Vasily Barkhatov hat am Theater Basel bereits Modest Mussorgskys „Chowanschtschina“ und Sergej Prokofjews Oper „Der Spieler“ packend und präzise in die Gegenwart geholt. Für Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“ beschäftigte sich der russische Regisseur gemeinsam mit dem Dirigenten Antonello Allemandi zunächst einmal mit der komplexen Entstehungsgeschichte des Musikdramas und den daraus resultierenden verschiedenen Fassungen. Georg Rudiger berichtet aus Basel.
So sind in Basel auch Passagen aus der beim Publikum durchgefallenen zweiaktigen Erstfassung von 1904 zu hören, die den US-amerikanischen Marineleutnant Pinkerton noch unsympathischer und die Kolonialismuskritik noch stärker zeichnen als die geglätteten späteren. Diese Profilschärfung nimmt Allemandi mit dem Sinfonieorchester Basel auch musikalisch auf, wenn die Blechbläser den Fluch des Onkel Bonzo (Andrew Murphy) schärfen oder die Folklore der japanischen Hochzeitsgesellschaft grelle Orchesterfarben erhält. Schon in der von den Streichern aufgerauten Ouvertüre entwickelt der Musiktheaterabend eine Dringlichkeit, die bis zum Ende bleibt. Zinovy Margolin hat für Pinkerton ein schickes Apartment gebaut samt Wasserbecken und Buddha-Figur. Das Ambiente ist auch in den Kostümen (Olga Shaishmelashvili) nicht streng japanisch, sondern ein bunter Asia-Mix. Der Regisseur möchte so den globalen Kolonialismus in Szene setzen. Damit zeigt er aber auch Pinkertons Ignoranz, dem es bei seinem fernöstlichen Sexurlaub nur um ein wenig Exotik geht. Deshalb löscht Pinkerton auch das von Dienerin Suzuki (mit rundem, sattem Mezzo: Kristina Stanek) angezündete Räucherstäbchen im Wasser und steckt statt zu beten lieber seine Füße ins Becken. Dafür hat er neben seiner Basecap auch einen Selfiestick dabei, mit dem er jeden seine Schritte filmt und live auf den Flachbildschirm überträgt, der im Apartment steht. Wenn Otar Jorjikia mit seinem hell timbrierten, wunderbar geführten Tenor nicht so berührend singen würde, hätte dieser selbstverliebte, oberflächliche Pinkerton gar keine Sympathiepunkte mehr.
Das Mädchen Cio-Cio-San, das er vom schmierigen Heiratsvermittler Goro (mit goldenen Sneakers: Karl-Heinz Brandt) kauft, ist mit Talise Trevigne schon eine reife Frau. Darstellerisch braucht die amerikanische Sopranistin einen Akt, bis sie weniger nach dem Dirigenten schaut und auf der Bühne größere Präsenz entfaltet. Stimmlich ist sie von Beginn an eine besondere Madame Butterfly – mit großer Tiefe und dramatischer Stärke, die aber immer aus dem Lyrischen kommt und gerade deshalb berührt. In dieser polarisierten Welt ist Domen Krizaj als einfühlsamer Konsul Sharpless der einzige Vermittler zwischen den Welten. Das Drama kann aber auch er nicht abwenden.
Im zweiten Akt nach der Pause ist Cio-Cio-San allein in der Wohnung und schaut sehnsuchtsvoll die platten Selfie-Filme an – wie sich Pinkerton rasiert, wie er mit ihr in die Kamera grinst. Der Amerikaner ist nach der Hochzeit verschwunden. Das gemeinsame Kind hat er nie gesehen. Seine japanische Frau aber bleibt ihm treu und wimmelt auch die Avancen vom Prinzen Yamadori (Vahan Markaryan) ab. Puccinis Musik erzählt von ihrem reichen Gefühlsleben. Und als sich Pinkertons Schiff ankündigt und so der Frühling Einzug hält in ihrer Winterdepression, malt sie gemeinsam mit ihrer süßen blonden Tochter und mit Suzuki Blumen an die Fenster. Der Summchor erklingt – und plötzlich hebt sich das Apartment in den Theaterhimmel. Unten bleibt Cio-Cio-San alleine mit den Möbeln zurück. Oben aber auf den mit sogenanntem Smartglas versehenen Fenstern ist die gleiche Szene zu sehen – nur ist Pinkerton immer mit dabei (Licht und Video: Alexander Sivaev). Unten räkelt sie sich allein in der unbehausten Wohnung auf dem Bett, oben im schwebenden Haus hat sie ihren amerikanischen Ehemann im Arm. Die Liebe ist während des elegischen Orchesterzwischenspiels, dem das Sinfonieorchester Basel Weite gibt, nur in ihren Träumen lebendig! Stärker kann man Cio-Cio-Sans Tragik nicht in Szene setzen. Die gespenstische Begegnung mit Pinkertons amerikanischer Frau (Ena Pongrac), der Suizid Cio-Cio-Sans vor seinen Augen, getrennt durch eine Glasscheibe – Regisseur Vasily Barkhatov hält auch im hochdramatischen Finale die Spannung hoch. Das Sinfonieorchester Basel spitzt den Konflikt bis zur Schmerzgrenze zu. Ein Ende mit Schrecken!
- Nächste Vorstellungen: 6./11./13./22./26. April 2019, www.theater-basel.ch