Vor 33 Jahren wurde an der Staatsoper Hamburg die Hamburger Erstaufführung von Giuseppe Verdis „Luisa Miller“ in einer denkwürdigen Besetzung gespielt: Giuseppe Sinopoli dirigierte und Ruggiero Raimondi, José Carreras, Leo Nucci, Katia Riciarelli und Marjana Lipovsek sangen in einer umstrittenen Inszenierung von Luciano Damiani. Alles Namen, die noch heute im Kopf jeden Opernfreundes sind.
Und nun: Premiere des selten gespielten Werkes, eins von insgesamt vier Schiller-Vertonungen, von denen nur „Don Carlo“ populär wurde, unter der Leitung von Simone Young, die zu Beginn ihrer letzten Spielzeit als Generalmusikdirektorin und Intendantin nach reichlich viel Wagner und Strauss einen Schwerpunkt mit Werken des frühen Verdi bringt.
Die Aufführung fing nicht eben vielversprechend an: die Absicht des Regisseurs Andreas Homoki, alles Deutende wegzulassen und sich auf die reinen seelischen Ereignisse psychologisch zu konzentrieren, kam im ersten Akt zähflüssig und mit viel zu viel Klischees rüber. Der Graf Walther trampelt da mit gewaltigen Schritten und riesig wehendem Umhang, Luisa tippelt kokett umher, die Liebesszene von Luisa und Rodolfo wirkt eher parodistisch. Das Bühnenbild, das Räume aneinander reiht, die an uns vorbeiziehen, ließ seinen Sinn auch nicht gleich erkennen (Paul Zoller). Die Bilder sind äußerst einfach und das Rampentheater wird auch nicht so ganz vermieden. Zudem hörte man aus dem Orchester nichts falsches, aber wenig profiliertes.
Ganz anders dann nach der Pause: kaum zu glauben, was sich hier auf einmal entwickelte in einem immer reineren Kammerspiel und mit immer besserer Musik. Schillers Tragödie der tödlichen Liebe der Bürgerstochter Luisa zu dem Sohne des Grafen von Walter will Homoki durch die Brille Verdis zeigen, wie er in einem Interview sagte.
Homokis Entscheidung, in den Kostümen (Gideon Davy) der Schillerzeit (1784) spielen zu lassen und nicht der Verdis (1849), geht an diesem Abend auf, wenn auch konventionell und nicht so recht bis zu Ende ausgearbeitet: Menschen mit ihren Idealen und Glücksideen zerschellen an den Kabalen der Macht ebenso wie Mächtigen selbst, ein Grundfaktum der Menschheitsgeschichte, das nie überholt sein kann. Die sich drehenden ineinander gehenden Räume werden zu Stationen des Inneren und entfalten gleichzeitig eindrucksvoll die wechselnde Rolle des Chores, der vom quasi „antiken“ Kommentar, einer reflektierenden Öffentlichkeit und einfach als Volk ganz unterschiedliche Funktionen abdeckt. Die Räume sind weiß, leer, haben keinerlei historisches Ambiente, nur eines am Ende: das Schafott. Diese Welt zerstört nicht nur Menschen, sie zerstört auch sich selber. Die Musik ist am Ende von abgründiger Trauer und stiller Desolatheit.
Gesungen wird unterschiedlich: allen voran der Sizilianer Ivan Magrì als Rodolfo in seinem Hamburg-Debut, ein aufgebrachter Hitzkopf mit einer hinreißenden, gut kontrollierten Belcanto-Stimme. Dann Nino Machaidze als Luisa, tadellos meistert sie ihre gewaltigen Koloraturen und wartet neben hochdramatischen Attacken mit einem bemerkenswerten lyrischen Pianissimo auf. Ihre Darstellung ist ergreifend. George Petean ordentlich als Miller, sängerisch und schauspielerisch flach, obschon im zweiten Teil sich enorm steigernd, Tigran Martirossioan als Walter. Alle Sänger wirkten etwas allein gelassen von der Regie, wie auch Oliver Zwarg als Wurm und besonders Cristina Damian als völlig profillose Federica, so schön sie auch sang. Das Orchester entfaltete sich zunehmend: wunderschöne Instrumentalfarben, gefühlvolle Übergänge, die achten, was emotional auf der Bühne passiert, vielleicht wäre ein bisschen mehr dramatische Wucht, ein bisschen mehr des Verdi‘schen „Brio“ schön gewesen. Ein Aufführung, die keine neue Sicht bringt – das muss sie auch nicht – , die aber hörens- und sehenswert ist. Das ist ja nicht wenig.