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SALOME, Regie: Claus Guth, Deutsche Oper Berlin, Premiere am 24. Januar 2016, copyright: Monika Rittershaus
SALOME, Regie: Claus Guth, Deutsche Oper Berlin, Premiere am 24. Januar 2016, copyright: Monika Rittershaus
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Düsternis im Herrenanzugskonfektionshaus – Claus Guth inszeniert Richard Strauss’ „Salome“ an der Deutschen Oper Berlin

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Missbrauch von Kindern ist das zentrale Thema des Regisseurs Claus Guth. Das kitzelt er mit Vorliebe aus jenen Opern, die er inszeniert, heraus, bisweilen durchaus zwingend, manchmal weniger treffend. Überzeugend gelang ihm in dieser Hinsicht die Staatsopernproduktion von „Fairy Queen“ in der Bearbeitung von Klaus Oehring als „Aschemond“, überraschend auch in der Ausdeutung der Beziehung von Daland zu seiner Tochter Senta (in Guths Bayreuther „Holländer“-Inszenierung) – und zwischenzeitlich auch in Opern von Richard Strauss, etwa in Frankfurt bei „Daphne“, wo der Vater seine Tochter in einen Schrank zerrt. Derselbe Ansatz missglückte dem Regisseur jedoch bei „Salome“ an der Deutschen Oper Berlin.

Denn dass die Kindfrau von ihrem Stiefvater begehrt wird, erzählt die auf Oscar Wildes Drama beruhende Opernhandlung durchaus plastisch, aber dass es hier darüber hinaus noch einen frühkindlichen Missbrauch seitens des Herodes an Salome gegeben habe, das wirkt ebenso konstruiert wie Guths Zuspitzung, dass Jochanaan nur im Kopf der Prinzessin existiert (was wiederum an Harry Kupfers Bayreuther „Fliegenden Holländer“ gemahnt, wo die schleichende Gewissheit über die Einbildungskraft der Protagonistin beim Publikum allerdings den Erkenntnisprozess evozierte, dass diese Liebesbeziehung unausbleiblich in der Katastrophe enden werde). Guth siedelt die zu Beginn unserer Zeitrechnung spielende Handlung in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts an.

Dabei verzichtet er ganz auf die von den Protagonisten individuell symbolisch gedeutete Mondscheibe, auf nächtliche Terrasse und Zisterne. Stattdessen ließ er sich von Ausstatterin Muriel Gerstner einen bräunlichen Innenraum bauen: die Aufschrift „Maßanfertigungen“, zahlreiche Anzüge an Stangen und Krawatten in Reihe weisen den Tetrarch von Judäa als Kaufmann aus. Im Palast des reichen Anzugmachers mit diversen männlichen Schaufensterpuppen scheint das Spiel mit deren Gliedmaßen und Köpfen ebenso nahe zu liegen, wie die Verwendung von Stoffen zu einem kindlichen Spiel mit Schleiern. Beides passiert auch schon durch Salome, respektive ihre sechs Doubles verschiedenen Alters, während der Eingangsszene der Oper – hier als einer Variante von „La Belle et la Bete“: die Schöne erzeugt sich in Gedanken eine nackte Bestie als potenziellen Rächer am Stiefvater. Das von ihren Doubles ordentlich eingekleidete, domestizierte Monster fackelt mit seinem letzten Fluch (gegen Salome) den Esstisch häuslich familiärer Einsamkeit von Herodes, Salome und Herodias ab. Wenig bis kein Profil erlangen die Randfiguren von Page (Annika Schlicht) und Narraboth (Thomas Blondelle), den beiden Soldaten (Alexei Botnarciuc und Tobias Kehrer), dem Cappadocier (Franz Xaver Schlecht), den fünf Juden (Paul Kaufmann, Gideon Poppe, Jörg Schörner, Clemens Bieber, Stephen Bronk) und den zwei Nazarenern (Noel Bouley, Thomas Lehman), da diese allesamt in absolut austauschbare Herrenkonfektionsanzüge gesteckt sind und sich zumeist nur puppenhaft ruckartig aus ihrer Erstarrung in ihre nächste Position bewegen dürfen.

Im Interview der „Berliner Morgenpost“ hatte Claus Guth postuliert, „nackte Haut und rohe Gewalt auf der Bühne provozieren heute nicht mehr“ – und so suchte der Regisseur neue Provokation durch Nichterzählung der Geschichte. Beim Tanz der sieben Schleier haben fünf schwarz vermummte Tänzer die Doubles, Salome lässt ihre Mutter Herodias tanzen (da denkt man an Massenets „Herodiade“), oder das Elternpaar tanzt miteinander einen Walzer. Dem Programmheft ist zu entnehmen, dass bei diesen Vorgängen Salome wie eine Gekreuzigte schweben sollte, aber eine Entschuldigungs-Ansage vor Beginn der Premiere wies auf eine Rippenverletzung der Titeldarstellerin und dadurch bedingte Veränderungen an der Inszenierung hin und bat auch um Nachsicht dafür, dass die Schmerzmittel auf die Stimme der Sopranistin geschlagen seien. Letzteres war glücklicherweise kaum zu bemerken, denn dass Catherine Naglestad gerne ganze Silben verschluckt, extrem textunverständlich ist, wobei die Register von Mittel- und tiefer Lage mit der dramatischen Höhe kaum in Einklang zu bringen sind, das wird wohl kaum auf die Verletzung zurückzuführen sein.

Ansonsten wurde auf hohem Niveau gesungen, insbesondere von Michael Volle als kraftvoll tönendem Jochanaan, und von Burkhard Ulrich als einem die Partie des Herodes in exakter Tonhöhe bewältigenden Tenor. Jeanne-Michèle Charbonnet changiert mit partiell satten Alt-Tönen, immerhin jenseits der in dieser Partie oft anzutreffenden schrillen Rufe gealterter hochdramatischer Sopranistinnen.

Jenseits von nächtlicher orientalischer Stimmung aber auch der hier gezeigten biederen Stangenware, ist Alain Altinoglus Deutung der Partitur in erster Linie lautstark, auch in Nebenfiguren und der Dominanz des Schlagwerks. Im Gegensatz dazu ist die Beleuchtung von Olaf Riese arg duster; erst in der Schlussszene strahlt die weiße Tischdecke, auf der Salome mit der dem Kopf ihres Stiefvaters überaus ähnlichen m Kopf der Kleiderpuppe spielt und sich dazu von ihren jungen Doubles die Haare a la Loreley frisieren lässt. Anschließend lässt sich die singende von einer der stummen Salomes in den Trenchcoat helfen und macht sich auf den Weg nach draußen. Da es keinen Jochanaan gibt, gibt es auch keinerlei Frevel, keinerlei Bestrafung. Das Premierenpublikum jubelte den SängerInneren der Hauptpartien zu, angesichts einer schönen, wenn auch gänzlich auf Konsonanten verzichtenden Schlussphrase der Titelpartiegestalterin und empfing das Regieteam mit heftigen Buhrufen. Guths beabsichtigte Provokation ist also aufgegangen – aber zu welchem Zweck?

  • Weitere Aufführungen: 29. Januar, 3., 6. Februar, 2., 6. April 2016

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