespür geleitet, haben die Pianistinnen Schönbergs Arrangement, das nachweislich bis dahin nicht öffentlich gespielt worden war, zu einem passenden Zeitpunkt ausgegraben und für das Konzert in Schuberts Geburtshaus (heute: Nußdorfer Str. 54) eine Kopie des Original-Notentextes der Universal Edition verwendet. Merkwürdigerweise ist dieses Werk selbst Schönbergs Tochter Nuria, Herausgeberin seines Nachlasses und Witwe des Komponisten Luigi Nono, zuvor nicht bekannt gewesen, wie Frau Trenkner versicherte. Also auch eine exquisite, ja sensationelle Rarität, bedenkt man, daß von Schubert vermeintlich alles Wissenswerte dokumentiert zu sein schien. Zwei Erwartungen wurden an diesem Abend allerdings nicht erfüllt: Wer ein auf Dodekaphonie getrimmtes Schubert-Werk befürchtet hatte, konnte nach den ersten Takten beruhigt durchatmen; wer andererseits sich auf beschaulichen Biedermeier eingestellt hatte, wurde womöglich enttäuscht. Mag für die Orchesterfassung (zum Vergleich liegt mir die bei der DGG erschienene Gesamtaufnahme mit Claudio Abbado vor) noch zutreffen, daß die Musik ein „süß verklärender Spiegel der Dichtung“ ist, wie die Librettistin Helmina von Chézy schrieb, so enthüllte das Schönberg- Arrangement eine ganz andere Klangwelt: da war die „Rosamunde“-Musik nicht betrachtend oder dekorativ, vielmehr wie zur Inszenierung eines Stummfilms, dramatisch, imaginativ, sie mischte mit im Spiel der Gefühle. Eine Märchenwelt wurde ironisch unterminiert. Es ist schwierig zu entscheiden, ob dieser Eindruck vom Arrangement oder durch die Interpretation entstand. Zu bedenken ist, daß sowohl Schönberg als auch das Duo Speidel/Trenkner wohl nur das verstärkt haben können, was bereits in der Partitur intendiert war. Glaubt man neueren Forschungen, dann ist eine solche Deutung der „Rosamunde“ eher Schuberts Eigenwilligkeit im Stil gemäß. Bedingt durch die dumpfe Akustik des kleinen Saales und den harten Klang des „Schubert“-Flügels von Bösendorfer wirkte die Musik aber beinahe gespenstisch. Besonders bei den rhythmischen Finessen des Pseudo- Trauermarsches und des Schlusses lotete das Duo Schuberts ironische Distanz zum Sujet aus, während langsame Sequenzen zwar zart, aber nicht verzärtelt klangen. So kam bei Frau Speidel und Frau Trenkner eine künstlerisch optimal abgestimmte Darbietung wie auch eine analytische Sicht im harten Duktus ihrer Interpretation zur Geltung, die die in der Orchestrierung verschleierten disparaten Schichten bewußt machten. Die Verwicklungen und Intrigen um „Rosamunde, Fürstin von Zypern“ erscheinen daher in dieser Version eher als Ausdruck von Schuberts Unbehagen an höfischem Habitus denn als harmloses romantisches Schauspiel. Drei weitere Stücke, von Schubert selbst für Klavier zu vier Händen gesetzt, bestätigten die Tendenz, wie sie in der „Rosamunde“-Musik anklang. Auch das „Rondo“ op. 107 D 951, war doppelbödig, changierte in Zwischenwelten der Stimmungen. „Lebensstürme“ op. post 144 D 94 hatte dialektische Momente, die in polyrhythmischen Passagen eine optimistische, nicht fatalistische Haltung vermittelten. Beide Spätwerke wurden aber noch übertroffen von dem fulminanten Temperament des „Marche Charactéristiques“ op. 121, Nr. 2. In dem Tempo, mit dem Verve, wie ihn die beiden Damen im leuchtenden Rot zur Begeisterung des Auditoriums von den Tasten zauberten, hätten Soldaten keine Chance gehabt, im Tritt zu bleiben. Eine Zugabe, die wegen ihres mitreißenden Charmes einen mit anregenden Hörerlebnissen erfüllten Schubert-Abend höchst erquicklich beschloß.

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