Diese Franzosen mit ihren Kurzopern von Offenbach bis Milhaud und Nachfolgern! Doch wer eine Ahnung von „la vie française“ hat, weiß: Wie schön, nach einer Stunde Hochkultur noch genug Zeit zu haben für ein mehrgängiges Souper, sei es im Freundeskreis oder nur mit der heimlichen Geliebten. Und Milhauds Dreiakter(!) vom „Armen Matrosen“ dauert sogar nur 40 Minuten! Doch Würzburg bietet 75 Minuten herbe und musikalisch schwer verdauliche Kost, findet unser Kritiker Wolf-Dieter Peter.
„Eine szenisch-musikalische Reise“ heißt das Opus, für das wohl hauptsächlich Dramaturg Berthold Warnecke verantwortlich zeichnet. Von allen Einwänden gegen die „Reise-Route“ und aller Ablehnung der „Dramaturgie“ seien das Philharmonische Orchester Würzburg und die dirigentische Leistung von Enrico Calasso ausgenommen – alles Dargebotene klang bestens einstudiert und musiziert. Vier Solo-Rollen umfasst Milhauds Werk: In einer heruntergewirtschafteten Hafenkneipe wartet eine damals glücklich verheiratete, jetzt 40jährige liebende Frau auf ihren seit 15 Jahren auf See abwesenden Mann; ihr mürrischer Vater drängt sie zu neuer, reicher Heirat; ein Freund ihres Mannes umwirbt sie; natürlich gealtert und verändert kehrt ihr Mann mit Reichtümern zurück und gibt sich – „letztes Abenteuer“ - als Freund des bald zu erwartenden Ehemannes aus; dieser sei völlig verarmt, während er eben sein Glück gemacht habe; er bleibt über Nacht; die Frau erschlägt ihn, um künftig wohlhabend mit ihrem Mann leben zu können.
Diese, wohl aus einer Zeitungsmeldung entwickelte fatale Verstrickung läuft bei Milhaud lakonisch knapp ab, wobei die kleinen Sehnsüchte der auf ihre Liebe fixierten Frau aus dem tonalen Fluss überzeugend aufleuchten. Dafür waren Sopranistin Silke Elvers (Frau), Tenor Roberto Ortiz (Matrose), Bariton Kosma Ranuer (Freund) und Bass Igor Tsarkov (Vater) bestens ausgewählt – eine überzeugende Besetzung.
Doch das schien dem Team von Regisseur Tomo Sugao, Ausstatter Paul Zoller, Steffen Boseckert für Film und Schnitt sowie eben „Gesamtkonzeptor“ Warnecke viel zu wenig. Aus ihrer Sicht scheint dem seit 1934 zwar opernweltweit höchst erfolgreichen Werk vieles zu fehlen. Daher wurden Frau, Vater und Freund mit Marzelline-, Fidelio-, Rocco- und Pizarro-Arien „vertieft“; der Matrose wurde durch drei orchestral aufbereitete Lieder aus der „Winterreise“ mit Schuberts Wandergesellen gleichgesetzt – „Fremd bin ich eingezogen“ wird dem Toten in den schweigenden Mund gelegt – und weil das noch nicht reichte, mixten die Macher die Symphonie Nr. 14 von Schostakowitsch mit „De profundis“ für den Bass und der „Malagueña“ für die von der tristen Bar in einen erotisch(?) roten Raum tanzende Ehefrau herein.
Das ließe sich nun seitenlang differenziert in seine Unsäglichkeiten zerlegen. Doch vom banal durch keine Maske behandelten, dadurch viel zu jungen Vater bis zu aufwändig surrealen Blutrausch-Szenen bleibt am Ende: eitel sich über Milhaud erhebendes Geschwurbel; Fidelio-Werkintentionen und Schuberts singuläres Lied-Monument missbrauchend… unter ihrem Namen ein „neues Werk“ anzubieten, haben sich die Macher dann doch nicht getraut. Aber ihre „Reise“ führt nur ins musikdramatische Nix.
- Vom 14. Mai 20:00 Uhr bis 16. Mai 20:00 Uhr für 48 Stunden als Video-on-demand kostenlos in Ihrem Wohnzimmer.