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Koma | ©Thomas M. Jauk/Stage Picture

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Dunkelheit schärft die Wahrnehmung – Georg Friedrich Haas‘ Oper „Koma“ in Braunschweig

Vorspann / Teaser

Existenzielle Lebenssituationen führen oft dazu, dass man seine Umwelt schärfer und ungetrübter wahrnimmt. In Georg Friedrich Haas‘ Oper „Koma“ treffen sich Angehörige, Ärztinnen und Pfleger am Bett von Michaela, die im Koma liegt, und arbeiten dort letztlich ihre eigenen Erfahrungen mit der Kranken und dem Tod auf. Am vergangenen Sonnabend feierte die Oper – bei der vieles im Verborgenen stattfindet – in der Inszenierung von Dagmar Schlingmann am Staatstheater Braunschweig Premiere.

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In der Endgültigkeit des Todes eines Menschen liegt auch seine Kraft. Der Mensch mag ohne viel Leiden gestorben sein oder das Leiden hat nun für immer ein Ende. Für seine Umgebung – das mögen wir in unseren schnelllebigen und verplanten Zeiten – macht er keine Mühe mehr, bleibt aber in der Erinnerung und den Tränen präsent. Vielleicht hadern die Hinterbliebenen ein wenig (Puhdys): „Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, sagt die Welt, dass er zu früh geht.“

Der Tod ist allgegenwärtig und kommt nicht selten unerwartet. „Ein schöner Tod ist ein schneller Tod“ hört man gelegentlich. In seiner Oper „Koma“, die in der Inszenierung von Dagmar Schlingmann am vergangenen Wochenende am Braunschweiger Staatstheater Premiere feierte, hat sich der Komponist Georg Friedrich Haas mit dem Zwischenzustand von Tod und Leben beschäftigt. Keine Endgültigkeit, keine Trauer, sondern ein Übergang, eine trügerische Hoffnung und letztlich eine Art Familiendrama.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Michaela, Ehefrau und Mutter, liegt seit einem Unfall (war es möglicherweise ein Selbstmordversuch?) im Wachkoma. Um sie herum versammeln sich Familie und Freunde, sprechen zu ihr, sprechen ihr zu, berühren sie. In der Hoffnung, zu Michaela vordringen zu können, wie wortwörtlich wieder „zu sich kommen zu lassen“, erinnern sie sie an unterschiedliche Erlebnisse und Erfahrungen aus ihren Leben: Szenen aus ihrer Kindheit, das belastete Verhältnis zu ihrer Mutter, Momente der Nähe, Liebesbeziehungen …

So gerät die gesamte Handlung zu einer großen Abschieds-, aber auch Aufarbeitungsfeier. Die Ärztinnen (Nora Schulte, Claudia Renner) und Pfleger (Yannik Heckmann, Niklas Marian Müller, Lea Mergell) behandeln Michaelas Körper, lagern ihn um, bewegen Gelenke, putzen die Zähne. Bestimmte Grundfunktionen wie Atmen und Schlucken kann sie noch ausführen. Was kann man noch für die im Koma Liegende tun, was kann man ihr Gutes tun, wie kann man sie wieder zurückholen ins Leben? Die Ärztinnen empfehlen der Familie, zu Michaela über Erinnerungen zu sprechen und ihr vertraute Gegenstände zu bringen.

Michaelas Augen sind geöffnet, scheinen aber keine Reize mehr wahrnehmen zu können. Wachkoma. In einem Interview im Programmheft sagt der Braunschweiger Zoologe Prof. Dr. Martin Korte dazu: „Die Patient:innen [im Wachkoma] haben kein Bewußtsein von sich oder der Welt um sie herum. Häufig gibt es aber noch einen Schlaf-Wach-Rhythmus.“ Die Empfehlungen der Ärztinnen sind grundsätzlich dennoch nicht falsch. Korte: „Es geht hier eher darum, den Angehörigen im Umgang mit den Patient:innen die Angst zu nehmen und das ‚Künstliche‘ an der Situation zu entschärfen. Patient:innen im Wachkoma nehmen keine Umweltreize wahr und zeigen auch keine Reaktionen auf Sprache. In den allermeisten Fällen bleibt auch die Musik ohne Wirkung auf das Gehirn eines Menschen im Wachkoma.“

Darsteller, Musiker und Publikum rücken zusammen

Schon der Librettist Händl Klaus hat in seinem Text drei verschiedene Lichtstimmungen vorgesehen: „In Finsternis“, „Als Schattenriss“ und „Im Tageslicht“. Schlingmann und ihre Kostümbildnerin Sabine Mader nehmen diese Hinweise sehr ernst, was dazu führt, dass Teile der Oper in absoluter Dunkelheit stattfinden. Gleichzeitig werden alle Beteiligten (Darsteller, Musiker und Publikum) auf der Bühne platziert – der Rest des Hauses ist durch den eisernen Vorhang von ihnen abgetrennt. Dadurch entsteht eine ungeheure Nähe aller Beteiligten, die in den Zeiten der Verdunklung noch näher zueinander, aber auch geradewegs in die unschaubare Innenwelt Michaelas führt.

Schlingmann: „Durch die räumliche Nähe steigert sich die Intensität des Erlebten. Unser Konzept bietet die Möglichkeit, eine andere Art von Gemeinschaft zwischen Ausführenden und Publikum zu erreichen, da die Zuschauer:innen mitten im Geschehen sitzen.“ Tatsächlich können sich gerade durch die dunklen Phasen eine besondere Nähe zu Michaela und vielleicht zu Gedanken über den eigenen Tod ergeben – ist er doch im täglichen Leben ein viel zu wenig angesprochener Begleiter, der hier Raum bekommt. Die von Michaela (Ekaterina Kudryavtseva) aus dem Raum hinter dem Publikum gesungenen wohltönenden, aber sinn- und inhaltslosen Vokalisen bieten hier einen selten-seltsamen Anknüpfungspunkt.

Mader: „Letztlich handelt das ganze Stück von Gefühlen. Menschen versuchen mit merkwürdigen Handlungen etwas zu bewirken, aber die Handlungen haben im Dunkeln keine Relevanz, man sieht sie nicht. Aber die Gefühle in Text und Musik können die Zuschauer:innen noch erreichen.“ Die Klangpalette ist bunt und scheinbar ohne Grundton – schwebend. Sie reicht von sanften Glockentönen über reine Intervalle und ein „verstimmtes“ Klavier bis hin zu eruptiven Ausbrüchen.

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Koma | ©Thomas M. Jauk/Stage Picture

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Die wahrscheinlich größte Leistung der Aufführung sind die Orchesterstellen, die im Dunkeln (die längste Dunkelphase dauert immerhin etwa 8 Minuten) gespielt werden – alles auswendig und ohne (sichtbaren) Dirigenten spielen. Das ist nur in einem extrem konzentrierten Hören aufeinander überhaupt möglich. Aber auch Rainer Mesecke als zugewandter Ehemann und Daniel Gloger als Schwager im Bariton und auch als böse Mutter im Countertenor erfreuen das Herz der Zuhörer. Manko der Aufführung war sicher der nicht immer verständliche Text, der immer wieder auch im Miteinander mit dem Orchester unterging.

Was wäre eine Oper zwischen Leben und Tod, wo alles funktioniert? Veronika Schäfer, die Michaelas Schwester Jasmin spielen sollte, war leider erkrankt. Ersatz bei einem noch sehr selten gespielten und relativ neuen Stück zu finden, ist in solchen Fällen schwer. Pia Davila studierte die Partitur in drei Tagen ein, sang von außerhalb der Kulisse und konnte durchgängig überzeugen. Auf der Bühne wurden Schäfer von der hochmotivierten Regieassistentin Beatrice Müller nicht nur vertreten, sondern ersetzt.

Für das Publikum hätte es schlimmer kommen können. Allein die großflächigen Verdunklungen mögen nicht jedermanns Sache sein. Gerade diese aber haben in dem Medium Oper, das von Inszenierung, vom sichtbaren In-Szene-Setzen, lebt, absolut überzeugen und in neue Vorstellungs- und Erfahrungswelten führen können. Auch wenn das Thema Tod und Sterben noch immer zu den Tabuthemen unserer Zeit gehört, sollte man sich auf „Koma“ einlassen – nach der Vorstellung hat auch das eigene Leben völlig neue Konturen und ist wertvoller denn je. – Georg Friedrich Haas: „Wenn Kunst menschliche Extremzustände wie diesen zeigt, wird sie wahrhaftig, und deswegen kann sie Menschen berühren, in welche Richtung auch immer.“

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