Seinerzeit sorgte sie für einen handfesten Skandal, heutzutage ist nicht mal die Premiere ausverkauft: Paul Hindemiths „Lustige Oper“ Neues vom Tage. Was in den 1920er Jahren noch für einen Sturm der Entrüstung sorgte, ist heute nur eine Eheklamotte von Anno dazumal, aber eine, die wenigstens Laune macht. Denn die Spiellaune auf der Bühne des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier ist nicht zu übersehen. Das Ensemble sorgt vor nicht ganz ausverkauftem Haus für kurzweilige zwei Stunden. Auch eine pfiffige Marketing-Idee des MiR schien da nicht gefruchtet zu haben: frisch Geschiedene oder Getrennte erhielten Freikarten für die Premiere.
Auf die von Dirk Becker ausstaffierte Bühne gebracht hat den Spaß Sonja Trebes, die den zeitlichen Rahmen nicht über Gebühr fixiert, sondern ganz allgemein in der Moderne verortet hat. Hochhäuser fahren zu Beginn auf und ab, Fahrstühle gibt es auch schon, nur die Moral, die scheint aus dem vorigen Jahrhundert überkommen zu sein. Die quirlige Geschichte um Ehemoral und Sitten ist temporeich inszeniert: mit Sinn für Situationskomik und skurrile Details. Nur einmal stehen die beiden Hauptdarsteller im zweiten Teil ziemlich statisch an der Rampe, duettieren sich auf das Heftigste, das vierhändig besetzte Klavier wütet furios und auf der Bühne passiert – nichts.
Eine verpasste Chance, aber zum Glück kann Trebes’ Inszenierung sonst durch Tempo und Details überzeugen. Die im Vordergrund stehende Eheklamotte ist nur die eine Seite der Geschichte, die doppelbödige Ehemoral jener Zeit eine andere. Trebes entlarvt diese mit ebenso großer Treffsicherheit wie die sich abspielende Mediengroteske, die sich um das scheidungswillige Ehepaar Laura und Eduard herum entspinnt. Hier war Hindemith nicht nur am Puls seiner Zeit, auch aktuelle Auswüchse des Mediendjungels lassen sich hier trefflich wiederfinden. Insofern ist Neues von Tage zwar alles andere als ein modernes Stück, aber dennoch erstaunlich aktuell.
Auch musikalisch macht der Abend Laune, meistens jedenfalls. Beim von Alexander Eberle präparierten Chor gibt es Licht und Schatten. Der Auftritt des Männerchores im ersten Teil ist stimmlich erschreckend inhomogen, die Frauen hinterlassen da einen weitaus properen Eindruck. Dennoch, insgesamt ist die Leistung ausgewogen, wie auch bei der von Giuliano Betta geleiteten Neuen Philharmonie Westfalen. Hindemiths Partitur ist ziemlich komplex, Betta hat alle Hände voll zu tun, um das tönende Tohuwabohu zusammenzuhalten, was ihm auch gelingt.
Das Ensemble ist außerordentlich spielfreudig, allerdings ist die Balance zum Orchester manchmal fragil, will heißen: letzteres ist etwas zu massiv. Nichtsdestotrotz absolvieren Eleonore Marguerre (Laura) und Piotr Prochera (Eduard) ihre Partien mit sportiver Eleganz, auch Martin Homrich als der schöne Herr Hermann charakterisierte seine Figur stimmlich wie spielerisch mit der gebotenen Komik und Präsenz. Tobias Glagau als Herr M. und Almuth Herbst als Frau M. fügen sich bestens in das stimmige Gesamtbild des Ensembles ein. Insgesamt macht Hindemiths eben so kurzweile wie erstaunlich tiefsinnige und auch aktuelle Oper in Gelsenkirchen Laune. Ein Besuch sei dringend empfohlen.